„Blödmann!“ ruft einer. „Weißt du, wie das schmeckt? Du würdest nicht nur den Teller, du würdest auch noch deine Pfoten ablecken!“
Es ist dunkel geworden, als sie aufbrechen. Über dem Wald steht der Vollmond und beleuchtet das weiße Land, so dass sie die Laternen nicht anzuzünden brauchen.
„Der ist ja ganz steif, der Marek“, stellt einer der Männer fest.
„Klar, bei der Kälte!“
Die Wagen holpern und schaukeln, und das Knirschen der Räder klingt viel lauter als am Tage.
Sie sind schon ein gutes Stück gefahren, als Stanislaus sich plötzlich seinen Pelz etwas zurück schlägt und horchend an die Wagentür rückt.
„Was ist los?“ fragt Jendrik.
„Hörst du’s nicht? Die singen.“
„Wer singt?“
„Die Männer beim Marek im Wagen.“
Sie müssen sich anstrengen, um das Lied erkennen zu können. Die Männer, die um den toten Marek hocken, singen ’Alle Menschen müssen sterben, alles Fleisch vergeht wie Heu‘.
„Sie singen für ihn“, sagt Jendrik.
„Ja, ja, für ihn.“
Mit einem Male frieren die Brüder noch mehr. Sie wickeln sich fester in die Pelze ein und ziehen die Decken bis ans Kinn und wünschen, dass die Fahrt bald zu Ende sei.
Sorgfältig notiert die stupsnasige Halina, was Antonya anordnet. Sie steht über den Küchentisch gebeugt und lässt die Zunge spielen, während sie schreibt. Das Häubchen hängt keck auf der Seite, als wäre es allzu hastig auf den Kopf gedrückt worden.
Ihr Busen scheint heute üppiger zu sein als sonst. Liegt es vielleicht daran, dass sie ihr Kleid nicht ganz zugeknöpft hat? Antonya runzelt die Stirn. Seitdem ihr Mann den ganzen Tag im Haus ist, kommt ihr diese Halina noch aufreizender und aufsässiger vor. Ihr Blick, ihre Gesten und ihr Gang wirken herausfordernd. Wenn sie die Gräfin anschaut, verrät ihr Blick Geringschätzung für die etwas ältere Frau. Sogar etwas Triumphierendes meint Antonya erkennen zu können; sie kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass diese Person etwas im Schilde führt.
Die Ellbogen auf den Tisch gestützt, fragt die Halina: „Die Soße zum Karpfen – wie wünschen Sie die?“
„Haben wir jemals eine andere gemacht?“ Antonya lässt sich gegen ihren Willen reizen. In ihren Ton ist etwas von Kampf gekommen.
Das kleine Luder soll auf der Hut sein, die wird mich noch kennenlernen, denkt sie. Bedrohlich leise, die Augen zusammengekniffen, fragt Antonya: „Wie kommt es, dass sie nach der Karpfensoße fragen? Wie lange, Halina, sind Sie in diesem Hause?“
Aus Halinas nicht ganz geschlossenem Kleid steigt Röte in den Hals. „Die Mädchen in der Küche sind unsicher und lassen fragen“, rechtfertigt sie sich.
„Wie? Ihr wisst nicht mehr, wie die Karpfensoße in diesem Haus zubereitet wird?“ Sie blickt die Mädchen der Reihe nach an, die plötzlich alle viel zu tun haben. „Ja, dann werde ich auch hier öfter einmal nach dem Rechten sehen müssen!“ „Nein, bitte, das ist nicht nötig. Es wird alles gemacht, wie es sein soll!“ Die Halina ist erschreckt. Sie rafft allen Mut zusammen und meint ein wenig verlegen: „Nicht jeder in diesem Haus, Gräfin, mag Ihre ... mag die Soße.“
„Nicht jeder?“ Antonya ist erstaunt, sie ist so dicht an das Mädchen herangetreten, dass sie deren Körperwärme spürt. Sie riecht, dass Halina ein Duftwasser benutzt hat.
„Wer ist: ’nicht jeder‘, Halina?“
Das Mädchen antwortet nicht, es sieht zu Boden. Die anderen kichern heimlich.
„Noch einmal: Wer ist – ’nicht jeder‘? Antworte!“
Antonya packt sie beim Arm. Und wie sie Halinas Wärme und deren Widerstand spürt, steigt kalte Wut in ihr auf. Sie möchte ihr in das freche Gesicht schlagen. Antonya stößt sie von sich. „Geh und tu, was ich dir sage. Ihr alle! Tut, was ihr zu tun habt! Halina, Ich werde herausfinden, wen du mit ’nicht jeder‘ meinst“, zischt Antonya. „Geh an deine Arbeit. Geh!“
Vorsichtig und lautlos, aber sichtbar erleichtert, verschwindet die Halina aus der Küche.
Forsch, mit unverhohlenem Ärger steigt Antonya die Treppen nach oben und läuft einige Male durch das Zimmer. Das Gehen tut gut, nachdenklich bleibt sie am Fenster stehen. Die Sonne kommt herauf und wischt die Schatten der Bäume und Sträucher aus dem Park. Wieder einmal hat die Halina sie beunruhigt. Wäre es nicht besser, das kleine Miststück aus dem Haus zu jagen? Nein, solange sie bei ihr in Diensten ist, hat sie eine gewisse Kontrolle über das, was die Halina unter diesem Dach zu treiben versucht. Manches mag geschehen, wovon Antonya nichts weiß, aber das eine oder andere wird sie durchkreuzen können, sagt sie sich.
Durch den Park sieht sie ihren Mann kommen. Er geht vornübergebeugt und in Gedanken. Dann ist etwas da, das ihn stehen bleiben lässt und das sein Interesse erregt. Er schaut zum Haus herüber, dahin, wo die Küche ist und macht mit der Hand eine abwehrende Bewegung; dann blickt er prüfend zu Antonyas Fenster hoch. Aber hinter den Vorhängen kann er sie nicht sehen, und hastig läuft er auf den Eingang der Dienstboten zu.
Antonyas Wissen und die wilden, quälenden Vermutungen lassen keinen klaren Gedanken zu. Aber so ist es: immer, wenn sie einen klaren Kopf behalten will, dann wird sie nur noch verwirrter. Antonya ist hilflos und weiß nicht aus noch ein. Ganz bestimmt wird sie alles wieder falsch machen!
Dieses polnische Mädchen reizt sie und macht sie wütend, auch ihr Mann macht sie wütend. Aber am meisten kann Antonya über sich selbst aus der Haut fahren.
Später ist die Halina bemüht, so zu tun, als sei nichts vorgefallen. Und auch Antonya versucht den Eindruck zu erwecken, als wäre die Episode in der Küche ihrerseits vergessen. Wenn da nicht die auffallende Schweigsamkeit zwischen ihrem Mann und dem Mädchen wäre. Was die Halina in Stanislaus’ Nähe zu tun hat, das tut sie mit eisernem Schweigen. Ja, sie wagen es nicht einmal, sich anzusehen. Wenn die Halina ihm etwas zureicht, dann zittern ganz schwach ihre Hände und jedesmal kriecht aus ihrem Kragen eine leichte Röte in ihr Gesicht.
Das bleibt Antonya nicht verborgen; zum Teil verunsichert sie das noch mehr, teils sieht sie ihren Verdacht bestätigt, und wieder steigt Wut in ihr hoch und lähmt sie.
Das Essen heute am Silvesterabend ist ruhig verlaufen. Alles geschah, wie die Hausfrau es angeordnet hatte.
Nach der Mahlzeit ist das Personal in den Salon gekommen, so wie es auch am Abend vor dem Weihnachtsfest gekommen ist und alle Jahre zuvor. Sie haben der Herrschaft und den Gästen ein gutes neues Jahr gewünscht und dafür ihre Hand aufgehalten. Auch die Halina ist darunter gewesen. Und von Stanislaus und Antonya haben sie alle ihr ’Feiergeld‘ erhalten, wie es der Brauch in diesem Hause verlangt.
Mit den Kindern haben die Eltern an diesem Abend ihre Plage; die großen wie die Kleinen zeigen keinen Appetit, sie quengeln und liegen den Müttern in den Ohren, wann es denn endlich an den Teich geht, auf dem sie alle Schlittschuh laufen wollen.
Antonya mag nichts mehr hören, sie wird ungehalten und sagt: eine solche lästige Horde könne sie nicht bis um Mitternacht ertragen. Sie werde ihren Plan dahingehend ändern, dass alle, auch die Cousins und Cousinen aus Zdunska Wola, ins Bett gesteckt würden!
Das wirkt.
Ein leichter Schnee fällt, spärlich und fein wie Staub. Rund um den Teich brennen Fackeln, die an den Ästen der in der Nähe stehenden Bäume und an eigens dafür in den Boden gerammten Stangen befestigt sind. An einigen Stellen knistern Feuer in Eisenkübeln, die ein kreisrundes schwarzes Loch in den Schnee geschmolzen haben. Etwas oberhalb des aus dem Eis herausragenden Steges hat das Personal einen Tisch hergerichtet, auf dem, auf einem stattlichen Stövchen, der Punschtopf dampft.
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