1 ...8 9 10 12 13 14 ...29 „Nun, vielleicht wollte Vater, dass wir mit unseren Namen ganz in Polen aufgehen, wie er gerne in Polen aufgegangen wäre. Allen Geschwistern hat er slawische, hat er polnische Namen gegeben, den Mädchen, den Jungen – allen! Du weißt, der Vater konnte polnischer sein, als die Behörden es erwarteten. Auf polnischer Erde lebte er, polnischer Boden ernährte ihn, in polnische Erde kehrte er zu den Vorfahren zurück – vielleicht wollte er mit der Wahl solcher Namen mit der langen deutschen Tradition brechen. Wer weiß. Oder er hat sich damit der Mutter widersetzt, die oft genug sagte, sie könne das Polnische nicht ausstehen.“
„Dann hätte er echte polnische Namen wählen sollen:“
Plötzlich ertönt das Signal, dass der Bär gefunden ist. Und gleichzeitig hören sie auch das giftige Bellen der Hundemeute. „Heißt das, dass wir kommen sollen?“ fragt Jendrik.
„Ich denke, sie werden versuchen, ihn ins Feld zu treiben. Warten wir noch.“
Stanislaus hat vor Aufregung seine Pfeife gelöscht. Jetzt kann er nicht mehr still dastehen, er muss sich bewegen. Das Gewehr unter dem Arm, läuft er auf und ab und stolpert, weil er in eine Vertiefung unter der Schneedecke getreten ist.
„Mist!“ schimpft er. „Das fehlt noch, dass ich mir die Knochen breche.“
„Dein erster Bär ist das wohl nicht“, sagt Jendrik. „Oder hast du schon einmal einen erlegt?“
„Das ist mein dritter. Die anderen haben wir in den Wäldern meines Schwiegervaters gejagt. Der ist regelmäßig auf die Jagd gegangen ... Niederwild, Rehwild und Sauen, auch Schnepfen und Bekassinen.“
„Du hast Gefallen daran, ja?“
Stanislaus blickt für einen Moment seinen Bruder halb belustigt, halb skeptisch an. Er weiß, ihm ist das Töten ein Greuel. Er sagt: „Ja, ich bin anders als du, Jendrik. Du konntest nicht einmal einer Henne den Kopf abschlagen oder dem toten Stallhasen das Fell über die Ohren ziehen!“ Lachend zündet er wieder die Pfeife an. „Und ich wette: deine Schweine und Schafe lässt du immer noch schlachten und läufst weg, wenn der Metzger ihnen das Messer an die Gurgel setzt! Aber ganz so schlimm bin ich nicht. Wenn es um Bestien geht, die den Menschen angreifen – ja, dann schieße ich. Bären und Wölfe und ...“ er zögert etwas. „ ...und Russen. Ja, die gehören auch dazu, weil sie schlimmer sind als Bären und Wölfe.“
„Du würdest auf einen Menschen anlegen?“
„Nein, auf Menschen nicht, aber auf Russen?“
„Liebäugelst du am Ende auch mit Anarchisten und allen anderen, die die Ordnung verändern wollen?“
„Anarchisten? Einer in der Familie reicht mir, Bruder! Ich habe einen anderen Weg gewählt: den des Bürgers. Und das heißt, dass ich nicht nur für mich allein Verantwortung trage. Aber das mit den Russen, Jendrik, das ist so eine Sache.“
„Billigst du, was die Anarchisten tun?“
„Du solltest mich nicht danach fragen, Bruder. Aufgepasst, jetzt geht es los. Sieh doch nur ...“
Vor ihnen bricht ein durchdringendes Getöse im Wald los. Die Männer schreien durcheinander und schlagen mit Stöcken gegen die Bäume. Sie johlen und fluchen in deutscher und in polnischer Sprache und schließlich gehen ihre Rufe im Höllenspektakel der Hunde unter.
Stanislaus stapft durch den Schnee, um hinzugelangen, wo sie den Bären gestellt haben. Unerwartet besinnt er sich und kehrt um, und in diesem Moment fallen mehrere Schüsse; alles ist still geworden, sogar die Hunde.
„Jetzt haben die Idioten mich um mein Vergnügen gebracht!“ schimpft er. „Knallen die mir tatsächlich den Bären ab!“
Frantizek ruft durch die Hände: „Herr Graf, kommen Sie!“ Der Kreis um den Bären öffnet sich, als Stanislaus mit seinem Bruder erscheint. Schwanzwedelnd zerren die Hunde an ihrer Leine und winseln und versuchen, nach der Beute zu schnappen. Den Bären sehen sie ausgestreckt auf dem Bauch liegen, die Schnauze hat er unter eine Pfote gesteckt.
„Wir mussten das tun, Herr Graf. Er hat den buckligen Marek erwischt“, erklärt jemand aus der Runde. „Da.“ Unter dem Tier lugen ein Paar verdrehte Beine hervor.
„Vielleicht lebt er noch!“ ruft Stanislaus. „So rollt doch das Vieh von dem Menschen herunter!“
„Es ist besser, wenn Sie alles so lassen, wie es ist“, sagt der Frantizek. „Der Bär hat ihn regelrecht zerfetzt und verstümmelt. Der alte Szannowski wird Sie und Ihren Herrn Bruder zur Hütte zurückfahren, und um das hier, Herr Graf, kümmern wir uns. Fahren Sie nur.“
In der Kutsche sagt Jendrik: „Ein Menschenleben für ein Jagdvergnügen, Bruder ...“
„Es klingt so, als wolltest du mir einen Vorwurf machen? Das ist mehr als nur ein Unfall“, murmelt er, als spräche er mit sich.
„War das mitbedacht?“
„Nein, verdammt noch einmal! Nein, nein!“ Stanislaus ist verärgert, aber er zwingt sich, nicht scharf oder laut zu werden. Er sagt: „Die Bestie ist aus ihrem Winterschlaf geschreckt worden. Das macht sie wild und gereizt. Früher oder später wäre sie über die beiden alten Szannowskis hergefallen, dann über ...“ Er stopft seine Pfeife, ehe er weiterspricht. „Wir mussten ihn erledigen. Wir mussten es tun! Ach ja, der bucklige Marek ... Er hatte nur mit Wölfen Erfahrung. Dies war wohl sein erster Bär. Und sein einziger ...“
Die Rückfahrt kommt Jendrik kürzer vor, und ehe sie sich versehen, stehen sie vor der hingeduckten, schiefen Hütte.
Die alte Szannowska steht mit fragenden Augen neben der Kutsche. „Pan ...“ flüstert sie. „Pan, mein Mann ...“
„Dein Mann kommt. Er kümmert sich mit den anderen um den Bären. Du kannst wieder ruhig schlafen. Wir haben ihn erledigt. Von dem habt ihr nichts mehr zu befürchten.“
Die Alte bekreuzigt sich erlöst und ihr zahnloser Mund öffnet sich weit zu einem befreienden Lachen, ja, ihre Augen werden feucht vor Erleichterung, so dass sie sie mit dem Ärmel ihrer Jacke wischen muss. Mit großer Geste und viel weiter als nötig reißt sie die Tür auf und lässt die beiden Herren eintreten.
Später kommt auch der Wagen mit den anderen Männern. Sie sind ernst und wortkarg. Zwischen ihnen liegen der tote Marek und der Bär, und um die Hunde friedlich zu halten, hat man sie hinter dem Wagen herlaufen lassen.
Die alte Szannowska spendiert eine Decke, in die sie den toten Marek wickeln. Sie erzählt den Männern, wie froh sie ist, dass es nicht ihren Alten erwischt hat. In der Stube ist sie die einzige, die immer etwas zu reden und zu lachen hat.
„Wer sagt seiner Familie, was passiert ist?“ fragt Jendrik.
„Der Marek hat keine Familie“, antwortet Stanislaus. „Der lebt allein.“
Nachdem der alte Szannowski die Männer mit seiner Schnapsflasche aufgewärmt hat, fangen sie wieder zu reden an. Sie erzählen seiner Frau, wie sie den Bären gefunden haben und wie er sofort auf sie losgegangen ist.
„Auf die Hunde!“ verbessert einer. „Die haben den doch mit ihrem Gekeife richtig verrückt gemacht. Man hätte sie nicht ableinen dürfen, vielleicht hätten sie das Ungeheuer dem Herrn Grafen direkt vor die Flinte scheuchen können.“
„Ja, er ist ja auch in die Richtung getrabt, wenn der Marek, dieser Dämlack, ihm nicht den Weg versperrt hätte. Wollte den Helden spielen ... Wollte ihn mit bloßen Händen aufhalten oder in die richtige Richtung zwingen!“
„Ist das wahr?“ fragt Stanislaus.
Die Männer nicken. Er sieht zu seinem Bruder hinüber: „Siehst du, Jendrik, so war es also. Reine Unvorsichtigkeit. Eigene Schuld ... Siehst du.“ Zu den Männern sagt er: „Zieht das Vieh sauber ab. Den Pelz bekomme ich. Das Fleisch, das könnt ihr haben oder den Hunden geben.“
„Pfui Deibel!“ ruft einer über den Tisch, dabei spuckt er etwas von seinem Essen aus, und sofort beugt er sich wie ein geohrfeigtes Kind über seinen Teller. „Bärenfleisch! Wer wird denn so etwas essen!“
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