Tado versuchte abzuschätzen, mit wie vielen der Kreaturen sie es zu tun hatten. Dieser Versuch wurde bereits im Keim erstickt, denn zu seiner Rechten tauchten zwei der hungrigen Aale aus den Fluten und erhoben ihre gut drei Meter breiten Körper gen Himmel. Die Länge dieser Ungeheuer ließ sich nicht schätzen, da sie das Wasser niemals zur Gänze verließen, sondern einen Großteil ihres schaurigen Antlitzes stets in der Tiefe verborgen hielten. Eines der beiden Wesen hatte es auf ihn und Spiffi abgesehen. Mit einem zischenden Geräusch ging der Kopf der Bestie auf das Schiff nieder, und das weit geöffnete Maul riss armlange Holzspäne aus dem Deck, als die beiden Angegriffenen sich im letzten Moment zur Seite warfen. Der Bogenschütze schoss einen Pfeil irgendwo in den in der Finsternis des von Gewitterwolken bedeckten Abendhimmels nicht genau abzugrenzenden Gesichtsbereich des Monsters. Der Angriff zeigte nur wenig Wirkung: Die Kreatur zuckte kurz mit ihrem Kopf, wodurch ein herbeilaufender Krieger der übrigen Besatzung von den Beinen geholt wurde und schleuderte im nächsten Moment ihr geöffnetes Maul Spiffi entgegen. Die gelben Augen des Aals glänzten zornig. Tado war derweil wieder auf die Füße gekommen und stieß mit aller Kraft sein Schwert in den nassen, schimmernden Körper der Bestie. Die Klinge verschwand fast bis zum Heft im Leib der unheimlichen Kreatur, die sich daraufhin wutentbrannt und unter Schmerzen aufbäumte. Tado, der noch nicht einmal die Zeit hatte, seine Waffe wieder vollends aus dem Körper des Aals herauszuziehen, wurde hoch in die Luft geschleudert, klatschte gegen eines der vom Wind aufgeblähten Segel und verfing sich dann in einem Gewirr aus Seilen, die einen tödlichen Sturz zurück auf das Deck verhinderten. Die Drachenklinge flog derweil in hohem Bogen ins Meer.
Der Donneraal hingegen gab sich keineswegs geschlagen. Er schnappte mit einer schnellen Bewegung nach Tado; es gab keinen Ort, an den dieser in seinem jetzigen Zustand noch fliehen konnte. So bediente er sich des Goblinzaubers, um die Drachenklinge aus der Tiefe des Ozeans zurück in seine Hand zu rufen. Es überraschte ihn ein wenig, das Schwert absolut trocken vorzufinden. Nichtsdestotrotz würde ihm die Waffe in dieser Situation weniger helfen, als er gehofft hatte; die Seile, die ihn eben noch retteten, machten es ihm nun unmöglich, auch nur zum Schlag auszuholen.
In diesem Moment registrierte er für den Bruchteil einer Sekunde ein kleines, silbernes Etwas von unten heranzischen, und im nächsten Augenblick durchschlug das merkwürdige Objekt den Unterkiefer des Donneraals, hämmerte der Bestie einen Zahn aus dem Maul und blieb dann irgendwo im oberen Teil des Kopfes stecken. Der Einschlag war derart heftig, dass das Monster durch die Wucht des Geschosses nach hinten gerissen wurde und mit einem lauten Klatschen, das sogar das tiefe Grollen des Donners übertönte, in den Fluten versank.
Bei dem rettenden Objekt handelte es sich um einen Pfeil Yalas. Das Mädchen sah aus, als würde es bereits seit Stunden gegen die Bestien kämpfen, was zwar nicht stimmte, Tado aber dennoch ein schlechtes Gewissen bereitete. Er kam sich geradezu lächerlich hilflos vor, und dieses Gefühl besserte sich nur wenig, als er sich endlich aus den Seilen befreien konnte und wieder festen Boden unter die Füße bekam.
„Was sind das für Monster?“, fragte er sie, nachdem er sich für seine Rettung bedankt hatte.
„Ich weiß es nicht“, antwortete Yala. Ihre Worte wurden vom peitschenden Wind fast vollständig verschluckt. „Sie griffen uns an, als wir in dieses Gewitter gerieten. Adbural sagte, dass es keinen anderen Weg gäbe, als uns den Kreaturen zu stellen.“
Adbural war der Kapitän des Schiffes; ein sehr strenger, kräftiger Mann, der üblicherweise keinen Widerspruch duldete.
„Aber das ist Wahnsinn!“, warf Spiffi ein. Die Gefährten mussten ihre Köpfe einziehen, als ein Teil der Reling – von einem der Donneraale aus dem Schiff gerissen – über sie hinwegflog. „Sie werden das ganze Boot versenken, wenn der Kampf so weiter geht!“
„Und wenn die Ungeheuer es nicht tun, wird uns spätestens der Sturm vernichten“, ergänzte Tado. „Wir sollten zumindest versuchen, aus dem Unwetter herauszukommen.“
Natürlich geisterten noch immer die Worte des Lords in seinem Kopf herum, dass es nur möglich wäre, die stürmische See zu umgehen, wenn man sich in die schützenden Gewässer Telkors begäbe. Doch er hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, immerhin wäre es nicht das erste Mal, dass der Magier sich irrte.
„Die anderen Mitglieder der Besatzung meinen, es sei unmöglich, dem Sturm zu entkommen“, zerstörte Yala seinen letzten Strohhalm. „Doch ich befand mich gerade auf dem Weg zu Adbural, um ihn diesbezüglich zu befragen. Er scheint irgendetwas zu verbergen. Ich bin sicher, dass er mehr über diese Kreaturen weiß, als er zugibt.“
So setzten sie den Weg zum Kapitän zu dritt fort. Alle Decks des Schiffes waren vom Regen und den Wassermassen, die die Donneraale ununterbrochen bei ihrem Angriff an Bord schwemmten, glatt geworden, sodass sie bei dem starken Wellengang kaum vorankamen. Immer wieder wichen sie den Körpern der schwarzen Monster aus, und einmal mussten sie mitansehen, wie eine der Bestien zwei Besatzungsmitglieder kurzerhand verschlang. Die Krieger an Bord dieses Schiffes trugen fast alle einen metallenen Speer, der sich im Kampf gegen diese Art von Feind als überraschend wirkungsvoll erwies. Leider wurden nicht wenige von ihnen entwaffnet, sobald sie einen Treffer landen konnten, denn das Kriegswerkzeug blieb in den Leibern der Donneraale stecken und wurde den Männern aus den Händen gerissen, sobald die Bestien sich aufbäumten. Einige hatten sich mit Armbrüsten gerüstet; unglücklicherweise schränkte das Unwetter die Funktionsfähigkeit dieser Waffen erheblich ein; der starke Regen und das Schaukeln des Schiffes erschwerten Zielen und Nachladen gleichermaßen.
Ein schwarzer Schatten tauchte zur Linken aus dem Wasser auf; so dicht am Schiff, dass dieses durch die entstehende Welle gefährlich Schlagseite bekam und die Gefährten von den Füßen geholt wurden. Es handelte sich auch hierbei um einen Donneraal, doch er schien weitaus zorniger zu sein als die anderen Geschöpfe um ihn herum, denn er ließ ein markerschütterndes Brüllen vernehmen und stürzte sich mit erbarmungsloser Gewalt auf seinen scheinbar einzigen Widersacher herab. Dieser hielt der Bestie seine Waffen entgegen, als plante er allen Ernstes, den Angriff des Aals abzuwehren. Das Monster stieß seinen Kopf mit aller Macht dem einen Krieger entgegen, das Maul ungeöffnet; offenbar hatte es eine solche Wut auf sein Opfer, dass es den Mann einfach noch nur zerquetschen wollte. Das Haupt des Donneraals krachte gegen die gezähnten Klingen der beiden Säbel, die der Krieger schützend vor seinen eigenen Körper hielt. Erst jetzt bemerkte Tado, dass es sich bei dem Mann um Lukdan handelte. Der Getroffene wankte unter dem Aufprall, und der Kopf der Bestie drängte ihn zurück, ließ ihn über den glatten Boden schlittern und drückte ihn schließlich an den mittleren der drei Masten. Die Klingen hatten sich tief in das Fleisch des Aals gebohrt. Noch immer hielt Lukdan seinen Kontrahenten auf Distanz, wenn auch nur auf sehr kurze: Er stand mit dem Rücken zum rauen Holz des Mastes, die zerschundenen Hände an seinen gestreckten Armen umklammerten die Hefte der Säbel mit eisernem Griff. All sein Können musste er aufbringen, um den Kopf der Bestie von sich fernzuhalten. Er versuchte, sich mit der Kraft seiner Beine vom Mast wegzudrücken und die Kreatur auf diese Weise ein Stück zurückzudrängen; es misslang. Nachdem sie ein paar Sekunden in dieser Pattsituation, in der keiner der Kontrahenten den anderen zu überwältigen vermochte, verharrt hatten, setzte nun auch der Donneraal dazu an, seine Taktik zu ändern: Mit einem Ruck öffnete er sein übergroßes Maul. Doch auch dieser Versuch schlug fehl. Lukdan wurde durch die plötzliche Bewegung nicht etwa entwaffnet; er hielt seine Klingen so fest umklammert, dass der Aal sich einen großen Teil seines Gesichtes aufschlitzte und dunkles Blut über das Deck zu fließen begann. Außerdem bot sich dem Krieger nun die Chance, aus der potentiell tödlichen Klemme zwischen dem Kopf des Wesens und dem Mast hinter ihm zu entkommen. Mit einer schnellen Bewegung brachte er sich neben den Donneraal und stach ihm die Säbel in das rechte Auge. Das Monster riss seinen eigenen Kopf zurück, vergrößerte damit die Wunde, entging aber auf diese Weise einer weiteren Attacke seines Widersachers. Blind vor Wut stürzte sich der Aal ein weiteres Mal auf Lukdan. Dieser ließ sich fallen und stach seine Klingen von unten in den Leib der Bestie. Der Angriff des Monsters lief ins Leere, doch den Schwung seiner eigenen Bewegung konnte es nicht mehr abfangen. So glitt der Körper des Donneraals ungebremst über die Säbel seines Widersachers und zog sich zwei tiefe Wunden an der Unterseite seines schlangenförmigen Körpers zu, jede etwa zehn Meter lang. Die Bestie brachte es nur noch zu einem krampfartigen Zucken, ehe ihr Leib leblos auf das Deck klatschte.
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