Nach dieser Ansprache erwartete der Magier nun definitiv eine Antwort. Tado sah einen Moment verstohlen zu dem Tisch hinüber, an dem sich Lillyopha und Juphien nun zusammen mit Talaria befanden, doch eine Schwankmotte, die gerade die Getränke an einer dazwischen liegenden Tafel nachfüllte, versperrte die Sicht. Als er seinen Blick wieder zurückschweifen ließ, bemerkte er, dass keiner der anderen zu wissen schien, was in dieser Situation am besten zu erwidern war. Bevor sie sich durch das peinliche Schweigen vollends verdächtig machten, fasste sich Tado ein Herz und begann, sich eine Geschichte aus den Fingern zu saugen, von der hoffte, dass sie halbwegs plausibel klingen würde und für sein Gegenüber schwierig nachzuprüfen war.
„Das ist nicht weiter verwunderlich“, sagte er schließlich in recht beiläufigen Ton, was ihm zunächst noch recht gut gelang, denn bisher entsprachen seine Worte schließlich der Wahrheit. „Wir leben normalerweise im Reich vom Lord des Feuers und sind nur vorübergehend in diesem Gebiet unterwegs.“
Spiffi weitete bei diesen Worten erschrocken die Augen; Yala versteckte ihr halbes Gesicht hinter ihrem Trinkgefäß aus Drachenfels, in dem sich schon längst kein Wasser mehr befand. Nur Lukdan wahrte eine eher desinteressierte Miene.
„Das ist interessant“, unterbrach ihn der Magier und gab Tado damit die Gelegenheit, sich einen Grund für ihren Aufenthalt in dem Gasthaus auszudenken. „Man sagt, er wäre als einziger der Oberen Vier nicht zurückgekehrt. Wisst ihr vielleicht etwas darüber, wo ihr doch direkt aus seinem Reich stammt?“
„Leider nicht“, antwortete Tado. „Wir kommen gerade erst von einem Einsatz außerhalb Telkors zurück.“
Diese Worte schienen den Magier zu überraschen.
„Beeindruckend“, sagte er dann. „Da ihr alle Waffen bei euch tragt, nahm ich an, dass eure magischen Kräfte nicht allzu mächtig seien und ihr daher keinerlei Arbeiten außerhalb der Insel erledigen würdet.“
Er ließ seinen Blick in die Runde schweifen und blieb an Lukdan hängen.
„Du scheinst mir jedoch ziemlich stark zu sein“, stellte er fest. „Was für eine Art von Magie benutzt du, bei der eine solch große körperliche Kraft vonnöten ist?“
„Schwertmagie“, antwortete Lukdan knapp.
„Schwertmagie?“, wiederholte sein Gegenüber. „Davon habe ich noch nie etwas gehört.“
„Wie solltest du auch?“, erwiderte der Mann aus Akhoum mit erstaunlich gut gespielter Verständnislosigkeit. „Immerhin habe ich sie erfunden.“
Yala verschluckte sich vor Schreck an einer der goldgelben Früchte. Tado jedoch nickte zufrieden. Lukdan hätte einen guten Magier abgegeben, wäre er kein Mensch gewesen. Ihr Gegenüber zeigte sich nun regelrecht begeistert.
„Wie gerne würde ich mehr darüber erfahren“, sagte er etwas wehmütig. „Leider bin ich etwas in Eile. Wie es aussieht, sind vor kurzem ein paar Menschen in Telkor gestrandet. Zwar haben wir sie unschädlich machen können, doch anscheinend brachten sie eine gefährliche Waffe auf die Insel und waren in der Lage, sie irgendwo hier in diesem Gebiet zu verstecken. Der Lord des Wassers hat mich ziemlich aufgebracht damit beauftragt, sie ausfindig zu machen. Ihr habt nicht zufällig etwas Verdächtiges auf eurem Weg hierher bemerkt?“
Die Gefährten verneinten dies.
„Wenn dich der Lord mit solch einer wichtigen Aufgabe betraut hat, dann musst du wohl einer seiner mächtigeren Untergebenen sein“, stellte Yala fest, wobei Tado nicht ganz einleuchtete, worauf sie eigentlich hinauswollte.
„Das ist wahr“, bestätigte der Magier. „Mein Name ist Vold. Ihr habt sicher schon von mir gehört.“
„Ja“, antwortete Yala, was natürlich nicht stimmte. „Wie geht die Suche bisher voran?“
„Schleppend“, erwiderte Vold. „In der Lagune der Phantommagie habe ich eine Spur gefunden, doch sie ist sehr undeutlich und nicht gerade vielversprechend. Auch weiß ich nicht, ob sie überhaupt etwas mit meinem Auftrag zu tun hat. Aber ich möchte eure Gemüter nicht mit diesem Problem belasten.“
Mit diesen Worten stand er auf, und sein Blick fiel auf die Drachenklinge, die Tado unvorsichtigerweise noch immer mit sich herumtrug.
„Dieses Schwert“, sagte Vold. „Würdest du es mir für einen Moment aushändigen?“
Spiffi schien bei diesen Worten fast das Herz stehen zu bleiben. Auch bei den anderen breitete sich eine gewisse Nervosität aus.
„Sicher“, erwiderte Tado und reichte ihm die Waffe. „Aber es ist nicht das, wonach du suchst.“
Dieser Satz klang wenig überzeugend.
„Das mag sein“, antwortete Vold. „Leider bin ich kein Sammler und habe daher auch nur vage Vorstellungen über den Gegenstand, den zu suchen mir aufgetragen wurde. Doch der Lord sprach unmissverständlich von einem Schwert. Es hieß, es würde Drachenfels schneiden können.“
Mit diesen Worten ließ er es langsam auf eines der Trinkgefäße sinken und stach zu. Mit einem Knall flog der Becher auf Tado zu, und dieser riss gerade noch eine Hand hoch und fing ihn auf, bevor er sein Gesicht treffen konnte und ihm womöglich noch die Nase brach. Zur Verwunderung der Gefährten und zur Enttäuschung Volds war das Gefäß unversehrt. Tado überraschte dieser Umstand nicht wirklich. Er hatte irgendwie gespürt, dass der Lord des Feuers ihn beschützen würde, denn niemand sonst konnte für das merkwürdige Verhalten des Schwertes verantwortlich sein.
„Schade“, ließ Vold vernehmen. „Verzeiht mir, dass ich euch verdächtigt habe, aber leider bin ich gezwungen, jedem Hinweis nachzugehen.“
Er gab Tado die Drachenklinge zurück und empfahl sich. Die Gefährten warteten, bis sich der mysteriöse Magier sowohl außer Hör- als auch Sichtweite befand, ehe sie es wagten, erleichtert aufzuatmen.
„Warum versteckst du dieses verdammte Schwert nicht irgendwo und besorgst dir eine neue Waffe?“ herrschte Yala Tado an.
Irgendwie schien sie die Tatsache, dass die Waffe den Drachenfels soeben unversehrt gelassen hatte, viel beunruhigender zu finden als die zurückliegende Begegnung mit Vold. Er ging jedoch nicht weiter auf ihre Frage ein, denn im Moment gab ihm etwas ganz anderes zu denken: Wie Yala dem Magier hatte entlocken können, war er es gewesen, der vor kurzem die Lagune der Phantommagie durchsuchte. Mit leichtem Schaudern dachte Tado an jene unheimliche Erscheinung zurück, die er bei ihrer Flucht vom Inneren des Tunnels aus gesehen hatte. Wenn dies tatsächlich Volds Werk gewesen war, dann hoffte er, er würde diesem Magier nie wieder gegenüberstehen müssen, erst recht nicht als Feind.
„Was genau will Telkor eigentlich mit diesem Schwert?“, fragte Yala weiter, als Tado nach etwa zehn Sekunden noch immer nichts auf ihre Worte erwidert hatte.
„Ich weiß es nicht“, gestand er. Einen Moment lang dachte er darüber nach, den anderen davon zu erzählen, wie das Schwert einst durch den Zauber des Lords versehentlich die Insel der Magier verließ, entschied sich dann jedoch dagegen. Derartiges Wissen konnte er nach Kenntnis der Gefährten gar nicht haben. „Vielleicht besitzt es eine geheime Kraft, die die Magier für die Zwecke Telkors missbrauchen wollen.“
Sehr zu seiner Erleichterung kamen in diesem Moment Lillyopha und Juphien zurück. Beide waren kreidebleich; anscheinend lag dies jedoch nicht an ihrem Gespräch mit Talaria.
„Ihr habt euch doch nicht etwa mit dem Mann dort unterhalten?“, fragte Lillyopha unsicher und deutete mit einer fahrigen Geste in die Richtung, in der Vold vor wenigen Sekunden verschwunden war. Zu ihrem Entsetzen bejahten die Gefährten ihre Vermutung. Sie schlug beide Hände an den Kopf und glitt in einer langsamen, fließenden Bewegung zu Boden, griff nach ihrem Trinkgefäß auf dem Tisch und schluckte ihre Verzweiflung mit dem darin befindlichen Wasser hinunter. Auch Juphien setzte sich wieder zu den anderen, allerdings in einer weniger dramatischen Weise.
Читать дальше