Die beiden Magierinnen tauschten kurz einige Blicke, dann wiesen sie die Gefährten an, einen Moment auf sie zu warten und in der Zwischenzeit nichts Dummes anzustellen, anschließend gingen sie gemeinsam mit Talaria zu einem recht weit entfernten Tisch, an dem bereits einige Personen warteten. Die Gefährten blieben allein zurück.
„Was werden wir als nächstes tun?“, fragte Spiffi mit überflüssig gesenkter Stimme; niemand der Magier an den umliegenden Tischen schenkte ihnen auch nur die geringste Beachtung.
„Unsere Auswahl an Möglichkeiten ist nicht gerade groß“, sagte Lukdan. „Entweder begleiten wir die Magier weiter oder wir verschwinden bei der nächstbesten Gelegenheit.“
„Ich finde es nicht richtig, sie derart zu hintergehen“, wandte Yala ein. „Immerhin retteten sie uns das Leben.“
Dem sprach Tado seine Zustimmung aus. Im Übrigen hatte er auf seiner Reise bisher viele Fluchtversuche durchleben müssen, und an keinen davon dachte er gern zurück.
„Sie haben uns nur vor dem Lord bewahrt, weil sie denken, dass unser Wissen über Telkor ihnen irgendwie von Nutzen sein wird“, erwiderte Lukdan ungerührt. „Allerdings weiß ich nicht, was genau sie sich dabei von uns erhoffen.“
„Vielleicht werden sie uns darüber noch aufklären“, meinte Tado. „Bisher haben sich nicht viele Gelegenheiten ergeben, um die Situation in Ruhe zu besprechen.“
„Und es wäre besser für uns, wenn es dabei bliebe“, ergänzte Lukdan. „Wenn wir ihnen noch weiter folgen, bringen wir uns nur in unnötige Schwierigkeiten. Wir haben auf dieser Insel nichts verloren.“
„Der Meinung bin ich auch“, stimmte ihm Spiffi zu. „Lasst uns versuchen, ein Schiff zu stehlen und damit von hier verschwinden.“
„Eine tolle Idee“, lobte ihn Yala mit deutlichem Sarkasmus in den Worten. „Weißt du überhaupt, in welcher Richtung die Küste liegt?“
„Natürlich“, antwortete der Bogenschütze unbeirrt und deutete in die Richtung, in der die Küche der Schwankmotten lag, von denen nun einige Exemplare ihren Tisch anzusteuern schienen, um ihnen etwas zu essen zu bringen.
„Wenn wir in diese Richtung gingen, kämen wir bloß zurück zur Lagune“, entgegnete Yala. Spiffi schien nicht recht zu verstehen, warum sie diese Tatsache missmutig stimmte, und so erweiterte sie ihre Antwort: „Als wir den, wie es aussah, weit und breit einzigen für Schiffe zugänglichen Küstenstreifen Telkors gestern erreichten, war es mitten in der Nacht. Den Worten der Magier zufolge brach vorhin jedoch, als wir im Wald ankamen, gerade die Mittagszeit an. Berücksichtigt man die paar Stunden, die wir in dem Tunnel verbrachten, müssen wir am frühen Morgen in der Lagune zu uns gekommen sein. Die Magier hatten also mindestens die halbe Nacht Zeit, um uns von der Küste zu ihrem Versteck zu bringen; selbst wenn wir also dorthin zurückfinden, ist die Anlegestelle, an der wir strandeten, möglicherweise noch kilometerweit entfernt und außerdem in einer uns unbekannten Richtung.“
Diese Worte nahmen Spiffi seinen Tatendrang.
„Im Übrigen“, ergänzte Tado nach einer kurzen Pause, die dem Näherkommen der Schwankmotten und dem Auftischen einiger mehr oder weniger appetitlich aussehenden Speisen geschuldet war, „bezweifle ich, dass wir vier in der Lage wären, eines der großen Schiffe Telkors alleine zu steuern.“
Damit hatte er tatsächlich nicht Unrecht, denn keiner von ihnen kannte sich auch nur im Mindesten in der Seefahrt aus. Auch Lukdan schien mittlerweile einzusehen, dass ihnen kaum eine andere Wahl blieb, als den Magiern noch eine Weile zu folgen.
„Vielleicht sollten wir doch unsere drei Führer nach dem Verbleib der Besatzungsmitglieder befragen“, sagte er nach kurzem Überlegen. „Wenn sie noch nicht tot sind, können wir sie möglicherweise befreien. Mit etwas Glück erinnern sie sich daran, in welcher Richtung wir die Küste finden.“
Tado hielt nichts von diesem Vorschlag, erwiderte allerdings nichts, sondern nahm sich stattdessen eine goldgelbe Frucht vom Tisch, bei der es sich vermutlich um eine derjenigen handelte, deren Ernte er bereits auf dem Weg zum Gasthaus hatte beobachten können. Sie schmeckte süßlich, enthielt allerdings einen großen Kern, und für einen Moment befürchtete er, sich daran einen Zahn abgebrochen zu haben, konnte sich jedoch einen Moment später beruhigt vom Gegenteil überzeugen.
„Du bist sicher, dass dieses Vorhaben weniger gefährlich ist, als sich gemeinsam mit hunderten Magiern einem der Lords zu stellen?“, fragte Yala ein wenig neugierig, denn offenbar schien sie seinem Vorschlag nicht ganz abgeneigt zu sein.
„Nein“, antwortete Lukdan. „Wie sollte ich mir sicher sein können? Aber es klingt vielversprechender als der Plan der Magier. Selbst wenn sie nämlich den Lord bezwingen, haben sie noch nicht viel erreicht. Immerhin wollen sie herausfinden, was es mit dieser merkwürdigen Zitadelle auf sich hat, und durch seinen Tod würde sich gerade einmal ein kleines Zeitfenster öffnen, in dem sie ins Innere des Gebäudes gelangen könnten. Alles, was danach geschieht, liegt im Ungewissen.“
Damit hatte Lukdan eigentlich Recht, fand Tado. Er vergaß immer wieder, dass das aberwitzige Vorhaben der Magier nur als Stein des Anstoßes für ihren eigentlichen Plan dienen sollte.
„Dein Vorschlag ist gar nicht mal so schlecht“, sagte Spiffi schließlich zu Lukdan. „Nach allem, was wir gehört haben, sind Magier mit dem Umsetzen ihrer Vorhaben auch nicht unbedingt die Schnellsten, und ehe wir es uns versehen, verbringen wir sonst noch den Rest unseres Lebens auf Telkor.“
„Mir behagt zwar der Gedanke, unsere Retter zu hintergehen, noch immer nicht“, wandte Yala ein. „Aber wenn uns schon keine andere Wahl bleibt, dann sollten wir versuchen, alle nötigen Informationen zusammenzusammeln, bevor wir in diesem ominösen Tal ankommen. Ich habe so ein ungutes Gefühl, dass uns die Magier nicht mehr entkommen lassen werden, sobald wir den Rest ihrer Gruppe zu Gesicht bekommen haben.“
Tado wollte ergänzen, dass eine ungefährliche Flucht auch zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlich bereits unmöglich war, dann jedoch spürte er, wie sich plötzlich aus dem allgemeinen magischen Sud, der ganz Telkor umgab, eine mächtige Präsenz herauszukristallisieren begann und er schluckte den Satz, der ihm auf der Zunge lag, sofort wieder hinunter. Als er den Kopf hob und zur Eingangstür des Gasthauses blickte, sah er, wie ein dunkel gekleideter, nicht gerade freundlich dreinblickender Magier den Raum betrat. Tado hatte keine Zweifel daran, dass die unheimliche Aura von diesem Neuankömmling ausging. Seine Kraft musste gewaltig sein, zwar bei weitem nicht so groß wie die der Oberen Vier, doch würde er wahrscheinlich jeden der hier Anwesenden in Windeseile vernichten können. Zu allem Überfluss schien er nun unmittelbar auf die Gefährten zuzusteuern.
„Wir sollten unser Gespräch später fortsetzen“, sagte Tado leise und deutete unauffällig in Richtung des Magiers. Die Blicke der Gefährten folgten seiner Geste; Lukdan musste sich umdrehen, da er, wie auch Lillyopha und Juphien vor wenigen Minuten, mit dem Rücken zur Tür saß. Sie alle verstanden jedoch, was Tado ihnen sagen wollte.
Der Magier benötigte noch eine ganze Weile, ehe er schließlich am Tisch der Gefährten ankam, da er auf seinem Weg durch den großen Raum immer wieder von einigen Leuten und zum Teil sogar von Schwankmotten angesprochen wurde. Er musste hier in Telkor ziemlich bekannt sein.
„Ich hoffe, es stört euch nicht, wenn ich mich einen Moment setze“, sagte er mit relativ leiser Stimme und ließ seinen Worten auf der Stelle Taten folgen. Er trug recht merkwürdige, unordentliche Kleidung, die auch nach genauerem Hinsehen noch immer den Eindruck machte, als hätte er sich einfach eines der schwarzen Segel von Telkors Schiffen um den Leib gewickelt. Allgemein machte er, verglichen mit Talaria, einen geradezu chaotischen Eindruck. Sein an einigen Stellen bereits grau werdendes Haar hing ihm wild ins Gesicht, am linken Arm hatte er einige Kratzspuren, als wäre er vor kurzem in einen Dornenbusch gefallen. Würde es sich bei ihm nicht um einen Magier, sondern um einen Menschen handeln, hätte Tado ihn auf Anfang fünfzig geschätzt. „Wisst ihr, ich kenne das Reich vom Lord des Wassers recht gut“, fuhr er fort, nachdem keiner der Gefährten es für notwendig befunden hatte, auf seine anfänglichen Worte etwas zu erwidern. „Aber euch habe ich hier noch nie zuvor gesehen; ihr mögt daher meine Neugier verzeihen.“
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