Yala erwischte einen unglücklichen Start in den Kampf, denn das Auftauchen der Kreaturen hatte sie sehr erschreckt, sodass sie, obwohl als einzige mit nur einem Angreifer konfrontiert und zudem noch bergab kämpfend, beinahe umgehend die Oberhand verlor. Der Kargahl warf sie zu Boden und bekam ihr rechtes Bein mit seinen abgenutzten, aber, wie sie sofort feststellte, trotzdem noch äußerst scharfen Zähnen zu fassen, biss mit aller Kraft zu, sodass sie vor Schmerzen aufschrie, und zerrte dann wild daran herum. Yala trat nach dem Kopf der Kreatur, doch der knöcherne Wulst ließ diesen Versuch wirkungslos verpuffen. Sie rammte ihre Hand vor Schmerz in den Waldboden und riss sich dabei einen Fingernagel an einem kleinen Stein ein, den sie daraufhin an sich nahm und verzweifelt dem Kargahl entgegenschleuderte. Das kleine Geschoss besaß keine große Wucht, denn zu allem Überfluss hatte sie mit links geworfen, doch auf groteske Weise sollte dieser Wurf eine erhebliche Wirkung zeigen: Der Stein traf zunächst nur eines der Hörner, prallte von dort zu Boden, traf anschließend den knöchernen Nasenwulst und glitt von dort, durch die heftigen Bewegungen der Kreatur maßgeblich beeinflusst, in die übergroße Augenhöhle, wo er sich zwischen Augapfel und Lid einklemmte. Der Kargahl tobte. Zornig warf er seinen Kopf in den Nacken und schlug mit einem seiner Vorderbeine gegen den Schädel. Der Stein schien sich bei diesem wilden Versuch tatsächlich gelöst zu haben, zumindest wandte sich das Wesen jetzt wieder Yala zu, die sich in der Zwischenzeit in den Besitz ihres beim anfänglichen Sturz verlorengegangenen Bogens gebracht hatte. Als der Kargahl sich erneut auf sie stürzte, diesmal in seiner vollen Größe, aufgerichtet auf den Hinterbeinen stehend und zielgerichtet ihren Hals anvisierend, ließ sie einen Pfeil fliegen. Das silberne Geschoss traf schlecht, denn die Kreatur hatte sich sehr stark bewegt, erwischte den Angreifer nur an der Schulter, doch die Macht des Bogens reichte aus, um das rechte Vorderbein aus der Gelenkpfanne zu reißen und den Körper des Kargahls ein paar Schritte zurückzuwerfen, wobei er sich überschlug und in seine weiter hangabwärts gegen die drei Magier kämpfenden Artgenossen krachte.
Tado befand sich noch immer in der Gewalt einer der Bestien. Bei seinem Sturz war ihm die Drachenklinge abhandengekommen, sodass er sich nun relativ wehrlos dem triefenden Maul eines Kargahls ausgesetzt sah. Ein nervöser Blick hangaufwärts verriet ihm, dass die Kreatur, die ihn bei seinem unfreiwilligen Fall vorhin verfehlt hatte, sich ebenfalls auf dem Weg zu ihm befand. So vergaß er jede Vorsicht und bediente sich des Goblinzaubers, um das verlorene Schwert wieder in seinen Besitz zu bringen. Er wollte nicht, dass die drei Magier mitbekamen, dass er zu niederer Magie fähig war, doch angesichts seines durchaus gefährdeten Lebens beschloss er, darauf zu hoffen, dass sie sich eher mit ihrem eigenen Kampf beschäftigten und nicht auf sein Treiben achteten. So gelang es ihm schließlich, die Klinge tief in den Bauch der über ihn gebeugten Kreatur zu rammen, ehe deren Zähne seinen Hals erreichten und womöglich durchtrennten. Die starke Steigung des Hanges machte es ihm leicht, sich gegen das Gewicht des auf ihm liegenden Kargahls aufzurichten, das Schwert aus dem Körper der Bestie zu ziehen und die schwer verletzte, aber offenbar noch immer lebendige Kreatur den steil abfallenden Weg hinunterzustoßen.
Lukdan schien derweil in seinem Kampf die Oberhand gewonnen zu haben. Zwar sah er sich weiterhin den Angriffen der drei Kargahle gegenüber, doch die Vorstöße der schleimbedeckten Kreaturen verloren stetig an Kraft und jedes Mal, wenn ihre Hörner auf die Klingen ihrer Beute trafen, fügten ihnen die Säbel immer tiefere Schnitte zu. Manchmal gelang es Lukdan sogar, einen Schlag gegen die nackte Haut der Wesen auszuführen, sodass seine Kontrahenten mit zahlreichen stark blutenden Wunden im Bereich des Kopfes übersät waren; und als sie sahen, wie auch ihre Artgenossen den Gefährten zu unterliegen drohten, da stießen sie einen dumpfen Laut aus und ergriffen die Flucht, zogen sich schnellen Schrittes in den Wald zurück und ließen ihre übermächtige Beute zurück. Auch die wenigen Kargahle, die trotz des Kampfes gegen die Magier noch immer am Leben waren, wandten sich enttäuscht ab und verschwanden im Dickicht. Für Spiffi stellte dieser Umstand ein Glücksfall dar: Er hatte sich nämlich noch immer in den Fängen einer der Kreaturen befunden und bei dem Kampf viele blutende Schrammen davongetragen. Wären seine Begleiter nur ein wenig zaghafter mit den Kargahlen umgegangen, hätte die Begegnung durchaus tödlich für den Bogenschützen ausgehen können. So kam er noch einmal mit dem Schrecken davon.
Die Magier winkten die Gefährten indes ungeduldig zu sich heran. Sie hatten bei der Auseinandersetzung mit den scheußlichen Kreaturen überraschend wenig Blut vergossen und den Zwischenfall auch deutlich souveräner überstanden. Zwei Kargahle lagen bewusstlos am Wegesrand. Ob sie tot waren, konnte Tado nicht mit Sicherheit sagen; da sie aber keinerlei Verletzungen aufwiesen, vermutete er, dass sie einem Zauber zum Opfer gefallen waren. Anders sah dagegen ein mitten auf dem Waldpfad befindliches Exemplar aus: Sein Körper strotzte nur so vor tiefen Einstichen und gewaltigen Schnittwunden, die ihm mit einer brachialen Waffe zugefügt worden sein mussten.
„Sagtet ihr nicht, dass wir vor ihnen auf dem Waldweg sicher sind?“, herrschte Yala die Magier an, noch ehe diese ihr nervöses Winken mit einigen Worten erklären konnten. Ihr Bein blutete ein wenig, doch die Verletzung schien nicht so schwer zu sein, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Zumindest schien Yala keine Probleme beim Gehen zu haben.
„Die Kargahle scheinen derzeit etwas aggressiver zu sein als sonst“, antwortete Lillyopha mit hochgezogenen Schulter, als könne sie es sich selbst nicht richtig erklären. „Wahrscheinlich liegt es an der Jahreszeit. Unter dem feurigen Himmel erhitzen sich die Gemüter auf dieser Insel stets etwas leichter.“
„Jedenfalls hat uns ihr Verhalten dazu veranlasst, unsere Pläne ein wenig zu ändern“, ergriff Crius das Wort. „Den restlichen Weg bis ins Graustaubtal werden wir erst morgen zurücklegen. Die Gefahr, dass die Kargahle in vergrößerter Zahl zurückkehren – denn das pflegen sie gewöhnlich zu tun – ist zu groß. Deshalb werden wir den angebrochenen Tag in einem nahegelegenen Gasthaus verbringen, das im Zentrum einer Siedlung von Schwankmotten liegt.“
Mit diesen sehr dürftigen Erläuterungen wollte sich Crius zum Gehen abwenden, doch Spiffis Frage ließ ihn noch einmal innehalten.
„Was genau sind diese Schwankmotten?“, fragte der Bogenschütze ein wenig misstrauisch, denn nach den bisherigen Geschehnissen war er verständlicherweise nicht besonders erpicht darauf, eine weitere von Telkors merkwürdigen Kreaturen kennenzulernen.
„Von ihnen geht keine Gefahr aus“, erwiderte der Magier. „Die Mitglieder unserer Gruppe gehen dort des Öfteren ein und aus, wenn sie auf dem Weg in die Lagune der Phantommagie sind. Schwankmotten sind sehr nette Gastgeber und die Kargahle meiden sie aus nicht ganz geklärten Gründen. Leider ist ihr Dorf auch ein beliebter Aufenthaltsort für die dem Lord ergebenen Magier, also verhaltet euch möglichst unverdächtig.“
Für weitere Erklärungen sah er keine Notwendigkeit; er drehte sich nun endgültig um und folgte wieder dem Verlauf des Weges.
„Keine Angst“, sagte Lillyopha, als sie sah, dass Tado etwas erwidern wollte. „Gorson und Parschald werden wir dort nicht treffen. Dafür sind wir mittlerweile viel zu weit von der Küste entfernt.“
Damit wandte auch sie sich zum Gehen. Die Gefährten zögerten zunächst noch ein wenig, wenngleich sie auch ohne die Anwesenheit der Magier vermutlich keine andere Wahl gehabt hätten, als dem Weg weiter zu folgen, denn irgendwie mussten sie schließlich aus dem Wald herausfinden, wenn sie jemals von dieser Insel entkommen wollten.
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