Auch Tom war von dem Unterschlupf begeistert, der sehr viel schöner war, als seine heruntergekommene Bude. Es gab sogar einen riesigen Fernseher, von dem er schon immer geträumt hatte. Ja, hier ließ es sich die nächsten zwei Wochen aushalten, von ihm aus auch gerne länger.
John war sehr zufrieden. Er saß in einem Taxi am Flughafen Heathrow und sah zu, wie die beiden Trottel Sam und Tom wie vereinbart zu ihrem Wagen rannten, den sie genau dort geparkt hatten, wo er es von ihnen verlangt hatte. Die beiden waren für den Job perfekt. Ganz in Ruhe zündete er sich eine Zigarette an, woran sich der Taxifahrer nicht störte. Wie auch? Der saß tot hinter dem Steuer. John konnte keine Zeugen gebrauchen und um diesen unfreundlichen Zeitgenossen war es nicht schade. Es war reiner Zufall, dass es diesen Mann heute traf, es hätte jeden anderen auch treffen können.
John sah auf die Uhr, als der Alarm losging. Respekt! Nur sieben Minuten, damit hatte er nicht gerechnet. Trotzdem machte er sich keine Sorgen. Alles lief bisher nach Plan. Er konnte spüren, dass nun die immer wieder eingeübten Abläufe am Flughafen abgespult wurden, die für einen Anschlag exakt ausgearbeitet worden waren. Es war an der Zeit zu gehen. John drückte die Zigarette aus und steckte den Rest ein, er durfte nicht die kleinste Spur hinterlassen. Noch wollte er die Polizei über seine Identität im Ungewissen lassen. Erst, wenn es an der Zeit war, würde er sich zu erkennen geben.
John stieg aus und schlenderte zu seinem Wagen. In aller Seelenruhe lenkte er seinen Benz durch den dichten Verkehr. Im Rückspiegel beobachtete er lächelnd, dass hektisch eine Straßensperre errichtet wurde. Er konnte die Panik in den Augen der Polizisten sehen, was ihn aber nicht beunruhigte. Dass es aufgrund der geringen Sprengkraft keine Toten und vermutlich nicht einmal Verletzte gab, hatte er exakt berechnet, er war ja schließlich kein Unmensch, außerdem war er der Beste auf seinem Gebiet. Er wollte nicht all die Leute am Flughafen treffen. Er wollte nur Panik verbreiten und das schien zu funktionieren.
Er schaltete seine Lieblingsmusik ein. Der Blick auf die Uhr bestätigte ihm, dass alles so ablief, wie es der Zeitplan für einen Anschlag vorsah. Auf die Polizei war eben Verlass. Er drehte die Musik lauter und lauschte der Musik seines Lieblingskomponisten Puccini. Die Planungsphase der letzten Monate hatte sich bezahlt gemacht, endlich konnte es losgehen. Nur noch wenige Tage und er lag mit einem Cocktail am Meer in der warmen Sonne. Good Bye England, Welcome Sonne, Strand, Meer und schöne Frauen.
Jetzt lächelte John nicht nur, sondern strahlte geradezu.
Phase eins war erledigt, jetzt war es Zeit für Phase zwei.
Die beiden Streithähne hatten sich beruhigt.
„War es das T-Shirt?“, fragte Leo, dem der nun ständig auf- und abgehende Kevin Sparks mächtig auf die Nerven ging.
„Was?“
„Wurde ich wegen meines T-Shirts heute besonders gründlich kontrolliert?“, wiederholte Leo.
„Nein, obwohl ich das echt hässlich finde. Sie müssen froh sein, dass Sie deshalb von Royalisten nicht eine in die Schnauze bekommen haben. Unsere Queen ist uns Briten heilig, auch wenn wir sie nicht alle mögen und viele von uns die Monarchie abschaffen wollen.“
„Warum dann?“
„Routinekontrolle, seit gestern besteht eine erhöhte Terrorwarnung.“
„Und ich sehe aus wie ein Terrorist?“
„Zum einen ist es verdächtig, dass Sie außer Ihrem Handgepäck nichts bei sich haben, das allein ist schon ungewöhnlich. Zum anderen ist es Ihr Erscheinungsbild.“
„Was ist damit? Ich sehe völlig normal aus!“
„In Ihren Augen mag das so sein und das nehme ich Ihnen sogar ab.“ Für Kevin Sparks war das Gespräch beendet, aber für Leo noch lange nicht. Er stand auf.
„Was soll an mir nicht stimmen?“, fragte er nun gekränkt. Er war es leid, dass jeder Dahergelaufene an ihm und seinem Outfit herummäkelte.
„Sie sehen aus, als wären Sie in den achtziger Jahren hängengeblieben. Die Jeans hat einen unmöglich altmodischen Schnitt, die Lederjacke ist mindestens zehn Jahre alt und Ihre Cowboystiefel haben auch schon bessere Zeiten gesehen. Und wo, zum Henker, haben Sie eigentlich dieses potthässliche Bordcase gefunden? Auf dem Sperrmüll?“
Jetzt war Leo richtig sauer. Ja, das Bordcase war reine Geschmackssache. Es war aus hellblauem Kunstleder, auf dem sich alte Aufkleber befanden. Dieses Bordcase, das eigentlich keines war, war einwandfrei und gehörte früher seiner Mutter, die damit weit gereist war.
Noch bevor er etwas auf diese ungeheuerlichen Frechheiten erwidern konnte, klopfte es an der Tür. Nicht zaghaft, sondern heftig.
Leo machte Anstalten, die Tür zu öffnen, aber Sparks hielt ihn zurück.
„Es ist bei einem Terroranschlag untersagt, die Tür zu öffnen“, sagte er bestimmt.
„Das ist ja lächerlich! Erstens wissen wir noch nicht, was wirklich passiert ist, weil wir hier sinnlos in diesem kleinen Kämmerlein sitzen, und zweiten…“
„Und zweitens?“
„Ach, leck mich!“ Leo hatte die Türklinke schon in der Hand, da bekam er von Sparks einen heftigen Schubs, der ihn fast zu Fall gebracht hätte.
„Wer ist da?“, rief Sparks laut, aber er bekam keine Antwort. „Hallo? Wer ist da?“, wiederholte er.
Anstelle einer Antwort klopfte es erneut.
Nun wurde Leo hellhörig, denn die Reaktion war nicht normal. Diesmal gab er Sparks einen heftigen Schubs, wodurch dieser hart auf den Boden fiel. Noch bevor Sparks realisieren konnte, was gerade passierte, gab es einen Schuss, gefolgt von einem zweiten.
Die beiden Männer sahen sich erschrocken an. Sie saßen in der Falle.
Hans Hiebler reagierte sofort, als er kapierte, was ihm Christine Künstle gerade berichtete. Als sie ihn nicht erreichte, war sie zu ihm gefahren und hatte ihn quasi überfallen. Er nahm seinen Geldbeutel und den Autoschlüssel.
„Krohmer weiß Bescheid?“
„Nein, wie denn? Auch er hat sein Handy ausgeschaltet….“
„Gut.“ Hans wählte die Nummer seines Chefs Rudolf Krohmer, erreichte ihn aber nicht. Dann wählte er die Nummer von Krohmers Frau. „Es ist dringend, Luise, ich brauche den Chef.“ Krohmer hörte gespannt zu, auch der reagierte erschrocken. Warum hatte er gerade heute entgegen seiner Gewohnheit die Nachrichten nicht verfolgt? Sofort schaltete er den Fernseher ein. Die Bilder schockierten ihn.
„Ich fliege nach London und versuche dort, ihm zu helfen“, sagte Hans fest entschlossen.
„Was wollen Sie dort ausrichtigen? Überstürzen Sie nichts, Hiebler. Sie werden keinen Flug bekommen, die Flughäfen sind sicher alle dicht.“
„Machen Sie sich darüber keine Sorgen, ich werde einen Flug bekommen. Versuchen Sie, sich ein Bild über die Lage in Heathrow zu verschaffen und informieren Sie Leo.“ Er gab Krohmer die Nummer des Engländers. „Leos Handy ist zu jeder vollen und die von Sparks zu jeder halben Stunde eingeschaltet. Drücken Sie uns die Daumen!“
„Mach ich! Melden Sie sich bei mir, sobald Sie einen Flug haben, verstanden?“
„Alles klar, Chef.“
Krohmer schaltete den Fernseher ein und notierte alle wichtigen Punkte. Er verstand den Kollegen Hiebler, er an seiner Stelle hätte auch so gehandelt.
Hans lief zum Wagen, während er versuchte, einen Flug nach London zu bekommen. Christine ignorierte er einfach. Die war stinksauer und konnte nur seinem Wagen hinterhersehen. Sie stieg in ihren und fuhr davon. Für sie war klar, was sie jetzt tun musste. Sie rief Tante Gerda an, die neben dem Telefon wartete.
„Dein unverschämter Neffe hat mich einfach stehen lassen. Kannst du mir einen Gefallen tun, Gerda? Kannst du versuchen, einen Flug nach London für mich zu buchen? Die Fluggesellschaft und der Preis sind völlig egal. Buche einfach den nächstbesten Flug nach London.“
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