Er schaute sie interessiert an. Sie gefiel ihm. Unter dem schwarzen Pony blickten ihn zwei dunkelbraune Augen leicht spöttisch, zugleich auch offen und neugierig an. Das Gesicht war leicht gebräunt, vermutlich zeigten die ersten Sonnenstrahlen bereits ihre Wirkung. Sie musterte ihn nicht, sie versuchte, ihn einzuschätzen. Dennoch musste sie sich eingestehen, dass er seine Wirkung bei ihr nicht verfehlte. Seinem Blick hielt sie so lange stand, bis er die Augen abwandte. “Seit wann wohnen Sie hier?”, eröffnete sie das Gespräch. “Seit gut acht Wochen, aber es ist noch nicht alles richtig fertig geworden”, erzählte er. Rebecca setzte sich an die Kopfseite des Tisches. Sie beobachtete ihn und drehte den kleinen Löffel gedankenverloren zwischen ihren Fingern. Wie immer, wenn sie konzentriert war.
“Sie mögen Hunde?”, fragte er. Obwohl Murphy ihm schon selbst die Antwort gegeben hatte. Der Hund spürte sofort, ob jemand Angst hatte, ihn ablehnte oder ihm zugetan war. Auf die Frauen, die Nick er bisher kannte, trafen die Punkte eins und zwei zu. “Sehr”, antwortete sie. “Ich hoffe, er hat sich anständig benommen und nichts angefressen? Ich habe ihn nicht richtig gut erzogen, und er ist manchmal etwas wild. Foxterrier eben”, lächelte er entschuldigend. “Nein, nein, alles in Ordnung. Er hatte lediglich in meinen Strümpfen einen Feind entdeckt, den es zu bekämpfen galt. Aber das ist okay”, sagte sie und lachte, als sie an die Szene dachte. Ihr feines Lachen und ihre wachen Augen berührten Nick sehr. “Wenn er etwas kaputt gemacht hat, sagen Sie es mir bitte. Ich ersetze es”, bat er sie. Sie winkte ab. “Alles gut.” Und er glaubte ihr.
“Kennen Sie die anderen Bewohner hier? Ich meine, Sie wohnen doch hier bestimmt schon etwas länger…”. Ja, sie wohnte hier schon länger, aber die meisten kannte sie auch nur vom Sehen oder von einem “Guten Morgen”. “Ich kenne die Leute nicht sehr viel näher. Tagsüber ist es hier meistens sehr ruhig, dann sind fast alle arbeiten”, erzählte sie, während Nick sie über den Rand seiner Kaffeetasse beobachtete. Murphy stand auf, trank etwas, kam zu ihr, stellte sich auf die Hinterbeine und legte ihr die Vorderpfoten auf die Oberschenkel. Er wollte beachtet werden. Sie streichelte ihn
Nick beobachtete die Szene. Als er in die Küche gekommen war, hatte er außerdem schon registriert, dass sie dem Hund eine Wasserschüssel hingestellt hatte. Gute Wahl, Murphy, dachte er anerkennend. “Mach Sitz, Murphy”, sagte er. Der Hund gehorchte, setzte sich, wandte den Blick aber nicht von ihr. “Er soll Leute nicht immer so anspringen.” “Ach, das ist doch gar kein Problem.” Wieso hatte ein solcher Mann einen Hund? Was wollte er damit? Diese Fragen gingen ihr nicht aus dem Kopf.
“Und Sie haben Urlaub?” Die Frage zielte darauf, dass er ebenfalls nicht arbeitete. “Nein, nein”, er schüttelte amüsiert den Kopf. Was war daran so lustig? Ihr Blick traf ihn. Es war unfair, sie konnte es ja nicht wissen. “Ich bin Manager in einer Bank”, das war stark untertrieben. “Heute ist nur alles irgendwie schiefgelaufen. Meine Haushaltshilfe ist krank, deswegen konnte sie nicht auf Murphy aufpassen. Also wollte ich ihn mit zur Arbeit nehmen, dabei ist er mir entwischt. Den Rest kennen Sie.” Während er erzählte, blickte er sie offen an. “Und was ist mit Ihnen?” Small Talk at its best, dachte sie, Austausch von Höflichkeiten. “Ich arbeite als Journalistin in einem Verlag. Deswegen habe ich zuweilen unkonventionelle Arbeitszeiten”, fasste sie kurz zusammen, “so dass ich heute erst ab ungefähr mittags in der Redaktion arbeiten werde.”
Nick schaute sie noch intensiver an. “Welcher Verlag denn? Und worüber schreiben Sie?”, fragte er weiter. Rebecca lächelte. “Morgennews-Verlag. Und ich schreibe in der Hauptsache über Politikthemen”, antwortete sie. “Dann habe ich also schon mal von Ihnen gelesen?”, fragte er interessiert. “Wenn Sie nicht nur den Wirtschaftsteil lesen, vermutlich schon”, antwortete Rebecca vorsichtig. “Ich werde darauf achten. Schön, auch mal die Journalisten hinter den Artikeln kennenzulernen”, erwiderte Nick. “Sie haben also nicht regelmäßig mit den Medien zu tun?”, fragte Rebecca weiter. “Eher selten.” Eine leichte Spannung baute sich auf. Ihre Erfahrung sagte Rebecca, dass ihm das Thema nicht behagte und er es beendet wissen wollte. Sollte sie weiterfragen, würde sie sich auf unsicheres Terrain begeben. Männer wie Nick Hutton waren es gewohnt, Unterhaltungen zu bestimmen. Als Journalistin interessierte sie das nicht sonderlich, denn es war ihr Job, Menschen zum Reden zu bringen und sich nicht von ihrem Äußerem beeindrucken zu lassen. Aber in diesem Fall hielt sie sich zurück, es war schließlich kein berufliches Treffen.
Murphy schien ihr als Thema besser geeignet. “Nehmen Sie Murphy öfter mit ins Büro?”, fragte sie stattdessen, um zu zeigen, dass sie seine Unterhaltungsführung verstanden hatte. “So oft wie möglich. Sonst bräuchte ich keinen Hund, wenn ich ihn fast nie sehen würde”, antwortete Nick, nachdem er noch einen Schluck Kaffee getrunken hatte. “Dann scheinen Sie ja einen toleranten Arbeitgeber zu haben”, sagte Rebecca, mit etwas Neid in der Stimme. “Das kann man glücklicherweise so sagen, ja. Meinen Arbeitgeber interessieren die Ergebnisse mehr als die Umstände.” Nick lächelte leicht spöttisch. Offensichtlich wusste Rebecca wirklich nicht, wer er war. Und er ließ sie gern in ihrem Glauben.
“Wenn Ihnen Ihre Haushaltshilfe nochmal absagt, bringen Sie Murphy gern zu mir, falls es bei mir zeitlich passt. Er sorgt für Abwechslung.” Das Angebot war ehrlich gemeint. Das Schmunzeln auch. Nick war einigermaßen überrascht. “Ja, sehr gern. Aber nur, wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht.” Er freute sich sehr. Sie war offenbar doch schwieriger einzuschätzen, als er zunächst gedacht hatte. Er war es gewohnt, dass Frauen von ihm beeindruckt waren und er leichtes Spiel hatte. Bei Rebecca war er sich nicht sicher. Bisher war sie eher reserviert gewesen. Aber sie kannten sich ja kaum.
Rebecca erging es ebenso. Sie war überrascht von sich selbst. Warum hatte sie ihm das Angebot gemacht? Was wollte sie mit einem Hund? Oder wollte sie ihn? Ein nerviges Summen riss sie beide aus ihren Gedanken. Ihr Handy. Neue Nachrichten trudelten ein. “Sorry, danach muss ich schauen”, setzte sie an. “Kein Problem. Ist mir bekannt. Ich möchte Sie auch gar nicht länger aufhalten. Danke für den Kaffee und fürs Murphy-Einfangen.” Er erhob sich, Murphy mit ihm. Diese Kombination aus Machtbewusstsein, Lässigkeit und Souveränität hatte sie so noch nie zuvor bei einem Menschen gesehen.
Er bewegte sich auf einem schmalen Grat zwischen Arroganz und Smartness – das allerdings sehr gekonnt. Dieser Faszination konnte sie sich nur schwer entziehen, wie sie sich eingestehen musste. Sie begleitete die beiden bis Tür: “Es hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen. Einen schönen Tag noch. Wir werden uns ja bestimmt wiedersehen – wo wir doch Nachbarn sind.” Rebecca zweifelte keine Sekunde daran. Der Satz war leicht gesagt, aber ernst gemeint. “Hat mich auch sehr gefreut.”
Ich kenne diesen Typen, grübelte Rebecca, nachdem die beiden ihre Wohnung wieder verlassen hatten. Sie setzte sich wieder an ihren Laptop im Arbeitszimmer. Eine kurze Anfrage bei Google verriet ihr, dass er nicht nur einfach “Manager in einer Bank” war. Er war Hedgefondsmanager. Einer der bekanntesten und erfolgreichsten dazu. Kein Wunder, dass er seinen Hund ins Büro mitnehmen durfte – er war der Boss. Über sein wahres Vermögen gab es nur vage Angaben. Einige Auszeichnungen, ein paar Bilanzen seiner Arbeit, bei welchen Events er mit welcher Frau gesehen wurde, ziemlich viele Links zu Klatschportalen und Blogs. Das Übliche eben.
Doch alles in allem schien ihr die Trefferliste recht kurz. Keine Accounts in den einschlägigen Social Networks. Keine wirklichen News. Rebecca hatte ihr Spezialgebiet eher in der Politik. Dort unterhielt jeder Polit-Promi – und vor allem die, die sich dafür hielten – über alle mögliche Auftritte in Social Media. Die Finanzbranche schien ihr dagegen regelrecht verschwiegen. Egal, Rebecca musste sich auf ihre eigene Arbeit konzentrieren. Später, wenn sie etwas Zeit hätte, würde sie die Recherche intensivieren.
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