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Das Vollkommene Leben.
Ein hermeneutischer–amerikanischer Gesellschaftskrimi für Germanisten.
T. Alfred Taylor
Copyright: © 2014 T. Alfred Taylor
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-3241-9
Das Vollkommene Leben
Ein hermeneutischer–amerikanischer Gesellschaftskrimi für Germanisten
Von T. Alfred Taylor
Kapitel 1 – Phoenix, Arizona 1992
Kapitel 2 – „Himmelshafen“
Kapitel 3 – Kaffee
Kapitel 4 – Ein Lächeln
Kapitel 5 – Das Lokal
Kapitel 6 – Auszüge aus einem Brief von Keeps-Duggan des Jahres 1997
Kapitel 7 – Auszüge und Zusammenfassungen aus Ferngesprächen und Briefen
Kapitel 8 – Studentische Sinnsprüche
Kapitel 9 – Willensfreiheit, Gedankenfreiheit, Wissensfreiheit
Kapitel 10 – Tasse
Kapitel 1 – Phoenix, Arizona 1992
Meine Veranda geht auf die Weite der menschenleeren Wüste Arizonas hinaus. Als ich am frühen Morgen – viel früher als sonst – aufstand und wie gewohnt als erstes am Tag die Veranda betrat, um kurz den Ausblick zu genießen, wurde ich von neuem von der wohltuenden Vermengung und Bilanz der sich bietenden, erhaben tief in den Horizont hineindringenden augenmaßtrotzenden Aussicht erfaßt. In weiter Ferne verstreute, steilwändige Hügel warfen dunkle langgezogen Schatten, die sich gestochen scharf von dem blendend sonnenbeschienen, in Grau und Rot getauchten Flachland abhob. Der sich aus dem Überblick heraus ergebenden kristallen stillen Starre der weitläufigen Umgegend stand ahnungsweise, in einer den Sinnen zu vermittelnden Nähe, das wachende Regen und Rühren kleinster Lebewesen entgegen, von denen es an der Zahl und Gattungsvielfalt überraschend in Hülle und Fülle gibt. Überraschend, weil, wenn die meisten an eine Landschaft denken, der die Bezeichnung, “Wüste” zugewiesen ist, ihnen in der Regel gleich das Bild durchgängig wehender Sanddünnen, jäher und gefährlicher Temperaturschwankungen, allgemein dem Leben unwirtliche Verhältnisse in den Sinn kommt. Dieser Begriff, Wüste, ist jedoch in seiner tatsächlichen Anwendung ein breiter, ein Sammelbegriff, der, eben weil er eigentlich keine verbindliche Vorstellung übermittelt, nun einmal salopp verwendet werden kann. Er unterzieht sich in vielen Fällen erst im Erlebnis, in selbstgemachter Erfahrung einer festen bedeutsamen Präzisierung, die wohl des öfteren herzlich wenig mit der zur Metapher gewordenen Gleichsetzung von Wüste mit Lebensleere zu tun hätte. Denn unbeirrt hier, in meiner Wahlheimat, den Uneingeweihten wahrscheinlich wider aller Erwarten, zeigt sich nicht nur das pralle Bestehen gedeihenden Lebens, wohl aber auch, da die Bedingungen eingestandenermaßen schwer sind und wenig einladend wirken, die bewundernswerte, dazugehörige Zähigkeit von alledem, was sich Wurzeln fassend oder kreuchend und fleuchend behauptet. Gleichwohl um sie alle zu sehen ist mitunter ein geduldiges, geschultes Auge erforderlich, denn der abweisend hartsteinige, rauh–karge zerklüftete Boden bietet den meisten, ohnehin gut getarnten Tierarten reichlich Verstecksgelegenheiten, die unweigerlich wahrzunehmen, nun ein Gebot der Natur zu sein scheint. In der um diese Tageszeit meist vorherrschenden Windstille, und da es noch zu früh für das Einsetzen der Verkehrsstoßzeit war, waren von der sämtlichen motorisierten Verkehrswegen abgewandten Rückfront des Bungalows nur noch das lieblich leise zwitschernde Stakkato etlicher, ihre Wege wohlwissend und muntergeschäftig begehenden Vogelarten sowie einen gelegentlichen, sanften, das Ohr anhauchenden Luftzug zu vernehmen. Zu dieser Jahreszeit, im Frühlenz, kurz nach der Morgendämmerung, ist es für gewöhnlich recht kühl, den Übergang aufzeigend von einer Nacht, die ihrer Kälte wegen ohne Schutz nicht zu vertragen ist, zu dem Tag, dessen zeitweilig übermäßige Wärme Vorsicht gebietet. Meinem Dafürhalten nach ist diese Witterung der idealste und lieblichste Klimazustand, der die Arizona–Natur, und ich nehme an, wohl auch jedes Wüstengebiet überhaupt dem Menschen zuteil werden lassen kann. Da hat man Abwechselung im Maße, im Rahmen erträglicher Extreme, und zwar in einer Kulisse, die die Seltenheit und eben deswegen die Kostbarkeit eines wahren, das heißt unbekümmerten, unversiegbaren und unbezwingbaren, ja eigentlich geradezu beneidenswerten Lebenswillens unterstreichen und würdigen läßt. Es ist schön, die Natur selbstbetätigend, eine Mitte für uns heraufbeschwörend zu erleben, ein Wohlgefühl, das vorhält, solange man nicht zu viele Fragen stellt. Denn diese Mitte ist sowohl eine erfreuliche als auch vornehmlich im Grunde eine zufällige, wofür man überhaupt nichts kann.
Der Grund, warum ich mich fast tagtäglich in dieser zu einem festen Ritual gewordenen Gewohnheit ergehe, ist, mich einfach von den Größenverhältnissen der Wüste lästig kleinliche Sorgen zerstreuend und verscheuchend ergreifen zu lassen. Das wird mir bestimmt den Vorwurf ein hoffnungsloser Romantiker zu sein einhandeln. Und ich gebe es gerne zu, aber das ändert nichts an der realen Erfahrung, daß die meisten vernünftigen Menschen eines gewissen Maßes bedürfen, auf eine Ausgewogenheit der Dimensionen ihrer wahrnehmbaren Welt angewiesen sind, wie uns Goethe dies belehrte und vorlebte, und der bekanntlich, oder eher der eigenen Aussage nach keine romantischen Flausen im Kopf gehegt habe.
Wie dem auch sei, an jenem Morgen verfehlte das morgige Ritual die erhoffte Wirkung, denn statt zeitweilig vollends in dem Anblick der Wüste aufzugehen, war ich eher von gänzlich anderweitigen Anliegen beansprucht, dadurch von gespaltenen Gefühlen erfüllt. An dem Morgen, nämlich, sollte ich nach Los Angeles fliegen, was schon an sich eine garstige Sache ist – verzeihen Sie mir meine Vorurteile, aber die Stadt ist meines festen Erachtens der Nährboden ausfallendster kultureller Auswüchse, Spitzenreiter in der Erzeugung all dessen, was unfugmäßig im Namen der Freiheit geschehen könnte. Was ich daran jedoch am meisten ärgerlich finde, ist daß sein Einfluß weltweit zu spüren ist, und somit zum Teil auch der Vorbote des noch auf uns alle Zukommenden, insofern wir alle mehr oder minder, aber insgesamt zunehmend erfolgreich Freiheit und Zwanglosigkeit anstreben, und diese dort in nie dagewesenem Ausmaß erreicht sind. Daß Los Angeles dadurch, was es an Freiheitsbegriffen vertritt sowie, was es an Weltheilern und Menschheitsbeglückern bis hin zu den Ikonen der “Popkultur” hervorbringt, zum Vorbild genommen wird, zum Ziel und zur Kulisse so vieler Träume avancieren konnte, ist eingestandnermaßen nicht ganz gewollt noch selbstverschuldet. Denn Los Angeles ist für die Einwohnerschaft der Nabel der Welt und kümmert sich wenig um die Begebnisse und Geschehnisse im übrigen Erdball, vorausgesetzt betreffende Einwohnerschaft sich der Existenz einer wirklichen übrigen Welt, die mehr als Filmkulisse dienen könnte, überhaupt noch bewußt ist.
Daß die Hochburg nervtötender Banalität, die Heimat schell– und kurzlebiger Moden und bahnbrechender Lebenswandel, die alle auf zwei Punkte gebracht auf witzlose Sinnlichkeit und unbedarfte Selbstdarstellung hinauslaufen, zur Leuchte am geistigen Horizont von eigentlich gescheiten Leuten aufsteigen konnte, geht über meine leider bescheidenen Begriffe, zumal noch in Rechnung gestellt wird, daß dieser geistigen Ödnis offenkundig und allbekannt eine ungehemmte Geldjagd zugrunde liegt. Sollte dabei ein Erfolg eintreten, dann will er raschstens und möglichst auffällig, sprich geschmacklos zur Schau gestellt werden. Ich will nicht ungerecht sein, es gibt in dieser Stadt genug nette beständige Leute, ohne die die Stadt schon längst zugrunde gegangen wäre. Aber wie jeder weiß, der etwa für eine Vorlesung oder Unterrichtsstunde vor einer Gruppe von Studenten gestanden hat, es entwickelt sich oft in einer Menschenansammlung eine kollektive Persönlichkeit, die nicht im geringsten mit der Wesensart oder Eigenart auch nur eines der Teilnehmenden zu tun hat. Dieses Phänomen auf eine Stadt bezogen bestimmt nicht zum geringen Teil die vorherrschende Stimmung, den genius loci der Stadt, in dessen Bildung die Anständigen in diesem Fall als langweilig geltend nicht übermäßig ins Gewicht fallen. Das x–beliebig gestaltet Tonangebende von Los Angeles wird nur von dem einen, von der gerade in Mode geltenden Art des Arriviertseins getragen und beflügelt, dem allemal Geld bzw. die dadurch ermöglichte, zum Idealismus hochstilisierte Freiheit unterliegt. Denn im Grunde, wie es dort im Volksmund so schön schnöde heißt: Money talks, shit walks. Nirgends sonst steht das Leben derart nackt da bar allgemein zwingender Wertvorstellungen oder zum Handeln und Denken richtunggebender verbindlicher Traditionen oder gemeinschaftlichen Rückhalt gewährender Glaubenszwänge.
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