Daß ich der Aufforderung des Studenten nachkam, lag daran, daß ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte, den am Rufmord schadenfröhlich wichtigtuerisch beteiligten Professoren zumindest ein Schlägchen ins Gesicht zu verpassen, und daß ihre Seilschaft vielleicht einen kleinen Riß abbekam. Darüber hinaus habe ich mir nicht viel versprochen. Denn bewußte Professoren saßen fest im Sattel, waren beamtet, sprich unschassbar, was ihnen die Führung eines unendlichen Zermürbungskrieges ermöglichte, zu dessen gelungener Durchführung Freiheit kein Hindernis war. Dies war ein Kampf, dessen Ausgang bereits zu Beginn eine ausgemachte Sache war, weil er auch noch von der Zunft zugehörigen Kollegen und Zeitgenossen aus anderen Universitätsabteilungen im Akademischen Senat bestimmt werden sollte. Wie heißt das bei Bernard Shaw? “Jeder Beruf ist eine Verschwörung gegen die Öffentlichkeit”, oder so Ähnliches, was man wohl auch von jeder Gruppierung sagen kann, vor allem wenn durch ein Bedürfnis nach einem Zusammengehörigkeitsgefühl gesteigert eine Suche nach “Identität” losgetreten wird. Nur die Hohlen und Leeren, das heißt nun letzten Endes die Schwachen brauchen nun einmal eine Identität irgendwo aufgeklebt, und die moralisch Schwachen mögen je nach dem Geschmack des jeweiligen Beobachters verächtlich oder mitleidenswert sein, sind aber zu jeder Zeit ungleich hinterhältig gefährlicher als ihre anderweitig und sinnvoller geistig gesonnenen und dementsprechend beschäftigten Zeitgenossen.
Nicht nur die Ansatzbedingungen der Klage litten unter Schlagseite zuungunsten des Studenten, sondern auch die möglichen Ergebnisse und Folgen für beide Parteien lagen schief. Wie oben erwähnt, die Professoren bewegten sich in uneingeschränkter Freiheit und Unverwundbarkeit, für den Studenten stand alles, seine Existenz auf dem Spiel. Und eben aus diesem Grund kämpften sie, auch noch mit kostenloser Rechtsvertretung bestückt, so unerbittlich verbissen, eben weil für sie sowenig außer ihrer Eitelkeit auf dem Spiel stand. Das Bewußtsein, daß man gut verschanzt, rundum gedeckt und von oben herab eine Existenz mit einem Federstrich zunichte machen kann, muß nachgerade ein berauschendes sein. Das merkte man unter anderem an ihrer überzogenen selbstzufriedenen Betulichkeit. Um dem Vorwurf zu entgehen, daß die Mannsbilder darunter elfenbeinturmnaiv seien und einen unmännlichen Beruf gewählt hätten, legten sie eine forsche Bereitwilligkeit zur Gemeinheit an den Tag. Denn, wer die Fähigkeit dazu klipp und klar aufweist, kann gar nicht naiv sein, oder? Natürlich sind nicht alle sich mit Literatur und Philosophie, Kunst und Musik sich befassenden akademischen Einrichtungen mit derlei Personal belegt. Aber in einer kleinen, hermetisch abgeschotteten Welt, um die sich sonst keine Sau kümmert – ich bin felsenfest davon überzeugt, wenn heute die ganze Deutschabteilung mit Maus und Mann restlos in irgendeiner Versenkung verschwände, würde dies morgen nicht direkt Betroffenen nicht im geringsten auffallen, geschweige denn unbedingt Aufsehen erregen – findet man allzu oft einen festen, bürokratisch abgesicherten Unterbau für jegliches Tun und Lassen und damit reichen Anlaß für eine maßlos positiv–schmeichelhafte Selbstschätzung, die einer auftrumpfenden Wichtigtuerei weichend und pompöses Gewese fördernd sich nicht von einer unabhängigen obwaltenden Realität bremsen läßt. Da täuscht man aus dem Nichts ein unanfechtbares Sein vor, und wenn dem tatsächlich so sei, muß nun das weitere Treiben im einzelnen glattweg unmotiviert, d.h. nichtig wirken. Wie der gute alte Hegel hinwies: Das reine Seyn ist eben nichts.
Man möge hier einwenden, daß eine die Professoren bestätigende Instanz von außerhalb doch vorhanden war. Denn da hat auch ein Gastprofessor den besagten werten Professoren beim auf der sanften Tour begangenen Meuchelmord des Betroffenen durchaus nützliche Schützenhilfe geleistet. Das war ein Mensch, den ich zwar nur im Vorbeigehen erlebt habe, aber auch flüchtigerweise ließ er es sich nicht entgehen, seinen markanten Mangel an Schliff zu erkennen zu geben. Gleich zu Gleich gesellt sich eben liebend gern. Also doch: trotz auswärtigen Besuchs aus dem Norden Deutschlands, lag nichtsdestominder ein geschlossener gesinnungsbedingter Kreis unversehrt vor. Erst im Kampf zeigt sich das wahre Wesen, im Wofür, Warum und Worum, aber zumal im Wie.
Da wird man sich wohl gewundert haben, wie ich anno dazumal als Student durch diese Klippen laviert habe. Die Antwort: Reines Glück, daß ich schon in älteren Jahren auf ein Germanistikstudium umgestiegen bin, hat nichts geschadet, aber auch, daß die Deutschen, mit denen ich zu tun gehabt habe, aus der alten, jetzt fast ausgestorbenen Schule und absolut integer waren. Die haben es fertiggebracht, daß unliebsame Zusammenrottungen und verschwörerische Kumpaneien in Keim erstickt wurden, wenn ich selber zeitweise etwas aneckte. Hätte es sie nicht gegeben... wer weiß, wo ich gelandet wäre? Im akademischen Bereich, wo der Mensch nicht zweckmäßig mäßigenden Zwängen unterworfen ist, zeigt sich allzu oft die eigentliche raubtierische Fratze von den allseitig anzutreffenden Ottilia und Otto Normalverbrauchers. Da erhebt sich nur noch die Frage, um was für Raubtiere es sich dort handelt, die da so ungehemmt tummeln? Antwort: alles was sich vorstellen läßt: ideologische Raubtiere, karrierelechzende, politische d.h. gern Ränke schmiedende, Egoraubtiere, sexuelle, und, und, und… Weitere Frage: Wer war der Doktorvater vom lieben Gott?
Die Wüste war vergessen, zumindest die richtige. Ich spähte ein letztes Mal in die von mir liebgewonnene Arizona–Wüste, ohne daß sie sich auf mich auswirkte, drehte mich um und ging in die Küche, um Kaffee aufzusetzen. Während der Kaffee kochte, sah mich in meiner spärlich und spartanisch, jeglichem Hagestolz zur Ehre gereichend eingerichteten Wohnung um, faßte den Vorsatz, irgendwann mal wieder für Ordnung zu sorgen. Nicht, daß ich von Haus aus unordentlich bin, sondern daß einem zur Verfügung stehende Zeit zu eng bemessen ist, hat an dem beklagenswerten Zustand schuld. Zwischen Konferenzen und Sitzungen, Büro– und Lehrstunden sowie dem Abfassen von zu veröffentlichenden Artikeln und Buchbesprechungen blieb nicht viel Zeit übrig für sonstig Zweitrangiges. Ich hielt damals Ordnung im Großen für wichtiger denn Ordnung im Kleinen. Letztere ergebe sich irgendwann von selbst, und wenn nicht, dann sei die Schadensbegrenzung auf übersichtliche Weise zu handhaben.
Ich holte aus meiner Schreibstube meine Zigaretten, um, einem festen Entschluß folgend, auf Vorrat meinem mir liebgewordenen Laster tüchtig zu frönen, und das heißt mich beim Kaffeetrinken satt zu schmauchen. Die Aussicht auf einen Aufenthalt in Kalifornien, in dem Land des außer Rand und Band geratenen Kokainkonsums aber dafür des unbegrenzten Rauchverbotes, tat nun ein Übriges, meine ohnehin gedämpfte Stimmung noch ärger zu vermiesen.
Beim Kaffee wendeten sich meine Gedanken wieder zu der bevorstehenden Aufgabe. Ich meine damit nicht meine Lehrtätigkeit als Professor für deutsche Literatur, wo der stillschweigende Auftrag im Grunde heißt, gegen Unwissenheit und Stumpfsinnigkeit ankämpfen, auch wenn die Studenten unwillig oder aber auch geradezu unfähig sind, sondern an die Gerichtsverhandlung und deren Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit stellte den Wert und die Erfüllung des ersten Auftrages gründlich und konsequent in Frage und machte ihn dadurch umso kräftezehrend schwerer und aussichtsloser. Denn der volle Auftrag lautet, beseitige die Unwissenheit und ein besserer, stärkerer, anstandsbewußterer Mensch werde sich da schon entpuppen. Sie halten mich wohl für blauäugig, wenn ich sage, daß ich an diesen Grundsatz glauben will. Gleichwohl, daß große herrliche Literatur, mit der die Professoren, mit denen ich mich demnächst würde herumschlagen müssen, bestens vertraut sind, sowenig Wirkung, Niederschlag in deren persönlichem Denken und Verhalten zeigte, wirft die alte sokratische Fragestellung erneut auf, wo die Grenze der Erziehbarkeit des Menschen läge, ob Weisheit oder auch nur ihre niederen Erscheinungsweisen wie Aufrichtigkeit und Höflichkeit überhaupt vermittelbar sei. Ich befürchte, daß die Frage, in diesem Fall wenigstens, entschieden mit einem schallenden Nein beantwortet werden muß. Diese Erkenntnis, daß Bildung nicht unbedingt bildet, ist natürlich nichts Neues und fand ihre extremste Erscheinungsform während des zweiten Krieges in bestimmten Konzentrationslagern mit hauseigenen Orchestern – der Sträfling, der an einem Tag Brahms zum Ergötzen der Henker spielen durfte, hat nicht selten tags darauf durch die von ihm soeben Muntergemachten sein Leben lassen müssen. Bösewichter haben also doch durchaus ihre Lieder und beides muß nicht nur irgendwie zusammenpassen, sondern kann auch sich gegenseitig bedingen.
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