1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 davon gerade noch auffangen, bevor es auf dem Boden aufschlug.
Sie schien es nicht einmal zu bemerken.
Kite betrachtete sie gedankenverloren. Sie war so wunderschön.
Selbst jetzt, mit den roten Flecken auf den Wangen, die von ihrer
Aufregung herrührten. Er verfolgte ihre Bewegungen und wie sich
ihr ewig langes Haar dabei bewegte. Schon mehr als einmal hatte
er sich vorgestellt, wie es sich wohl anfühlen musste.
Unglücklicherweise war sie brillant. Sie war Helembertus beste
Schülerin und würde eines Tages in seine Fußstapfen treten. Und
er? Sein Wissen reichte gerade, um junge Heiler ausbilden zu
können.
Wie konnte er da mithalten?
„Kite? Hört Ihr mir überhaupt zu?“, Mia drehte sich zu ihm um und
sah ihn aus ihren smaragdgrünen Augen besorgt an.
„Fehlt Euch etwas?“, mit zwei schnellen Schritten war sie bei ihm
und kam erschreckend nah.
Sie legte eine Hand an seine Wange, „Eure Temperatur scheint
normal zu sein. Aber Eure Augen sind so glasig und Ihr scheint
irgendwie abwesend zu sein …“
Sie duftete so unbeschreiblich gut, eine Mischung aus
Maiglöckchen und Regen.
Er zuckte leicht zurück. Er musste unbedingt aufhören sich wie ein
Trottel aufzuführen. Er legte seine Hand über die ihre, die noch
immer an seinem Gesicht ruhte.
„Mir fehlt nichts, Mia.“, langsam führte er ihre Hand fort. Seine
Wange fühlte sich ohne ihre Berührung seltsam verlassen an.
„Seid Ihr Euch sicher? Irgendwie scheint Ihr heute nicht Ihr selbst zu
sein …“
Das liegt vielleicht daran, dass Ihr mich für eine gefühlte Ewigkeit
verlassen wollt und ich mich jeden Tag fragen werde, ob es Euch
gut geht und mir Sorgen machen werde! Er wollte es ihr sagen,
doch er tat es nicht. Wozu sie jetzt mit solchen Nichtigkeiten
belasten?
„Es geht mir gut, ich habe nur leichte Kopfschmerzen. Das ist alles.
Sorgt Euch nicht.“
Er stand auf und trat an ein Bücherregal. Nach kurzem Zögern fand
er wonach er sucht: „Hier. Das könnte Euch unterwegs nützlich
sein.“
Er reichte ihr ein in Leder gebundenes, leicht angestaubtes Buch.
„Heil- und Giftpflanzen, A–Z und ihre Wirkung.“, las sie laut vor.
„Es ist mir klar, dass Ihr Euch von uns allen am Besten mit
Pflanzen auskennt, doch vielleicht könntet Ihr es brauchen. Falls
Ihr doch einmal unsicher seid. Einige der Pflanzen sehen sich
manchmal zum Verwechseln ähnlich.“
„Das ist wahr. Danke Kite.“, sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf
die Wange und Kite erstarrte.
„Oh, ich störe doch nicht etwa?“
„Meister Helembertus! Wie schön!“
Mia hatte sich schon längst von Kite abgewandt, doch er konnte
sich noch immer nicht rühren.
„Ich hatte so gehofft, dass Ihr die Zeit finden würdet. Ich bin so
unglaublich überfordert.“ Helembertus gluckste vergnügt: „Nur
keine Panik, meine Liebe. Das ging mir bei meiner ersten großen
Expedition ganz genauso.“
„Wirklich? Das kann ich mir gar nicht vorstellen.“
„Ihr seid lieb! Auch ich war nicht immer so weise, wie ich heute
ohne jeden Zweifel bin.“, er sagte es in maßlos gespielter
Selbstüberzeugung, sodass Mia lachen musste.
„Also, lasst mich doch einmal sehen.“, er ging auf ihren
Arzneikoffer zu und warf einen interessierten Blick hinein.
„Na das sieht doch alles schon sehr, sehr gut aus. Ihr habt doch
an alles gedacht. Also was verunsichert Euch so?“
„Aber wird es auch reichen? Sollte ich nicht mehr mitnehmen?“
„Hmm …“, machte Helembertus und fuhr sich gedankenvoll durch
seinen langen Bart, „Nun, Baldrian, Holunder und Kamille braucht
Ihr nicht mitnehmen, die findet Ihr unterwegs zur Genüge, ebenso
wie Melisse und Rosmarin. Also wären Mittelchen für leichte
Schmerzen schon einmal abgedeckt. Die habt ihr unterwegs ganz
schnell hergestellt. Darum denke ich nicht, dass Ihr allzu viel
davon mitnehmen solltet. Kamille hilft bekanntlich auch bei
entzündeten Wunden, ebenso wie Lavendel und Arnika. Auch nicht
schwer zu beschaffen. Mal sehen … Ihr solltet in jedem Falle noch
eine Dose der Grundsalbe mitnehmen. So könnt ihr jede beliebige
Salbe herstellen, die ihr gerade braucht.“
„Das ist eine ausgezeichnete Idee!“
„Ähnlich würde ich es auch mit den wirklich schwierig
herzustellenden Substanzen machen. Achtet vor allem darauf
genug Werkzeug mitzunehmen. Den Mörser zum Beispiel …“
„Auch wenn er so unglaublich schwer ist?“
„Wartet,“, er wuselte geschäftig an ihr vorbei, „nehmt den hier.
Der ist zwar wesentlich kleiner, als der, den Ihr sonst benutzt. Aber
er ist handlich und unglaublich robust.“
„Habt Dank, Helembertus. Der ist wirklich viel praktischer.“
„Nehmt mindestens zwei kleine Messer mit und auch eine Sichel
… Sie ist schärfer und einige Pflanzen verlieren bekanntlich an
ihrer Heilkraft, wenn sie nicht richtig entfernt werden.“
Mia nickte verstehend. Das wusste sie aus ihrer Anfangszeit als
Heilerin. Oft hatte sie sich gewundert, weshalb ihr so mancher
Trank nicht gelingen wollte, bis Helembertus sie darauf
aufmerksam gemacht hatte, dass sie ihre Pflanzen falsch
abgeschnitten hatte. Kleiner Fehler, große Wirkung. Da hätte sie
auch selbst dran denken können.
Jetzt machte sie sich doch Notizen. Helembertus Zeit war kostbar
und sie wollte nicht noch einmal nachfragen müssen.
Er zählte weiter auf und Mia schrieb fleißig mit. Das ging noch eine
ganze Weile so weiter und schließlich hatten sie alles.
„Ich weiß gar nicht, wie ich Euch danken kann. Jetzt erscheint es
mir plötzlich töricht, Euch mit so einfältigem Zeug belastet zu
haben. Es war eigentlich nichts dabei, worauf ich nicht auch von
alleine hätte drauf kommen können.“
„Ah meine Liebe, macht Euch doch nicht lächerlich! Alles ging so
wahnsinnig schnell, kein Wunder, dass Ihr die Nerven verloren
habt. Und glaubt mir,“, er kam auf sie zu und legte ihr die Hände
leicht auf die Schultern, „nichts hätte mir mehr Freude bereiten
können, als meiner besten Schülerin bei ihren Vorbereitungen zu
helfen. Ihr macht mich stolz.“, er hauchte ihr einen liebevollen,
väterlichen Kuss auf die Stirn: „Bitte passt gut auf Euch auf!“
„Das werde ich, Meister.“, Mia blinzelte ganz schnell ihre Tränen
fort. Sie wollte weder Helembertus noch Kite zeigen, wie schwer ihr
dieser Abschied fiel: „Ich werde Euch keine Schande machen.“
„Davon bin ich überzeugt.“, er lächelte sie noch einmal herzlich an,
zwinkerte Kite im Vorbeigehen noch einmal zu und verließ dann mit
wehendem Umhang den Raum.
Überrascht stellte sie fest, dass die erste Sonne bereits hinter dem
Horizont verschwand und das vollgestopfte Zimmer mit einem zart
rosa Licht erfüllte.
„Habt Ihr nun alles was Ihr braucht?“, Kites Stimme hörte sich
selbst in seinen Ohren seltsam rau an.
„Ja. Wir haben es doch noch geschafft.“
Es entstand eine, für Kite als peinlich empfundene Pause.
„Das ist gut.“, er rutschte von einem Tisch, auf dem er die letzten
Stunden verbracht hatte und kam zu ihr hinüber. Eine Armeslänge
von ihr entfernt blieb er stehen.
„Dann kommt bald wieder.“
Sie nickte und er wollte sich schon von ihr abwenden, entschied
sich dann aber doch dagegen.
„Mia … Versprecht mir, dass Euch nichts geschehen wird. Ich
könnte es nicht ertragen …“
„Kite …“
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