Wir Roma kennen Weine, seit wir einige Jahre in Ungarn lebten. Ihre Roten lieben meine Eltern besonders. Man erzählte ihnen, Weinbauern seien wie wir als Fremde eingewandert. Vor zweihundert Jahren. Wurzelstöcke ihres roten Weins mitgebracht und eingepflanzt. Da sieht man ʼs doch: Weist man Fremde nicht aus, sondern lässt sie im Land, bereichern sie es mit Köstlichkeiten. Typisch für Ungarn wurden Wein, Paprika, Schweinespeck und Musik. Mittlerweile weltbekannt. Werde mir ein Buch über Ungarns Geschichte besorgen, will wissen, woher die Ungarn stammen. Wer ihre einflussreichste Volksgruppe ist. Hinter dem Begriff Magyaren könnten sich doch Roma verstecken.
Die Berge seitlich des Stromes bis oben hinauf bewachsen mit Mischwald. Von weitem dunkles Grün mit hellgrünen Flecken. Das klare Blau des Himmels über uns spiegelt sich unten in der Donau. Blaugrün Schillerndes, das sich in Richtung Schwarzmeerküste schlängelt. An der Uferseite, auf der wir fahren, hoch oben ein Schloss. Zwischen Baumkronen entdecke ich zwei Türme und eine Kuppel. Etliche gelb und weiß gestrichene Gebäude herum gebaut. Das will ich sehen. Vielleicht können wir dort oben bei den Adligen musizieren und Geld für den Rest der Reise verdienen. Wie aber kann ich die anderen veranlassen, mit uns hinaufzufahren? Mama einverstanden. Papa sowieso. Er hat etwas gut zu machen.
Es wäre besser, wenn alle Instrumente dabei sind, um musikalisch einen stärkeren Eindruck zu hinterlassen. Nicht nur Papas Akkordeon und meine Geige. Sind Gitarren, Flöten und Kontrabass dabei, wird das Honorar entsprechend höher ausfallen. Wie bewege ich sie, mit uns hinaufzufahren? Statt auf der Uferstraße nach Bayern zu bleiben. Da fällt mir ein, in der Schlosskapelle könnte doch ein Marienaltar sein. Maria ist auch in Österreich die meistverehrte Frau. Rufe unseren Leuten zu:
„Wir werden dort oben Maria sehen. Vielleicht sogar eine der beiden Marien, die unsere Sara auf ihrer Missionsreise übers Mittelmeer begleitete.“
Es hat geklappt. Jubel bricht aus und die meinigen wenden ihre Pferde, die Wagen. Keine Minute vergeht und alle traben los, bergan geht ʼs. Singen und freuen sich, Maria zu sehen. In Serpentinen schlängelt sich die Straße hinauf. Rechts herum, links herum. Mir kommt es vor, als führen wir durch einen dämmrigen Tunnel. Auf beiden Seiten eng stehende Baumstämme im dunklen Dickicht. Über uns ihre ausladenden Kronen. Dicht miteinander verflochten das Blätterwerk beider Seiten, Sodass Sonne keine Chancen hat, das dichte Tunneldach zu durchdringen. Kühl die Luft im Dämmergrün.
Mag ja Fußgängern bei ihrem Aufstieg an heißen Tagen angenehm sein. Mir aber legt sich das Dunkel wie eine Last aufs Gemüt. Habe versprochen, Maria zu sehen. Und weiß nicht einmal, ob es eine Maria gibt. Ein Bild von ihr dort oben in einer Kapelle, auf einem Altar? Was dann, wenn sie keine Kapelle haben?
Rede mir ein, alle Schlösser haben eine Kapelle und einen Altar mit dem Bild Marias, der Mutter Jesu. Maria Maienkönigin oder einen mit unseren beiden Marien am leeren Grab, wie in der Bibel beschrieben. Gesehen hatte ich noch kein Schloss von innen. Nur darüber gelesen. Hoffentlich ist es überhaupt ein Schloss und keine Festung mit Soldaten, die uns verjagen.
„Heilige Sara, lass es ein Schloss sein mit Kapelle und einem Marienaltar. Oder eine Statue, Hauptsache Maria“. Schon sprechen meine Lippen das Gebet zu Maria, der Mutter Jesu. Das einzige, das mir geläufig ist seit Kindertagen.
Zu Saras beiden Marien haben wir nie gebetet. Nur zur unserer Schutzpatronin. Was soll ʼs? Maria wird mir helfen. Wie sie mir immer half. Auch wenn es lange dauerte, bis ich dahinter kam, dass sie es war, die mir geholfen. Oder war ich es selbst, der Mut gefasst? Die richtige Entscheidung traf? Wie jetzt, erst zu studieren und nicht zu heiraten. Besser aber ich bete, bevor meine Gesellschaft enttäuscht wird, zurückfahren will und ich der Blamierte bin:
„Gegrüßt seist du Maria – voll der Gnade – der Herr ist mit dir – du bist gebenedeit unter den Weibern – und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus – Heilige Maria – Mutter Gottes – bitte für uns Sünder – jetzt und in der Stunde unseres Todes – Amen.“
Immer noch nicht oben. Das unausgesetzte Linksherum, Rechtsherum zieht Zeit in die Länge. Drei-, vier- oder fünfmal gewendet, höher und höher. Und keinen Himmel gesehen. Ich zählte es nicht. Nutze die Zeit, das Gebet zu wiederholen. An jeder der Kehren. Hätte Lust, es laut hinauszuschreien. Die anderen würden mich für verrückt halten. Murmele es also vor mich hin. So oft, bis endlich die Sonne wieder scheint. Und hoffe, Maria erhört mein Flehen.
Obwohl es eher ein allgemeiner Lob- und Bittgesang ist. Ans Ende meines Lebens will ich jetzt nicht denken. Bin sicher, Maria weiß, was ich auf dem Herzen habe. Wie jeder glaubt, der es betet. Mein Wunsch sich erfüllt und Maria geworden ist. Endlich oben.
Offen im hellen Licht der Mittagssonne liegt der Platz vor uns. Stellen die Wagen ab mit den Pferden und sehen uns um. Wiese gemäht, an den Rändern der Wege niedrige Buchsbaumhecken. Kies auf ihnen knirscht bei jedem Schritt. Als sollten wir uns hören und daran denken: wir betreten hoheitliches Gebiet. Vor uns aufstrebendes Gemäuer mit Fenstern. Weiß und gelb angestrichen die Türme, die Kuppel darüber. Eine Holztafel an Pfosten, ganz nah vor Augen:
«Benediktinerabtei Stift Melk seit 1089. Betreten des Kloster-
Geländes in Badekleidung verboten!»
Ein Kloster also, das vor uns liegt. Es muss ein reiches sein, groß und mächtig, so wie es aussieht. Umso besser, dann hat es bestimmt eine große Kirche mit vielen Altären.
Einer wird einer der beiden Marien gewidmet sein. Langsam nähern wir uns dem kleinen Seitenportal, das weit offen steht. Uns willkommen heißt. Wie schön, willkommen zu sein. Nicht alle Pfarrer haben uns die Türe geöffnet, freundlich behandelt. Offiziell in ihre Gemeinde aufgenommen keiner. Hier scheint alles anders zu sein.
Nehme den Prospekt aus dem Fach, um zu wissen, was uns drinnen erwartet.
Drinnen ist Helligkeit. Anders kann ich es nicht beschreiben. Nur die rote Ampel neben dem Altar flackert, als ginge sie gleich aus. Auch wenn wir zweifeln, Gott ist hier. Ob ʼs stimmt, weiß nur Gott selber. Kerzen nach dem Gottesdienst gelöscht. Dick noch die Luft, vom Wachs geschwängert. Kein farbiges Fenster taucht den Raum in Dämmerlicht. Wie in den meisten Kirchen. Farblose Gläser lassen die Sonne hindurch. Hier in Melk scheint sie im Zenit.
Kaum den Steinplattenboden betreten, mich umgesehen, blendet mich alles. Weiß und Gold. Gold auf weißen Wänden, Decken, Pfeilern, Balkonen, der Orgeltribüne. Alles scheint vergoldet zu sein. Glänzt und spiegelt sich in den Augen aller, die hineingehen. Gold ist ewig wie Gott. Rostet nicht, verfärbt sich nicht, bleibt was es ist. Gegenwärtig hier. Gold ein Symbol, wie ich es in dieser Vielfalt nirgendwo sah bisher.
Über drei marmornen Säulen links und rechts vom Hauptaltar schweben vergoldete Engel. So zahlreich, das man lange braucht, sie zu zählen. Unter der riesigen, goldenen Krone des Martyriums verabschieden sich Petrus und Paulus voneinander. Bevor sie hingerichtet werden. Petrus, der Fels, auf dem Christus seine Kirche gründete. Paulus, der erste Missionar des Christentums. Neben ihnen Propheten des Alten Testamentes. Über allen Gottvater unter dem Zeichen des Kreuzes. Putten überall, wo Maurer und Stuckateure ein Fleckchen frei gelassen haben. Sechs Altäre in Nischen. Einer mit dem Ordensgründer Benedikt von Nursia. Wo aber ist ein Marien-Altar? Hat alles Beten nichts genutzt?
Was sage ich denen jetzt? Schaue mich um in der riesigen Halle. Die Wände entlang, in die Seitenschiffe, hoch ins Gewölbe, Maria zu entdecken. Wenn schon kein Altar, dann wenigstens ein Bild. Ein großes Bild, das Eindruck macht. Oder so hoch, dass man meint sie ist im Himmel. Maria wo bist du? Nichts sehe ich. Nichts, das wie eine Frau aussieht. Mit Baby auf dem Arm oder ohne. Mir wär ʼs egal, Hauptsache Maria. Oder habe ich vor lauter Figuren die einzelne nicht sehen können? Vor lauter Sonnenlicht nicht das irdisch Dunkle einer Frau? Wie bei Ungewissheiten gewohnt, blicke ich hinauf zum Himmel, Antwort zu hören:
Читать дальше