1 ...8 9 10 12 13 14 ...23 Eine Gans kam zuletzt noch dazu. Abschieds-Geschenk eines Kroaten, der vor dem Krieg schon einwanderte. Und schon bald als Bürger akzeptiert. Der Geflügelzüchter versorgte die Metzgereien mit den beliebten Hühnern. Auch uns brachte er jede Woche ein Huhn. Später Küken, die wir fütterten, bis sie schlachtreif waren. Sahen wir uns, redeten wir mit ihm Kroatisch. Über das Wetter, die politischen Verhältnisse. Ein ehemaliger Frontsoldat aus Braunau am Inn soll in Bayern auftreten und schwören, Deutschland wieder zu bewaffnen. Rache zu nehmen an den ehemaligen Kriegsgegnern. Wütend auf alles und jedes, wenn er redet und mit den Fäusten droht. Wahrscheinlich, weil sich die Kunstakademie in Wien weigerte, ihn zum Kunstmaler auszubilden. Er sei nicht begabt genug.
Jelenas Eltern besprechen mit uns die Reiseroute. Auf der zerfledderten Landkarte finden wir eine Straße in Richtung Burghausen. Ab da gabelt sie sich. Eine führt nach München. Die andere über Salzburg nach Innsbruck. Wohin wollen wir? Wo sind unsere Chancen am größten? Die Leute liebenswürdige Gastgeber? Die Polizei ein Freund der Roma? Wissen es nicht, hoffen aber, dass Bayern anders sind als die bisher und uns willkommen heißen.
Jelena interessiert das alles nicht. Weint nicht mehr.
Schaut aus, als könnte sie nicht anders als traurig sein. Ihr Gesicht zur Maske erstarrt. Nichts schien sie zu interessieren. Anwesend und abwesend zugleich. Steigt mit ihren Eltern in den Wagen und sagt kein Wort. In den Pausen alle zwei, drei Stunden versuche ich, mit ihr zu reden. Frage sie, was sie am liebsten isst, am liebsten tut. Nach ihren schönsten Erlebnissen. Es wird sie ablenken, seelischen Kummer vergessen lassen, hoffe ich. Doch sie wendet sich von mir ab, beschäftigt mit lächerlichen Dingen. Reißt morsche Zweige von den Ästen und wirft sie weg. Hebt sie wieder auf und zerbricht sie in kleinste Stücke. Auch mit ihren Eltern spricht sie kein Wort. Seitdem sie sie verheiraten wollten. Ausgerechnet mit mir, der sie nicht liebt. Und den sie nicht liebt. Zwangsheirat das Schlimmste, was jungen Menschen passieren kann.
Las in einem Artikel der kostenlosen Wochenzeitung: Beim Adel ist Zwangsheirat seit langem üblich und in der Regel auch kein Grund, zu verzweifeln. Beide Seiten haben ihre Vorteile. Der Prinz bekommt eine schöne Grafentochter zur Frau. Sie wird Prinzessin und ihrem Mann Nachkommen schenken. Ihr Vater im Ansehen eine Stufe höher. Bekommt einen hohen Posten am königlichen Hof.
Bei reichen Leuten ist es ähnlich. Verheiratet ein Bürgerlicher seine Tochter mit einem Bankbesitzer, dann profitiert auch seine Familie davon. Mit zinsgünstigen Krediten, Spenden für Kindergarten oder Reitschule. Beim Adel spielen meist Ländereien der Schwiegerkinder die größere Rolle. Besonders, wenn Söhne, also männliche Erben und Namensträger, verkuppelt werden. Weil Heirat das Besitztum der Familie durch die Mitgift der Schwiegertochter vergrößert. Schlösser und Jagdgebiete dazu kommen. Fabriken und Menschen, die für sie arbeiten oder als Soldaten für sie kämpfen.
Auch bei vielen unseres Volkes ist es noch Tradition, dass Väter ihre Töchter verheiraten. In der Regel nicht, um sich zu bereichern. Sie fühlen sich für sie verantwortlich. Wollen den Zukünftigen erst kennenlernen. Ihn beobachten, einen Eindruck gewinnen. Reden mit ihm beim Essen. Verlängern den Abend bei Wein und Brot. Sooft und solange, bis sie überzeugt sind, er kann sie ernähren und mag Kinder sehr. Liebt sie wirklich und will ihr treu bleiben, bis der Tod sie scheidet.
Mütter wollen ihre Tochter schön sehen. Schöner als sie bei ihrer eigenen Hochzeit waren. Sparen lange, um ihr ein wunderschönes Hochzeitskleid zu schenken. Damit sie die schönste Braut von allen ist.
Da, wo Roma sesshaft sind, findet einmal im Jahr ein Heiratsmarkt statt. Jungen und Mädchen kleiden sich attraktiv, um zu gefallen. Treffen und beschnuppern sich. Nicht bei allen wird daraus Liebe und Hochzeit. Wenn, kann es vorkommen, dass Eltern wie früher für die Tochter eine Ablösesumme verlangen. Meist dann, wenn sie bis dahin geldwerte Arbeit geleistet hatte. Ihrer Mama bei der Hausarbeit geholfen. Oder selber Geld bei anderen verdient und zum Unterhalt beigesteuert.
Wir Roma haben keine Reichtümer, die wir vererben oder vermehren wollen. Karren, Pferd und ein bisschen Hausrat. Ein paar Hühner, Enten. Ihr Instrument ein Heiligtum, das sie nie verkaufen oder eintauschen würden. Nichts also, was eine Heirat lohnen würde. Schon gar nicht rechtfertigt, Tochter oder Sohn unglücklich zu machen. Frau oder Mann, Mama und Papa sind gleichberechtigt. Auch wenn es nicht immer so aussieht. Mama hat das Sagen. Papa hat das Sagen. Jeder auf seinem Gebiet. Immer aber einig, wenn es um das Wohl der Familie, des ganzen Clans geht.
Gäbe es Mama und Papa nicht, wäre ich nicht auf die Welt gekommen. Sind also die wichtigsten Menschen für mich.
Fragte mich einer, ob ich meine Mama liebe, sagte ich spontan ja. Frage mich jetzt selbst: liebe ich auch meinen Papa? Ist er für mich noch das Vorbild, das er war? Vor der Auseinandersetzung um Jelena kürzlich?
Muss nicht lange nachdenken. Ja, er ist es immer noch! Er hat mir mehr gute Ratschläge gegeben als schlechte. Täglich vorgelebt, dass Selbstvertrauen im Leben das Wichtigste ist. Mich die Musik lieben gelehrt, die Geige zu spielen. Bestärkt, meine Ziele konsequent zu verfolgen. Sehe ich ihn durch Menschenmengen gehen, stolz den Kopf erhoben. Egal, ob einer abfällige Bemerkungen macht oder böse Blicke ihn treffen. Er glaubt unerschütterlich, dass Musik Menschen zu besseren Menschen macht. Liebt Mama, mich und die Lieder der Roma. Fantastisch, wie er das Akkordeon traktiert. Tasten rechts und Knöpfe links rauf und runter. In einer Geschwindigkeit, dass schwindlig wird dem, der zuschaut. Und trotzdem klingt es wunderbar. Weich und leise und dann mächtig wie eine Kirchenorgel.
Letzten Sonntag nach der Messe in Kirchschlag stellte er sich auf einen der sechs Basaltpfosten vor der Kirche.
Spielte zum Abschied die Toccata in D-Moll von Johann Sebastian Bach. In Kirchen immer mal wieder gehört und behalten. Und alle, die früher auf uns herab gesehen, blickten zu ihm auf. Als sähen sie hinauf zur Empore, den Organisten spielen. Hörten die Engel singen.
Musik, ja Musik ist das, was auch ich machen werde.
Musik verbindet alle Menschen, löst Streitigkeiten auf. Wir müssten noch mehr Musik machen als bisher. Nicht nur die der Roma spielen. Nicht nur klassische von Bach, Mozart und Beethoven, Reger und Mahler. Auch moderne von Bartok, Schönberg und Martinu. Leichte Musik zur Unterhaltung bei fröhlichen Anlässen. Tanzmusik von Johann Strauß. Operetten von Franz Lehar oder Carl Millöcker. Jazz soll es geben, von Afrika über Amerika zu uns gekommen. Messinggongs ermahnen zu meditieren bei den Buddhisten. Alles hat seinen Sinn und seine Liebhaber. Vielleicht klappt es dann und sie erkennen uns an als ihresgleichen. Ich jedenfalls will mein Leben der Geige widmen. Und dann soviel Geld verdienen, dass ich mir das beste Instrument in Mittenwald kaufen kann. Der Stadt der Geigenbauer, nahe der Grenze zu Österreich. Danke Papa. Das mit Jelena vergesse ich.
Gut gelaunt wieder. Die Zukunft hell, so hell wie nie. Bald werde ich mein Geigenspiel an einer Uni vervollkommnen und der Beste werden von allen. Die Straße führt entlang der Donau. Nach jeder Kurve überrascht uns eine andere Landschaft. Mal dunkler Wald, von den Höhen herunter bis ans kiesige, mal felsige Ufer des Stromes. Mal sind es Dörfer mit Kirchen, deren Türme tief hängende Wolken zu durchstechen scheinen. So spitz sind sie. Sogar einem Ort den Namen geben. «Spitz» lese ich auf der Ufermauer, schwarz auf weißem Rechteck gepinselt. Hinter Häusern Rebstöcke in Reihen hinauf bis an den Wald. Guter Wein soll hier wachsen. Von Fachleuten, die sich Winzer nennen, in Fässern vergoren und ausgebaut. «Grüner Veltliner» begehrt in der ganzen Welt. Las ich in einem Bericht des «Kurier».
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