Ansonsten sind sie australisch bis zum Geht-nicht-mehr. Sein Pa hat ein chinesisches Speiselokal in Broome und läuft da drin mit Bermudas und Badeschlappen durch die Gegend. Seine Mutter hat letztes Jahr das interne Golfturnier von Westaustralien gewonnen und seine Schwester und sein Bruder sind in der Kricketmannschaft.«
Mike schimpfte. »Immer versaust du mir meinen Namensgag – du bist ein alter Spielverderber!«
Er wandte sich an Hetty. »Hinten geht es etwas eng zu, mit dem ganzen Gepäck, aber du bist ja klein und ziemlich schlank, da hast du trotzdem genug Platz.«
Hetty errötete. „Ziemlich schlank“ das hatte schon lange keiner mehr zu ihr gesagt und anscheinend meinte Mike es auch tatsächlich so. Gut, sie hatte in letzter Zeit etwas abgenommen und ihre schlabbrige Kleidung war, wie immer, eine halbe Nummer zu groß, das wirkte auch etwas kaschierend.
Nachdem sie über die Tragfläche ins Flugzeug zum hinteren Einstieg geklettert war, musterte sie leicht entsetzt das ganze Zeug das Mike auf dem Nebensitz verstaut hatte. Um hier noch Platz zu finden, wäre eigentlich eher die Figur einer Magersüchtigen notwendig gewesen. Na, da half alles nichts! Mühsam quetschte sie sich in den Sitz und legte den Gurt an. Sie war sich allerdings sicher, dass sie den an und für sich gar nicht gebraucht hätte, denn sie war so eingekeilt, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie jemals wieder aus dem Flugzeug kommen sollte.
Mike war ein vorbildlicher Pilot, er zog die Maschine nicht hoch, als ob er einen Starfighter fliegen würde und versuchte auch keine der üblichen Spielchen. Über die Kopfhörer mit Headset, die jeder aufhatte, konnten sie sich trotz des Motorenlärms problemlos unterhalten und wenn unter ihnen etwas Sehenswertes auftauchte, dann wusste der Chinese prompt eine schöne unterhaltsame Geschichte.
Paul hatte, bei der ersten Story von Mike - als dieser gerade, aufgrund einer Emufamilie die sie gesichtet hatten, von einem Emu aus Broome erzählte, der sich mit einem Flamingo gepaart und deshalb rosarote Federn hatte – versucht, Mike bei seiner Erzählung zu unterbrechen. »Hör bloß auf mit deinem ewigen Jägerlatein!«
Doch Hetty war das gar nicht recht und sie ergriff Partei. »Es ist mir egal, ob es stimmt oder nicht – Hauptsache es hört sich gut an. Ich weiß selber dass hier nicht jeder Baum oder Strauch seine eigene Geschichte hat, aber Mike erzählt so gut, das vertreibt einem wenigstens die Zeit. Also lass ihn doch einfach reden und gönne mir das Vergnügen.«
Mit einem entschuldigenden Lächeln an Paul setzte sie hinzu. »Ich höre unwahrscheinlich gerne Märchen und Geschichten.«
Nun konnte Mike zu seiner tiefsten Befriedigung endlich einmal in aller Ruhe in seinen münchhausenreifen Geschichten schwelgen, während Paul, teilweise kichernd, teilweise stöhnend und seufzend, zumindest hin und wieder versuchte, einen vernünftigen Kommentar beizutragen.
Die Zeit verging im wahrsten Sinne des Wortes wie im Fluge. Obwohl unter ihnen nur das Outback mit seinem Sand- und Steinboden und spärlichem Bewuchs zu sehen war, wurde es Hetty nicht langweilig auf die verschiedenen Rot- und Brauntöne zu starren. In der Ferne waren vereinzelte Hügelketten zu sehen, was ihr bewusst machte, dass Australien nicht nur ein flaches Land war, sondern auch jede Menge Erhöhungen zu bieten hatte.
Im Zentrum, wie der Bereich unter ihr genannt wurde, gab es die großen australischen Wüsten und außer Alice, dem Kings Canyon und dem Ayers Rock Resort konnte man nur ein paar Roadhäuser als Ansiedlung finden. Da brauchte man sich auch nicht wundern, dass einem auf dem Stuart Highway, der Australien von Süden nach Norden durchschnitt, nur alle halbe Stunde ein anderes Auto begegnete. Hier fuhren nur Leute durch, die in der Gegend wohnten oder Touristen die endlich mal Outback erleben wollten. Auch Hetty hatte den Kontinent bereits zweimal am Boden durchquert und freute sich nun über die Abwechslung, das Ganze mal aus der Luft zu sehen.
Mike deutete aus dem Fenster. »Wir sind gleich da.«
Hetty hätte das auch ohne seinen Hinweis erkannt. Denn unter ihr war der rote Sand einer weißen Fläche gewichen, die aussah wie ein surrealistisches Feld mit Maulwurfshügeln. Cooper Pedy war die bekannteste Opalfundstelle in Australien und auf jeden der tausendfünfhundert Einwohner kamen zahlreiche Löcher die sie buddelten, um nach Edelsteinen zu suchen. Die kleine Stadt besaß eine geteerte Hauptstraße an der die Geschäfte, Hotels, der Supermarkt und die Kneipen situiert waren. Ansonsten verteilten sich in der Umgebung noch zahlreiche Häuser und Höhlenwohnungen. Die nächsten großen Ansiedlungen waren Alice Springs und Port Augusta und lagen beide ungefähr tausend Kilometer entfernt. Von dem her waren die Leute in Coober Pedy eine relativ fest verschworene Gemeinschaft, die neben Opalschürfen vor allem davon lebte, die Touristen durch die Stadt zu führen und ihnen dabei möglichst viel Opalschmuck zu verkaufen.
Mike setzte die Cessna butterweich auf dem geteerten Airstrip auf und rollte zum Halteplatz, den er sich nach Belieben aussuchen konnte, denn abgesehen von einer anderen Maschine war nur noch ein Sprittank mit Zapfsäule und ein kleiner Unterstand vorhanden.
Als sie standen, schnallte Hetty sich ab und versuchte dann verzweifelt ihren Hintern aus dem Sitz zu kriegen. Doch ihre Vermutung vom Start bewahrheitete sich. Der Rücksitz hatte anscheinend beschlossen, dass sie noch länger sein Gast sein sollte und war eine dauerhafte Verbindung mit ihrer unteren Körperhälfte eingegangen. Mit immer röter werdendem Kopf kämpfte Hetty gegen ihr Schicksal an und gab schließlich demoralisiert auf. Da kam sie nie mehr raus! Die zwei Männer versuchten vergeblich sich ein Grinsen zu verkneifen.
Mike bot ihr schließlich an. »Ich helfe dir gleich beim Aussteigen, aber kannst du mir vorher noch die kleine Kiste mit den Löchern reichen?«
Hetty drehte sich um. Sie hatte die Ladung überhaupt nicht beachtet, während sie geflogen waren. »Meinst du die Schachtel da oben?«
Als Mike nickte grabschte sie nach dem Karton und schaute ihn verwundert an. »Warum hat die eigentlich Löcher?«
»Weil da eine Vogelspinne drin ist und ...« Mike war mit seinem Satz nicht weiter gekommen und sah mit offenem Mund auf Hetty.
Die war bei dem Wort Vogelspinne wie der Blitz aus dem Sitz geschossen, über die Tragfläche auf den Boden gesprungen und stand jetzt mit schneeweißem Gesicht, in zehn Meter Entfernung vom Flugzeug.
»Der Wahnsinn!« Paul sah kopfschüttelnd zwischen dem Flieger und Hetty hin und her.
»Wie hast du das gemacht? Ich habe noch nie gesehen, dass sich jemand so schnell von einem Punkt zum anderen bewegen kann - das gibt es doch gar nicht!« Er ging zu Hetty und tätschelte ihr beruhigend auf den Rücken.
»Ich habe panische Angst vor Spinnen« wütete Hetty. »Ihr seid wohl vollkommen verrückt, lasst mich mit so einem Vieh die ganze Strecke fliegen und warnt mich nicht einmal.«
Mike war inzwischen mit dem Karton in der Hand von der Tragfläche geklettert. »Das ist doch nur Johnny, der ist wirklich ganz harmlos und aus dem Karton kommt er nicht von selber raus. Den hält sich einer der Schürfer als Haustier. Hin und wieder leiht Fred das Männchen an das Reptilienhaus in Alice aus. Nun sind alle Spinnendamen versorgt und er darf wieder zurück zu seinem Herrchen.«
Ein seltsames Fahrzeug kam die Piste entlang geknattert. Es hatte eine entfernte Ähnlichkeit mit einem verrosteten, türenlosen Pickup und hinten auf der Ladefläche ein aufragendes Gestell, auf dem eine querliegende Öltonne befestigt war.
Als die Karre bei ihnen anhielt, sprang ein altes dürres Männchen mit wallendem, grauweißem, langen Haar und einem Bart wie Moses, überraschend gelenkig aus dem Fahrzeug. Seine Kopfbedeckung bestand aus einem speckigen Akubrahut und die dünnen, stelzenartigen Beine steckten in khakifarbenen Bermudas, die genauso wie sein kurzärmeliges Hemd erstaunlich sauber waren. An den Füßen trug er, die im Busch üblichen, Blundstones mit hinabgeschobenen Wollsocken.
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