Während Kim ihre Bestellung aufgab, warf Hetty einen Blick in eine der Web-Cams die im Bojangeles angebracht waren und winkte in das Kameraauge. Von hier wurden konstant Live-Bilder des Lokals ins weltweite Netz gesendet.
Sie selbst hatte nach der Rückkehr von ihrer ersten Reise zuhause den Computer angeworfen und „Bojangeles“ eingegeben. Dann hatte sie mit sehnsuchtsvollem Herzen zugesehen, wie eine gutgelaunte Touristengruppe in gehobener Stimmung dem Kameraauge zuprostete. Wenn ihr damals jemand gesagt hätte, sie würde schon ein paar Jahre später wieder hier stehen und genug Geld haben um in diesem Land zu bleiben, hätte sie ihn für verrückt erklärt. Was wieder einmal bewies, dass man nie wissen konnte was einem die Zukunft brachte und es angeraten war, die Hoffnung auf eine positive Wendung nie aufzugeben.
Sie hatten sich soeben wieder an den Tisch gesetzt, als Paul durch die Schwingtüren trat. Hetty konstatierte, dass er frisch geduscht, mit Bermuda und T-Shirt bekleidet, noch besser aussah, als in seinem schmutzbeschmierten Overall.
Mittlerweile hatte ihr Kim bereits erzählt, dass er tatsächlich ein Single war und auf ihre verdutzte Frage auch lachend erklärt. »Nein, er ist nicht vom anderen Ufer, aber zur Zeit eben wieder mal solo.«
Und wie sie kurz darauf feststellen musste, einfach richtig nett. Denn sobald er bestellt und sich mit einem Getränk versorgt hatte, forderte er Hetty mit einem Lächeln auf. »Also, nun fang mal an zu erzählen. Ich habe nämlich bisher nur erfahren, dass du einen Camper brauchst. Das du damit durch die Gegend fährst, kann ich mir denken, aber soviel ich so nebenbei mitgekriegt habe, hast du auch noch andere Pläne.«
Hetty nahm einen Schluck von ihrem Gin Fizz und begann von ihrer Idee zu berichten. »Ich habe immer davon geträumt mit einem Camper durch und um ganz Australien zu fahren und genügend Zeit zu haben, endlich mal alles genauer anzuschauen.«
Sie lächelte in die Runde. »Dank meiner Erbschaft kann ich mir das jetzt leisten. Bei meinen Urlaubsreisen habe ich zwar einige Höhepunkte des Landes gesehen, aber vor allem mitgekriegt, dass es noch viel, viel mehr zu sehen gibt. Die nächsten Jahre will ich damit verbringen, den Kontinent abzuklappern. Aber ganz alleine ist es halt, auf die Dauer, nicht so unterhaltsam und vor allem kosten die Stellplatzgebühren auf den Campingplätzen und der Sprit auch nicht gerade wenig Geld.
Also habe ich mir überlegt, aus der Not eine Tugend zu machen und mir einfach Leute zu suchen, die Lust haben, gegen eine Beteiligung an den Kosten, bei meinen Touren mitzufahren.
Ich werde in den Jugendherbergen überall Flyer aufhängen und dann sehe ich schon, ob der Plan auch aufgeht!«
Paul nickte zustimmend. »Also, die Idee finde ich gut, ich glaube das wird funktionieren. Es gibt immer Studenten oder Backpacker die heilfroh sind, wenn sie eine günstige Mitfahrgelegenheit bekommen. Dann müssen wir also nur noch einen passenden Camper für dich auftreiben und schon kannst du starten!«
Kapitel 4
Zwei Tage später klingelte das Telefon bei Kim. »Ah, hallo Paul, ja sie ist da, ich hole sie gleich mal … Hetty kommst du mal – Paul ist am Telefon!«
Kim gab ihr den Hörer.
»Ja?«
»Hast du Lust nach Sydney zu fliegen?«
Hetty verstand im ersten Moment nur Bahnhof. Um was ging es überhaupt? Paul wollte sie wohl kaum auf eine gemeinsame Urlaubsreise einladen. Die Chance, dass sich dieses gutaussehende Exemplar der männlichen Gattung sich in Sekundenschnelle in sie verliebt hatte und mit ihr auf einen Liebestrip nach Sydney begeben wollte, war doch äußerst unwahrscheinlich.
Sie antwortete also mit einer Gegenfrage. »Warum?«
»Weil Kurt einen Camper für dich aufgetrieben hat und den sollst du dir anschauen!«
Also nix mit Romanze dafür Volltreffer in der Campersuche!
Hetty sprudelte los. »Super Paul, wie sieht er aus und was kostet er und muss man den noch umbauen oder kann ich ihn gleich fahren? Und wann soll ich fliegen, wer holt mich ab, oder muss ich alleine zu diesem Kurt hinfinden und …«
»Halt, halt!« rief Paul ins Telefon. »Also, anschauen kannst du einige Fotos davon hier bei mir auf dem PC und wenn du dann immer noch Interesse hast, dann fliegen wir gemeinsam hin. Ich müsste sowieso die nächste Zeit mal nach Sydney – einige Teile einkaufen und bestellen, da kann ich das gleich mit erledigen.«
Und wenn dieser Camper das scheußlichste Teil auf der Welt war – alleine die Aussicht auf eine gemeinsame Reise mit Paul, machte dieses Ding jetzt schon mehr als sehenswert. »Sobald Kim fahren kann, starten wir los!«
Die hatte mit einem Schmunzeln gesehen, wie Hetty auf den Anruf reagiert hatte. »Na das müssen ja gute Nachrichten sein, du hast richtig Farbe auf den Wangen bekommen. Oder hat dich unser Paul selbst so angeregt?«
Hetty wiegelte ab. »Paul von wegen, aber er hat wunderbare Neuigkeiten, stell dir vor, Kurt hat einen Camper gefunden!«
Kim schnappte sich ihren Autoschlüssel. »Auf gehts, da fahren wir jetzt gleich hin, ich bin schon gespannt wie ein Pendant zu Pauls Monster aussieht.«
Ein Viertelstunde später trafen sie bei Pauls Werkstatt ein. Auf ihr Rufen kam die Antwort aus der Halle. »Bin gleich da!«
Kurz darauf tauchte er schmutzstarrend in der Türe auf. Hetty konstatierte für sich, dass die Wagenschmiere anscheinend tagsüber fester Bestandteil seines Aussehens war. Was allerdings seine Attraktivität nicht sonderlich beeinträchtigte, er wirkte dadurch noch männlicher. So mehr wie diese Arbeitertypen in der Cola-Werbung.
»Könntest du mal mit deinen Phantasien aufhören?« Die Vernunft rief zur Ordnung. »Jedes Mal wenn du ein hübsches Kerlchen siehst, kann ich die Leute von der Hormongruppe kaum noch unter Kontrolle halten. Das ist echt ätzend!«
Hetty zuckte mit den Schultern. Na ja, sie hatte eben eine gewisse Vorliebe für gutaussehende Männer. Machte auch viel mehr Spaß als mit Hässlichen.
»Hallo Mädels, kommt mit ins Büro. Hetty kannst du den PC bedienen, ich muss mich sonst erst waschen und bis ich die Schmiere abbekomme, das dauert.«
Kurt hatte den Camper von allen Seiten aufgenommen und eine kurze Beschreibung der Motorisierung und der Einrichtung mitgeschickt. Das Fahrzeug war sehr gut ausgestattet und anscheinend noch relativ neuwertig. Die Lackierung war allerdings äußerst gewöhnungsbedürftig und irritierend, denn der Camper hatte einen Tarnanstrich, als wenn ihn die Armee für Kampfhandlungen im tiefsten Dschungel eingesetzt hätte.
»Na, was sagst du?« fragte Paul und versuchte in Hettys Gesicht zu lesen.
Die ignorierte die Farbgebung als unwesentliches Detail und konzentrierte sich auf die anderen Daten. »So wie ich das sehe, bin ich dumm, wenn ich da nicht zugreife.«
Paul nickte zustimmend. »Ehrlich gesagt, für den Preis würde ich ihn am liebsten selber kaufen. Allerdings möchte ich ihn erst richtig durchchecken, ob er auch wirklich in Ordnung ist. Aber wenn das der Fall ist, dann ist das Ding ein echtes Schnäppchen!«
»Gut, damit ist das entschieden. Wann willst du fliegen? Soll ich die Tickets besorgen?« Hetty sah Paul abwartend an.
»Ähm, also Tickets brauchen wir eigentlich nicht. Ich habe einen Freund mit einer Cessna, der nimmt uns gegen ein paar Dollar Spritgeld mit. Allerdings sind wir dann zwei Tage unterwegs!«
Paul war sich anscheinend nicht sicher, was Hetty von seinem Vorschlag halten würde, denn er wirkte leicht verlegen.
Die antwortete ganz cool und nach außen hin völlig abgeklärt. »Das ist ja noch besser! Paul, du bist echt spitze!« und strahlte ihn an.
Im Hirn herrschte Jubel. Zwei Tage Anreise, statt der läppischen drei Stunden Flug – die Hormongruppe legte einen Stepptanz hin.
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