„Keine Ursache.“ Während ich kaute, betrachtete ich sein Gesicht. Er wirkte selbstzufrieden. Beinah schon glücklich. „Hey, wenn du denkst, ich stehe damit in deiner Schuld, vergiss es. Ich bin dir dankbar. Wirklich. Aber ich vergesse nicht, was du mir angetan hast. Das kann ich dir nicht verzeihen.“
„Du redest von der Sache mit Laura, oder?“
„Auch. Aber ich meine das, was vorher passiert ist.“ Alan runzelte die Stirn und fauchte leise. „Was meinst du? Dass ich dich zu meiner Alpha gemacht habe? Geht es darum? Oder dass ich dich für mich beanspruche? Verdammt Sam, wenn Roman mich nicht entführt hätte, wärst du mit mir ins Bett gegangen! Freiwillig.“ Ich lachte bitter. „Ja, und hinterher hätte ich mir dafür in den Hintern gebissen. Ich sollte dem Wandler wirklich dankbar sein, findest du nicht?“
Den Kopf schüttelnd stopfte ich ein weiteres Stück in den Mund, kaute, schluckte es hinunter und sprach weiter. Hm, meine Energie kehrte zurück. Sehr gut! „Warum Alan? Ich hätte Laura da rausholen können! Du hättest mir nur vertrauen müssen. So wie ich dir vertraut habe. Ich war so blöd! Ich bin zweimal auf dich und Roman hereingefallen. Warum hast du das getan?“ Alan schluckte, sichtlich geschockt, weil ich ihn damit konfrontierte. „Du weißt es?“
Oh ja, und ob ich das tat. „Roman hat mich vergessen lassen. Kevin und den Angestellten der Versicherung hat er andere Erinnerungen gegeben. Aber bei mir hat das nicht geklappt, stimmt’s? Darum konnte ich mich an nichts erinnern. Ich weiß, woran ich mich hätte erinnern sollen , wenn es denn funktioniert hätte. Warum ausgerechnet diese Erinnerung und wieso der Plan, dass ich bei dir einziehe? Eigentlich ist das nebensächlich. Vermutlich, dass du dir sicher sein kannst, dass ich dein Spiel nicht doch durchschaue. Die wichtigste Frage ist doch: Warum hast du mir nicht vertraut? Ich hätte Laura helfen können. Mein Plan war perfekt. Du weißt das! Genauso habe ich nämlich auch dich rausgeholt. Das, Alan, kann und werde ich dir nicht verzeihen. Niemals.“
Er hatte mir ruhig zugehört. Ein bisschen, als wäre er versteinert. Jetzt holte er tief Luft, stand auf und lief wie ein hungriges Raubtier in der Küche auf und ab. „Ich hatte meine Gründe. Herr Gott nochmal, ist das wichtig?“ Während ich langsam den Kopf schüttelte, aß ich weiter. „Jetzt nicht mehr. Ich habe dir das Leben gerettet, du mir. Wir sind quitt.“ Alan schnaubte. „Noch nicht. Du packst ein paar Sachen und kommst mit mir. Ich kann das Risiko dich zu verlieren nicht eingehen. Ich werde mit Bingham reden und ihn dazu auffordern herauszufinden, welcher Vampir dich gebissen hat. Derjenige wird sich dem Rudel gegenüber verantworten müssen.“ Ich verschluckte mich doch wahrhaftig an meinem Eierkuchen! Hastig trank ich den Tee, damit auch der letzte Krümel aus meiner Kehle verschwand. Besorgt legte Alan eine Hand auf meinen Rücken, die ich reflexartig von mir schüttelte. „Fass mich nicht an!“, zischte ich, immer noch hustend, bevor ich endlich wieder richtig atmen konnte.
„Gestern Nacht hat dich das nicht gestört.“, erwiderte er leicht belustigt. „Gestern Nacht war ich halbtot und mein Kopf zu nichts zu gebrauchen. Ich dachte, du bist mein Zahnarzt!“ Auf sein fragendes Gesicht hin winkte ich ab. „Du isst, ich packe deine Sachen.“ Oh nein, so nicht! Ich war froh, dass sie alle wieder hier waren. „Vergiss es. Ich ziehe nicht zu dir. Und spar dir die Mühe, Bingham zu fragen. Es war Bingham. Senior. Er meinte, ich sei eine Mörderin und das ich bestraft werden müsse.“ Alans schöne Gesichtszüge entglitten, bis sie etwas beunruhigend Fratzenhaftes an sich hatten. Das Tier in ihm saß sehr nah unter der Oberfläche. „Alan?“ Ich verspürte leichte Panik. „Er hat was?“
Viel zu ruhig diese Stimme.
Die Gefahr, die von ihm ausging, war nahezu greifbar. Doch ich wusste, dass nicht ich diese Wut zu spüren bekäme.
Ich erzählte ihm, was vorgefallen war; was Bingham mir gesagt hatte. Nachdem ich geendet hatte, ging er wortlos aus der Küche in den Flur, wo ich ihn wenig später telefonieren hörte.
Was er am Telefon sagte, gefiel mir ganz und gar nicht.
Zeit für einen Kaffee. Einen großen, nicht entkoffeinierten, heißen Kaffee. Ich brauchte dringend einen klaren Kopf. Ohne Koffein war es nach dieser Nacht schlichtweg unmöglich. Selbst auf die Gefahr hin, dass ich dadurch noch nervöser und aufgedrehter wurde, was ich mir jedoch kaum vorstellen konnte.
Ich hatte den Biss eines Vampirs überlebt.
Möglicherweise nur durch die Hilfe des Rudels, aber ich hatte überlebt. Nur, zu welchem Preis? Bingham würde es wieder versuchen, oder nicht? Wen hatte ich in seinen Augen umgebracht, abgesehen von dem Wandler, dass ich es verdient hatte zu sterben?
Hatte der Wandler ihn damals so weit unter Kontrolle gehabt, dass er nicht mehr unterscheiden konnte? Weshalb hatte er so lang gewartet? Ich war mir sicher, dass er mich hätte finden können. Auch als ich bei Humphrey untergetaucht war.
Während ich geistesabwesend die Kaffeemaschine füllte und Alan am Telefon Befehle bellen hörte, kreisten unaufhörlich Fragen in meinem Kopf, auf die ich keine Antworten wusste. Eine davon betraf Laura.
Ich wünschte, ich hätte eine Antwort. Doch leider konnte die mir niemand geben.
Während das Wasser geräuschvoll in die Maschine gluckerte, schloss ich die Augen und versuchte mich an ihre Worte zu erinnern.
An ihre Gesten.
Ihre Stimme.
Alles schien so weit weg. Dennoch war ich mir ganz sicher, dass ich mir Laura nicht eingebildet hatte. Sie würde mit mir reden. Früher oder später. Vielleicht in meinen Träumen. Oder wenn ich mal wieder ohnmächtig war? Lieber wäre es mir, wenn sie sofort auftauchen und vor allem bleiben würde.
Letzteres war unmöglich; ich wusste das.
Seufzend nahm ich eine Tasse aus dem Schrank und füllte sie mit dem köstlich riechenden, dampfenden Getränk, dessen wohlwollendes Aroma verlockend an meinen Sinnen zupfte. Die Maschine hatte ihn auf meine Programmierung hin bereits mit Milch und Zucker versetzt. Ich brauchte heute Zucker. Viel davon! Außerdem war mir nach einem riesigen Steak und diversen anderen Dingen, die ich allesamt nicht vorrätig hatte. Und dass, nachdem ich bereits eine riesige Ladung Eierkuchen vertilgt hatte. Missmutig schielte ich auf den leeren Teller, der auf dem Tisch stand. Mein Magen knurrte hungrig. Anscheinend mutierte ich durch meine Nahtoderfahrung zu einem gefräßigen Etwas.
Der Kaffee belebte meine Sinne, rollte weich und heiß über meine Zunge, meine Kehle hinunter und durchflutete mich mit wärmender Energie.
Himmlisch.
Seufzend trank ich einen weiteren Schluck und stellte mir vor, wie es wäre ihn unter schöneren Umständen zu genießen.
Es gelang mir nur kläglich.
Zu viele Dinge schwirrten in meinem Kopf herum, die jegliche, wundervolle Illusion zerstörte. Alans Stimme riss mich aus dem Versuch, wenigstens eins der schönen Trugbilder aufrecht zu erhalten. „Ich habe sämtliche Jobs der nächsten Wochen abgesagt. Bingham wird sich dafür verantworten müssen.“ Schön. Sämtliche Jobs, ha. Dass ich nicht lache. Wenn er einen in zwei Monaten annahm, war das schon fast eine Premiere. Kein Wunder, bei dem Geld was man ihm für einen Job anbot. Besonders, da sich sämtliche Agenturen um ihn rissen.
Glaubte Alan ernsthaft, er könnte Bingham aufspüren?
Ich bezweifelte es.
Noch mehr bezweifelte ich, dass Bingham in seinem burgähnlichen Anwesen auf die Rache des Gestaltwandlers wartete. Mehr als ein schwaches Nicken brachte ich nicht zustande. Wo sollte ich mich vor Bingham verstecken?
Was, wenn er es nochmal tat?
Was, wenn er es diesmal nicht auf die langsame Art versuchte, sondern mir gleich das Genick brach?
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