„Ist dir kalt?“ Ich schluckte. Natürlich würde er sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mit mir in einem Bett zu liegen. Am liebsten hätte ich wie eine Furie um mich geschlagen, aber es war schon eine Kraftanstrengung gewesen mich an ihn zu kuscheln. Egal!
Selbst wenn es Alan war, er war warm. Und mir war furchtbar kalt. Ich nickte, weil ich befürchtete, mir auf die Zunge zu beißen, sollte ich versuchen wollen zu sprechen. „Maya, lass ihr ein Bad ein. Ein heißes.“
War er bescheuert? Ich würde jämmerlich ersaufen! So sehr wie ich zitterte, war mir klar, dass ich meinen Körper kein bisschen unter Kontrolle hatte.
Nach und nach verließ das Rudel mein Zimmer.
Vermutlich auch mein Haus.
Nur Matthes und Alan blieben. Und Maya. Aber die war in meinem Bad. „Matthes, dreh die Heizungen auf. Alle. Auch oben.“ Heizung.
Heizung klang gut.
Viel vernünftiger als ein Bad, obwohl auch das sehr verlockend schien. Nur würde ich allein nicht aufrecht sitzen können. Maya könnte mich festhalten. Ja, das wäre einleuchtend.
„Sam, ich werde dich ausziehen.“
‚Untersteh dich’, wollte ich fauchen. Aber welche Sprache auch immer ich dabei fabrizierte, sie war nicht mal in meinen Ohren verständlich. „Schsch, ganz ruhig. Ich werde die Situation nicht ausnutzen. Versprochen.“ Wenigstens hatte Alan nicht verlangt, dass ich ihm vertraute.
Er zog mich so behutsam aus, als wäre ich zerbrechliches Porzellan. Sofort war mir noch kälter. Aber er nahm mich auf seine Arme und wickelte eine große Decke um uns beide. Mein Kopf rollte gegen seine Brust.
Ah, die kannte ich.
Er hatte mich also vorhin auch schon getragen. Nur dass ich jetzt wieder einigermaßen klar denken konnte, mich nicht mehr wie eine Nudel al dente fühlte – oder zumindest nicht mehr allzu sehr – und ich beziehungsweise wir beide vorhin sicher nicht nackt gewesen waren. Mit leisen Worten scheuchte er Maya aus dem Bad. „Handtücher liegen auf dem Stuhl. Ich setze ihr noch einen Tee an, dann gehe ich.“ Alan nickte.
Oh hey… er bedankte sich sogar!
Meine Ohren mussten kaputt sein.
„Sam, kannst du dich an mir festhalten?“ Er machte wohl Scherze. Immerhin schaffte ich es, meine Augen vor Entrüstung weit aufzureißen: Ganze zwei Millimeter!
Die Idee, mit ihm in die Wanne zu klettern war gar nicht so schlecht, fand ich. Er hatte genug Kraft, um mich nicht untergehen zu lassen.
Nur der Gedanke, mich an ihm festzuhalten war absurd. Dazu müssten meine Arme nämlich gebrauchsfähig sein. Das waren sie nicht. Genauso wenig wie meine Beine. Selbst mein Kopf war viel zu schwer. Mein Körper war eine einzige Mischung aus Beton und Gelee. Ein katastrophaler Zustand, von dem ich mich hoffentlich bald erholte.
Herrlich warmes Wasser umspülte mich. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie Alan mit mir in die Wanne gestiegen war. Er saß hinter mir, die Arme über meinen Brüsten verschränkt, sein Gesicht in meiner Schulterbeuge vergraben. Es war mir ein Rätsel, weshalb ich nicht protestierte. Es fühlte sich richtig an. Als ob es genau so sein müsste. Wahrscheinlich war mit meinem Gehirn auch nicht alles in Ordnung.
Das Zittern ließ allmählich nach.
Ob das am warmen Wasser oder an Alans beruhigendem Streicheln lag, war mir einerlei. Hauptsache war, dass es funktionierte. Mir war zwar noch kalt, aber nicht mehr so sehr. Vorsichtig hob Alan mich aus der Wanne, setzte mich langsam auf den Stuhl – hey, ich konnte tatsächlich ganz allein sitzen – rubbelte mich sorgfältig und behutsam trocken, nahm dann das zweite Handtuch und trocknete sich ebenfalls ab. Seine Blicke, die voller Sorge, aber auch Zärtlichkeit auf mir ruhten, sagten mehr als Worte. Sowie er fertig war, nahm er mich wieder auf die Arme, hüllte uns in die Decke und trug mich zurück ins Bett, in dem er hinter mich glitt, mich fest an sich zog und uns zudeckte.
Es dauerte nicht lang und ich fiel in einen tiefen Schlaf.
Als erstes bemerkte ich, dass etwas Pelziges auf meiner Zunge saß. Schmatzend versuchte ich es, zu vertreiben. Doch das Biest hielt sich hartnäckig.
Als zweites stellte ich fest, dass ich derart durstig war, dass ich einen See hätte leer trinken können.
Oder zwei.
Als drittes fiel mir auf, dass ich allein im Bett lag und meine Arme und Beine wieder funktionierten. Zu gern hätte ich mir eingeredet, dass alles nur ein Traum gewesen war. Leider wusste ich es besser.
Bedächtig glitt ich mit den Fingern zu meinem Hals, an dem die Wunde, die Bingham hinterlassen hatte, träge pulsierte. Noch immer konnte ich nicht begreifen, weshalb er das getan hatte oder warum Alan dazu in der Lage gewesen war mir zu helfen. Möglicherweise zählte ich auch einfach zu den zehn Prozent der movere , die die Attacke eines Vampirs überlebten.
Jawohl!
Und jetzt nennt mich Zahnfee!
Nein, ich war mir sicher, dass es etwas mit dieser Rudelsache auf sich hatte. Der Panther… war das Alan gewesen?
Obwohl es mir überhaupt nicht in den Kram passte, würde ich mich bedanken müssen.
Langsam schälte ich mich aus dem Bett und betrachtete gedankenverloren meine nackten Zehen, die nicht in das Bild mit den gelben Enten passen wollten. Ich erinnerte mich an Lauras Lachen, als wir diesen Teppich gekauft hatten und ich ihr erklärt hatte, dass ich die Enten toll fand. Sie passten zu den blauen Vorhängen – hatte ich betont. Jetzt war ich mir da nicht mehr so sicher. Prüfend richtete ich mich auf.
Yeah, ich kann stehen!
Ganz allein. Auf meinen Beinen.
Na gut, sie trugen mich. Trotzdem schlurfte ich wie eine alte Omi zu meinem Kleiderschrank. Hey, immer schön langsam , sagte ich mir. Ich lebte noch. Alles andere war erstmal zweitrangig. In aller Ruhe zog ich mich an, schlüpfte in meine Pantoffel und trottete zur Küche. Ich hatte nicht nur riesigen Durst, ich hatte auch einen Bärenhunger.
Es wunderte mich nicht, dass ich Alan in meiner Küche vorfand. Er hatte Eierkuchen gemacht, einen riesigen Stapel davon und stellte mir eine Tasse kalten Tee vor die Nase. Wow, konnte Alan hellsehen? Heißen Tee hätte ich nämlich ausgeschlagen. „Maya hatte ihn für gestern Abend gedacht.“
Ooh-kay? Möglicherweise konnte er nicht hellsehen, sondern Gedanken lesen. Woher hatte er eigentlich gewusst, dass ich kurz davor gewesen war, die Radieschen von unten anzusehen? Natürlich hatte er gewusst, seit wann ich wieder im Haus war. Davor hatte ich nämlich keine Post von ihm bekommen.
Ich konnte also davon ausgehen, dass jemand das Haus bewacht hatte.
Aber Bingham war nicht durch die Tür gekommen!
„Laura war hier.“, murmelte ich. Vielleicht, weil ich seine Reaktion sehen wollte. Vielleicht auch, weil ich bestätigt haben wollte, dass es unmöglich war. „Ich weiß.“ Ähm, hoppla! Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet. „Du hast sie auch gesehen?“ War das möglich? „Nein. Aber sie hat mich gerufen. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Das ganze Rudel hat es gespürt. Aber ich hatte keine Ahnung, dass es dich betraf. Bis Laura mich um Hilfe bat.“ Also war sie wirklich hier gewesen. Aber wie war das möglich? „Sie ist tot.“ Und das ist deine Schuld! Meine Gedanken schrien es so laut, dass ich mir unsicher war, ob ich es doch aussprach. „Ich weiß.“ Gut. Trotzdem hatte ich sie gesehen. Alan hatte sie gehört.
Und sie hatte mir versprochen, mit mir zu reden.
Leise setzte er sich mir gegenüber an den Tisch. Den Teller mit den Eierkuchen hatte er in die Mitte gestellt, einen leeren Teller vor mich. Ebenso Besteck, Zucker, Marmelade und Sirup. „Danke.“, murmelte ich, während ich mir einen Eierkuchen auf den Teller legte, ihn mit Zucker bestreute, einrollte, ein großes Stück abschnitt und in meinen Mund schob. Himmlisch. „Wofür?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Für das Essen. Den Tee. Das ich noch lebe.“
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