Ich lag an seiner Brust wie eine Strohpuppe.
Obwohl ich wusste, dass seine Zähne eigentlich nur etwa zwei Zentimeter lang – und außerdem verdammt spitz – waren, fühlte es sich an, als reichten sie bis zu meinen Fußsohlen.
Ebenso der Schmerz, der wie ein reißender Fluss durch meinen Körper raste. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis er endlich von mir abließ. Wie ein Sack Zement knallte ich auf den Boden. „Auf das Sie in der Hölle schmoren mögen.“, zischte er leise, bevor er auf dieselbe Weise verschwand, auf die er gekommen war.
Schnell und lautlos.
Verdammt!
Warum ich?
Was hatte ich denn getan, dass ich sowas verdiente?
Es war einem Vampir bei Strafe verboten, einen movere zu beißen. Bingham hatte sich jedoch nicht nur an mir genährt, er hatte mich bestraft. Nur ... wofür? Warum ging er dafür nicht den Weg des Gesetzes? Ein Missverständnis, ganz sicher.
Wen sollte ich seiner Meinung nach denn ermordet haben?
Ich könnte nicht sagen, wie lange ich meinen Fußboden ansah, der – nebenbei bemerkt – ein interessantes Holzmuster besaß. Fast so, als würden einen Augen anschauen. Jedenfalls schaffte ich es irgendwann, mich aufzurappeln. Ich war am Verdursten. Außerdem machte es mich verrückt, dass das Haus begann, sich um mich zu drehen.
Ich taumelte, mehr als dass ich aufrecht lief, in Richtung Küche. An deren Eingang musste ich mich kurz am Türrahmen anlehnen. Mein Kopf fuhr Karussell.
Links herum.
Mein Körper in die entgegengesetzte Richtung.
Jeder kann sich vorstellen, was für ein Gefühl sich dadurch in der Halsgegend bildete.
Ich holte Luft oder versuchte es zumindest, aber der Sauerstoffgehalt meiner Wohnung schien auf ein Minimum gesunken zu sein. Obendrein war ich undicht: Ich tropfte.
Ich spürte das warme Blut deutlich, das an meinem Hals nach unten lief und mein Shirt versaute. Vielleicht könnte ich die Löcher irgendwie stopfen? Ach was, die… ein Tuch vielleicht?
Egal, erstmal trinken.
Es fühlte sich an, als würde mein Mund eine Wüste beherbergen.
Keuchend schleppte ich mich zur Anrichte, angelte mit klammen Fingern ein Wasserglas und hielt es zitternd unter den Wasserhahn. Leider scheiterte ich sowohl daran, den Wasserhahn zu öffnen als auch daran das Glas festzuhalten. Nicht nur, weil meine Hände glitschig waren von meinem eigenen Blut. Mir fehlte jegliche Kraft dazu. Scheppernd fiel das Glas in die Spüle und zersprang in tausend Stücke.
Angestrengt schaute ich auf die Scherben, in denen sich das Licht spiegelte; dieses funkelnd zurückwarf. Die Farben, die sich dabei bildeten, konnten unmöglich echt sein. Besonders nicht, da sie anfingen, wie Dampf aufzusteigen und durcheinanderzuwirbeln. Das Kichern, das aus meiner Kehle drang, klang erstickt und blechern. Mühsam zwang ich meine immer tauber werdenden Beine, sich aufrecht zu halten, schätzte die Entfernung zu meinem Küchentisch, der seltsam schwankte und waberte, stieß mich von der Anrichte ab und torkelte auf diesen zu.
Unendlich erleichtert ihn endlich erreicht zu haben, ließ ich mich auf den Stuhl sinken, legte die Arme und den Kopf auf den Tisch und versuchte meine Atmung zu beruhigen. Würde ich einen Marathon rennen, wäre ich nicht mal annähernd so fertig.
Darauf könnte ich einen Eid schwören.
Ich könnte den sogar auf die Bibel schwören. Ehrenwort. Ich war fix und alle und fertig.
Warum hatte Bingham mich gebissen? Wen sollte ich umgebracht haben? Mich durchzuckte die Idee, dass er Nicoletta Devereaux gemeint haben könnte.
Es fiel mir zusehends schwerer, einen klaren Gedanken zu fassen. Mein Oberkörper war sicher mit Blei gefüllt. Möglicherweise stand ein Baufahrzeug auf meinem Rücken.
Oder der gesamte Fuhrpark einer Baufirma.
Verflixt!
Ich wollte nicht sterben.
Nicht so.
Nicht mit gerade mal 29.
Mein Atem rasselte, als hätte ich einen Teich mit Fröschen leer getrunken, die sich jetzt alle in meiner Kehle versammelten. Meine Augen gaukelten mir seltsam hüpfende Lichter vor, bevor ich sie für eine Sekunde schloss. Es war viel zu anstrengend sie offen zu halten. Meine Beine und Arme fühlte ich gar nicht mehr. Würde ich nicht sitzen, kämen mir Zweifel, ob ich überhaupt ein Hinterteil besaß. Zu spät fiel mir ein, dass ich jemanden anrufen könnte. Aber das Telefon lag in der Wohnstube.
Glaubte ich zumindest.
Im nächsten Moment war ich mir nicht einmal mehr sicher, was ein Telefon eigentlich war.
Mein Gehirn war ein einziger Brei, der in meinem Kopf hin und her schwappte. „Sam, mach die Augen auf.“ Ein hysterisches Glucksen kroch aus meinem Mund, als ich ihre Stimme hörte. Denn das bedeutete, dass ich entweder schon tot war oder halluzinierte. „Sam, na los. Sieh mich an! Du lässt dich von ein bisschen Vampirgift doch nicht unter die Erde bringen.“ Mit einem Kraftakt, der ans Gewichte stemmen erinnerte, hob ich die Augenlider.
Sie stand vor mir.
Mit einem besorgten Lächeln und ihren strahlend blauen Augen. „Laura?“ Mein Mund war trocken. Eine Wüste voller Sand, der auf meiner Zunge rieb. „Ja. Ich bin hier. Komm Süße, setz’ dich richtig hin. Wir müssen reden.“ Ja, genau. Das mussten wir.
Aber nicht jetzt.
Ich war beschäftigt.
Mit wach bleiben.
Mit Luft holen.
Lauter solchem Zeugs.
Konnte ich nicht von ihr fantasieren, wenn ich nicht kurz davor war den Löffel abzugeben? „Sammylein, setz dich richtig hin! Ich weiß, es ist anstrengend, aber tust du das bitte für mich?“
Zitternd richtete ich mich auf, was mehr von einer Marionette hatte, als mir lieb war. Mit einem Ruck zog ich erst meinen linken, dann meinen rechten Arm vom Tisch, so dass sie wie Teigrollen in meinen Schoß glitten.
Waren das meine Arme? Sie fühlten sich nicht so an. Aber sie hingen an meinen Schultern, also mussten sie es wohl sein. „Sam, sieh mich an!“ Sie sagte das so einfach.
Das war es nicht.
Mein Kopf wog grob geschätzt eine Tonne, saß aber auf einem Hals, der maximal einen Zentimeter breit war. Ein äußerst schwieriger Balanceakt, der meine ganze Konzentration erforderte.
Was tat ich hier eigentlich?
Ich saß an meinem Küchentisch und hörte auf meine Laura, die vor drei Monaten gestorben war. Das war…
Etwas glitt kitzelnd über meine Wangen, als sie mir gegenüber Platz nahm, ihre Hände nach meinen ausstreckte – die ich erst auf meinen Schoß hatte fallen lassen und die nicht mehr wirklich zu mir gehörten. Doch jetzt bewegten die sich von ganz allein auf die Mitte des Tischs zu, wo sie Lauras Hände berührten. Ich sah es, konnte es aber nicht fühlen. „Nicht weinen, Sam. Ich bin hier.“ Ich weinte? Komisch, dass ich es nicht spürte.
„Bin ich tot?“ Mein Kopf weigerte sich gegen diese Vorstellung. Wenn ich es wäre, würde mir doch nicht alles wehtun, oder? „Nein. Du stehst auf der Schwelle. Ich bin hier, um dich davon abzuhalten sie zu überschreiten.“
„Warum?“ Hey, ich wollte absolut nicht sterben. Aber so wie sich mein Körper anfühlte oder eher nicht anfühlte, wäre mir sogar der Tod recht. Mir tat alles weh. Gleichzeitig spürte ich nichts.
Absurd.
Als wären meine Gliedmaßen an den völlig falschen Stellen angewachsen, nachdem sie mir das Gift vom Körper getrennt hatte. Meine Nerven übertrugen zwar die Gewissheit, dass sie schmerzten, aber waren damit überfordert, den Rest zu übermitteln. „Sam, deine Zeit ist noch nicht um. Du hast noch einiges zu tun. Ich werde Hilfe für dich holen.“
Hilfe.
Für mich?
Super.
Wäre ich nicht damit beschäftigt gewesen gedankenverloren in ihre Augen zu sehen, hätte ich mich auch erinnert, wofür ich Hilfe brauchte.
Ist heute Montag? Wollte ich etwas erledigen?
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