Nun… selbst wenn er wie ein Irrer den Kopf geschüttelt hätte, wäre das kein Grund für mich gewesen, meine beste Freundin im Stich zu lassen. Geschweige denn meinen Plan aufzugeben.
Notfalls würde ich allein dorthin gehen.
Ich war froh, dass Alan mit Ribbert gesprochen hatte. Hoffentlich war der nicht allzu sauer auf mich. Ich schluckte, weil mir unerwünschte, hässliche Szenarien in den Kopf schossen, die Ribbert sich für mich ausdenken könnte. Schließlich war es seine Statue gewesen, die ich… äh… entwendet hatte. Sein Anwesen, in das ich problemlos eingebrochen war.
Ich atmete tief ein.
Für diese Aktion brauchten wir Ribbert. Nur so konnte ich garantieren, dass Alan weit weg von diesem dämlichen Wandler wartete. Wobei ich mir kaum vorstellen konnte, dass Alan freiwillig Däumchen drehte. Hatte er deswegen Roman dabei?
Äh… nein.
Der sollte bestimmt auf mich aufpassen. Mich notfalls beschützen. Sowohl vor dem Wandler als auch vor Ribbert. Schließlich hatte ich die ganze Sache erst ins Rollen gebracht. Ein Vampir als Rückendeckung war nicht unbedingt das, was ich unter beruhigend verstand. Aber seine Rückendeckung war besser als gar keine.
Kurz vor zwei nahm ich Alans Ratschlag, dass ich mich noch eine Weile hinlegen sollte, an. Schließlich wäre ich in meinem gegenwärtigen, müden Zustand keine großartige Hilfe für Laura. Als ich nach gut drei Stunden wieder zu den beiden kam, war von Aufbruchsstimmung noch nichts zu bemerken. Dabei war es schon dunkel. Höchste Zeit, dass wir in die Spur kamen.
Warum hatte Alan mich nicht geweckt? Wie lange mussten wir noch auf Ribberts Leute warten?
Kurz vor sechs wurde ich langsam hibbelig. Immer wieder schaute ich auf die Uhr. „Alan, wann kommen die endlich?“ Alan sah erst mich an, dann Roman, der aufstand und zielstrebig zu mir kam. Irgendwas sagte mir, dass etwas nicht stimmte. Ganz und gar nicht stimmte.
Hätte ich mal auf mein Bauchgefühl gehört…
Denn noch bevor ich aufspringen konnte, hatte Roman sich neben mich auf die Couch gesetzt, meinen Kopf in beide Hände genommen und sah mir tief in die Augen. Alans Worte klangen verhöhnend in meinen Ohren. Er sagte sie leise. Dennoch hatten sie auf mich die Wirkung eines Vorschlaghammers. „Ich kann das Rudel nicht gefährden, Sam. Auch nicht für deine Freundin. Wir werden sie nach dem Ritual holen.“ Was ging mich sein beschissenes Rudel an? Ich wollte ihn anbrüllen, ihn treten, schlagen, das Gesicht zerkratzen, ihm sämtliche Knochen brechen. Anschließend diesem blöden Vampir, der ihn unterstützte.
Ich hätte es auch getan, wenn ich mich hätte bewegen können! „Samantha, du wirst dich an nichts von alledem erinnern. Nicht, dass Laura weg ist. Nicht, dass ihr geplant habt sie zu retten oder dass du weißt, wo sie ist.
Alan ist aus dem Haus gegangen, du hast die letzten zwei Tage mit allen möglichen Dingen verbracht, die du sonst auch tust. Du hast Laura angerufen und sie hat dir kurz angebunden mitgeteilt, dass sie ein wenig Zeit für sich braucht. Sie hat dir gesagt, dass sie gekündigt hat.
Du verstehst das.
Heute Morgen hast du dich einsam gefühlt. Also hast du ausfindig gemacht, wo Alan sich aufhält und bist zu ihm gegangen. In seiner Garderobe seid ihr mehr oder weniger übereinander hergefallen, aber Alan hat dich aus Zeitmangel auf später vertröstet. Immerhin bist du die Eine für ihn. nicht nur ein kurzer Fick für zwischendurch.
Ich bringe dich jetzt nach Hause. Mach dich hübsch für ihn. Zieh dir ein paar schicke Dessous an. Du willst ihn. Verführe ihn!“ Während Roman eindringlich mit mir sprach, lief in meinem Kopf eine Art Film ab. So, als würde ich diese letzten Tage im Zeitraffer betrachten. Irgendwann gingen das Gesagte und der vor meinem inneren Auge ablaufende Film in ein statisches Rauschen über. Tausende Ameisen schienen über meine Ohren und Augen zu krabbeln.
Ich wollte nicht vergessen!
Wozu sollte das gut sein? Laura brauchte mich doch!
Und warum sollte ich Alan verführen? Sogar Dessous sollte ich anziehen. Was dachte sich Roman mit dieser Aktion? Waren die zwei völlig von allen guten Geistern verlassen?
Dann stand ich barfuß auf meiner Terrasse, mein Kopf war völlig leer und ich fror…
Tja, und das war der Punkt, an dem ich wieder zu mir gekommen war. Ohne die falsche, aber leider auch ohne die echte Erinnerung. Tränen liefen mir übers Gesicht: Laura hatte mich angerufen. Sie hatte mich um Hilfe gebeten. Alan hatte mich erst in Sicherheit gewogen und dann für sein Rudel hintergangen.
Eiskalt. Zusammen mit Roman!
Ich hatte geglaubt, dass er sich eins und eins zusammengereimt hätte. Dass er jedoch von vornherein wusste, dass Laura in den Händen des Wandlers gewesen war… „Er hat mich verarscht!“ Entsetzt schüttelte ich den Kopf. „Wie konnte er nur?“ Humphrey saß nach wie vor hinter mir, seine Arme um meine Schultern geschlungen und hielt mich, während ich schluchzend um einen klaren Gedanken und eine logische Antwort kämpfte.
2 Wochen später…
Müde und ausgezehrt kam ich von meinem Streifzug zurück. Von einem äußerst erfolgreichen. Die Edelsteine hatten einen beachtlichen Wert. Meine Gürteltasche nicht wie üblich unter dem Kopfkissen verstauend, sondern in meinem bereits gepackten Rucksack, streckte ich mich und kreiste mit den Schultern, die ein knackendes Geräusch von sich gaben. Ich war wahrhaftig in einem knackigen Alter. Wehmütig sehnte ich mich nach einem heißen Bad und meinem eigenen Bett.
Morgen.
Morgen würde ich heimkehren. Humphrey wusste Bescheid. Meinen Bruder hatte ich ebenfalls angerufen.
Ich musste zurück. Schließlich konnte ich mich nicht ewig verstecken.
Gott, wie sehr ich das Haus vermisste.
Wie sehr ich Laura vermisste!
Zwei Monate waren einfach nicht genug, um meine Trauer zu begraben. Oder meine Wut auf einen ganz bestimmten Mann. Einen Mistkerl. Einem, der nicht nur ein- oder zweimal mein Vertrauen missbraucht hatte, sondern gleich drei Mal.
In nicht mal zwei Monaten.
Dass die letzten beiden unmittelbar mit Laura zusammen hingen, war unverzeihlich. Nicht nur, dass er und Roman meine Erinnerungen manipuliert hatten, sondern auch die von Kevin. Doch sie vergaßen in ihrer manipulativen Selbstüberschätzung, dass die beiden ein Paar waren. Dass Kevin Laura erneut suchen würde. Liebe fand ihren Weg.
Das hatten weder Alan noch Roman einkalkuliert.
Mich dazu zu bringen mich Alan anzubieten war aus demselben Grund gescheitert. Hoffte ich zumindest.
Zu dumm, dass ich zu dem Zeitpunkt, als Kevin mich das erste Mal auf Handy anrief, nicht auf der Höhe war und Alan das Gespräch angenommen hatte.
Was für ein glücklicher Zufall – für Alan.
Natürlich hielt er es selbst dann noch nicht für notwendig, seine Entscheidung zu überdenken.
Hatte er ohne jegliche Skrupel Lauras möglichen Tod in Kauf genommen?
Die Antwort war niederschmetternd: Ja, hatte er.
Noch einmal ließ ich mir durch den Kopf gehen, woran ich mich seit zwei Wochen erinnerte. Doch noch immer konnte ich es nicht fassen. Mein anfängliches Entsetzen, hatte sich, übergehend in blankes Entsetzen und völlige Taubheit, in rasende Wut verwandelt.
Der sollte mir in die Quere kommen!
Für mich war dieser Armleuchter von einem Mann gestorben!
Ab sofort waren wir wieder per Sie!
Hoffentlich vergaß ich das nicht, sobald ich ihm gegenüber stand. Denn früher oder später würde das passieren.
Sicherlich schäumte er vor Wut, weil seine Alpha – nämlich ich – abhanden gekommen war.
Der arme Kerl. Jetzt musste er bei seinen Partys allein aufkreuzen. Ganz zu schweigen von den Rudeltreffen, die ich versäumte.
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