Wenigstens hatte er mich weitgehend aus der Presse heraus gehalten. Ansonsten könnte ich mich bestimmt auf etwas gefasst machen.
Und das Rudel?
Sah ich irgendwie pelzig aus, hatte Reißzähne und Klauen? Leuchteten meine Augen fanatisch, weil ich mich wie eine Irre freute zu diesen Fellärschen zu gehören? Trotzdem gehörte ich dazu. Leider. Laut den Regeln durfte ein Mitglied des Rudels aus Unpässlichkeit abwesend sein. Es wurde nicht genau definiert, ob das meinen Status mit einschloss und war somit ein Punkt, auf den ich mich jederzeit berufen konnte.
Unpässlich war ich nämlich in vielerlei Hinsicht.
„Bist du dir sicher, dass du heimwillst? Du kannst gern noch bleiben.“ Humphrey lehnte lächelnd an dem provisorisch angebrachten Türrahmen des zweiten Zimmers, das ich die letzten acht Wochen bewohnt hatte. Es glich dem ersten fast bis aufs Haar: Ein Feldbett, ein Tisch, Steinwände, Decken vor den Türen, damit es nicht zu kalt wurde, dicke Teppiche auf dem Boden, zwei Stühle, ein Heizstrahler. Doch anstelle des Herdes, der in dem anderen Zimmer stand, besaß dieses eine altmodische Dusche. „Ja. Nein. Ich weiß nicht. Aber ich muss zurück. Ich bin das Verstecken allmählich leid. Laura kommt davon nicht wieder, weißt du?“
Humphrey nickte mit einem zaghaften Lächeln. „Du bist mir jederzeit Willkommen, Kleines.“ Ich dankte ihm, indem ich dem großen, manchmal sehr wortkargen Mann um den Hals fiel. „Danke, für alles.“, murmelte ich an seiner Brust, denn höher reichte ich nicht. „Gern geschehen.“ Humphrey küsste meine Stirn, wozu er sich doch glatt ein wenig zu mir herunter beugen musste. „Gute Nacht, Kleines. Wir sehen uns.“ Ja, da war ich mir sicher. „Wir sehen uns. Ach, Humphrey?“ Er drehte sich noch mal um. „Hm?“ Verstohlen biss ich mir auf die Unterlippe und flüsterte, dass ich ihm vertraute. Ein Lächeln huschte über sein schönes Gesicht, was auch die Narbe für mich nicht entstellte. „Danke.“
Er drehte mir den Rücken zu, tippte sich mit zwei Fingern zum Abschied an die Schläfe und schloss leise hinter sich die Tür. Schwer schaukelnd fiel die Decke in ihre richtige Position, so dass von der Tür nichts mehr zu sehen war. „Gern geschehen.“, flüsterte ich, streckte meine müden Glieder und legte mich schlafen.
Mit Klamotten.
Ohne Dusche.
Als ich am späten Vormittag aufwachte und in das andere Zimmer lugte, war Humphrey längst unterwegs. Ich ging zurück, warf mir ein wenig Wasser ins Gesicht, kämmte mir die Haare, schulterte meinen Rucksack und verließ die Katakomben auf dem Weg, den ich in den letzten acht Wochen verinnerlicht hatte. Eins war sicher – hier unten würde ich mich nie mehr verlaufen.
Wenige Stunden später war ich daheim, ordentlich in einer heißen Badewanne aufgeweicht worden, pappsatt und rundum zufrieden. Nicht glücklich… nur zufrieden. Ich war sauber, im Haus war es warm und die Couch war die reinste Offenbarung. Nur die Stille im Haus und die Gewissheit, dass ich allein war, waren beinah unerträglich.
Also schaltete ich den Fernseher, die Stereoanlage und das Radio in der Küche an und begann mich mit mir selbst zu unterhalten.
Jeder, der das sähe, würde mich für plemplem halten. War mir egal. Würde eh keinen interessieren. Es war mein Elend.
Mein Verlust, mit dem ich klarkommen musste.
Eine Woche war vergangen. Jemand vom Rudel musste mein Haus beobachtet haben. Denn meine Klamotten, die sich bis dato bei Alan befunden hatten, waren wieder bei mir. Maya hatte sie mir vorbei gebracht. Sie war nur kurz geblieben. Hatte noch andere Verpflichtungen zu erledigen. Sie versprach mir jedoch, mich baldmöglichst zu besuchen.
Langsam gewöhnte ich mich an das Alleinsein.
Ich hatte sogar begonnen, mir regelmäßig etwas zum Lesen zu besorgen. Aus einem ganz bestimmten Grund: Ich stand in der Zeitung! Oh yeah. Ich bin berühmt! Nun ja, nicht direkt. Mein Name wurde nirgends erwähnt, dafür hatte die Presse mir einen Beinamen zugeteilt, an den ich mich nicht gewöhnen wollte. ‚Der graue Mann’. Pah! Wer schrieb denn solchen Müll? Weder trug ich grau noch war ich ein Mann.
Tja… sollten die ruhig im Dunkeln tappen.
Solange sie über meine Streifzüge berichteten, verdrängte ich sogar Artikel über Alan Garu – weltbekanntes Topmodel und riesiger Arsch, der zufällig in derselben Stadt lebte wie ich – auf eine andere Seite. Rein zufällig war Alan Garu auch der Alpha eines bestimmten Rudels. Blöderweise hatte er mir die Position als Frau an seiner Seite zugedacht.
Wo war ich stehen geblieben?
Ach ja – meine Streifzüge.
Meine sehr erfolgreichen Streifzüge, die mir eine ordentliche Stange Geld einbrachten – wenn ich das hinzufügen durfte. Als ob es denen, denen ich es entwendete, etwas bedeutete!
Ich nahm nie von jemandem, dem es wehtun würde, wenn ein kostbares Kleinod fehlte. Bekam ich einen Auftrag, der das verlangte, lehnte ich ab. Obwohl es nicht ehrenhaft war auf diese Weise seinen Lebensunterhalt verdienen, so konnte ich zumindest noch mit ruhigem Gewissen schlafen gehen. Vielleicht lag es auch daran, dass ich einiges davon spendete.
Apropos Alan Garu.
Ich war mir sicher, dass er wusste, wer hinter dem Synonym des grauen Manns steckte. Solange er das jedoch für sich behielt, war mir das egal.
Ich wollte diesen Typ vergessen.
Dass ich seine Alpha war und obendrein seine einzig wahre – würg – Gefährtin, machte die Sache etwas schwierig.
Aber nicht unmöglich.
Es war mir immerhin die letzten zweieinhalb Monate sehr gut gelungen ihm aus dem Weg zu gehen. Ich hoffte, das würde auch so bleiben; bis Juni. Dann stünde ein neues Ritual zur Bannung uralter, böser Seelen an, was ich trotz meiner Abneigung diesem Mann zu begegnen, nicht versäumen konnte.
Hatte ich erwähnt, dass ich zu Alans Rudel gehöre?
Als Mensch!
Mit Zusatz.
Nun ja, es war nicht schwer zu erraten, nachdem ich schon sagte, dass ich seine Alpha war. Das hieß noch lange nicht, dass ich es akzeptierte. Er hatte mich damit überrumpelt. Ganz so, wie es seine Art war. Tja, ohne mich. Ich war keine Frau, die sich Vorschriften machen ließ. Allerdings musste ich mich an die eine oder andere Regel des Rudels halten, um weniger erfreulichen Konsequenzen aus dem Weg zu gehen. Andere Anweisungen meines Alphas – Gott, das klang so absurd – ignorierte ich mit ausgestrecktem Mittelfinger, ähm… mit einem Lächeln. Außerdem hatte ich mit ihm noch ein Hühnchen zu rupfen … beziehungsweise einen ausgewachsenen Strauß.
Humphrey, bei dem ich die letzten Wochen untergetaucht war, hatte es geschafft, meine ‚Amnesie’ aufzulösen. Was er mir dabei enthüllt hatte, war alles andere als gut für den unfehlbaren Alan.
Oder für seinen Freund Roman.
Jedes Mal wenn ich daran dachte, fühlte ich einen Anflug von Bitterkeit in meinem Mund, der sich nach unten ausbreitete und als Stein in meinem Magen liegen blieb.
Ich hatte diesem, diesem… Mann… vertraut!
Ich faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf den Altpapierstapel, auf dem unter anderem auch vier ungeöffnete Briefe von Alan ihr Dasein fristeten.
Nachdem was ich inzwischen wusste, sah ich keinerlei Anlass diese Briefe zu öffnen.
Die Zeitungen könnte ich aufheben. Jeden Artikel, der sich auf mich bezog, akribisch ausschneiden und an die Wand kleben oder penibel in einem Hefter sammeln. Ich war bloß nicht wild darauf, dass jemand die logischen Schlüsse daraus zog, sobald er diese kleine, fröhliche Sammlung entdeckte.
Gut… Gäste hatte ich in letzter Zeit… äh… weniger.
Aber man konnte nie wissen.
Ich traute Alan einiges zu, obwohl die Idee reichlich grotesk war. Trotzdem: Solange ich nichts aufbewahrte, egal ob Zeitungsartikel oder Wertsachen, konnte mir auch niemand etwas nachweisen.
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