Alan schnalzte mit der Zunge. „Tatsache ist, Roman ist weg. Er vernachlässigt seine Geschäfte. Niemand kann ihn erreichen. Und offensichtlich ist Bingham der Meinung, dass das deine Schuld ist. Nur hätte ich nicht gedacht, dass sein Vater dich ohne Gericht bestrafen würde. Das verstößt gegen die Gesetze des Clans. Er wird sich dafür verantworten müssen. Vor seinem und vor unserem Gericht.“ Ha, wie schön. Und was nützte mir das? „Hör mal, ich habe ihn nicht umgebracht. Das weißt du doch.“ Sein distanzierter Blick gefiel mir nicht. „Tut mir leid, Sam. Ich weiß es nicht. Falls du dich erinnerst, ich war nicht ganz ich selbst. Als du mich zurückgeholt hast, lehnte ein toter Roman an der Wand und du bist auf einen Kopf zugetaumelt. Ich fürchte, ich bin kein guter Zeuge, was diesen Abend betrifft.“
Ich spürte, wie mein Kiefer nach unten klappte, konnte aber nichts gegen meine Sprachlosigkeit tun.
Ribbert wusste, dass zwei Romans dort gewesen waren, oder nicht? Und die anderen? Die mussten doch auch etwas gesehen haben. Richtig? „Für die Zeit, bis das Ultimatum abläuft, bist du in meinem Gewahrsam. Es ist dir nicht gestattet, das Anwesen zu verlassen. Zu deinem Schutz, das verstehst du doch, oder Sam?“
Na aber sicher doch ... So viel also zum Thema Vertrauen.
Wäre ich nicht derart perplex, würde ich hysterisch lachen und ihm eine knallen. Aber mein Körper war erstarrt. Es gelang mir kaum, einen zusammenhängenden Satz zu formulieren. „Du lässt das zu?“ Er fuhr sich müde über das Gesicht, stand auf, kam auf mich zu, kniete sich vor mich und legte seine Hände auf meine Oberschenkel. „Mir sind die Hände gebunden, Sam. Als Alpha muss ich das tun, was für das Rudel gut ist. Wenn die Pir dich ausgeliefert haben wollen, muss ich das tun. Ob es mir gefällt oder nicht. Ein Krieg ist das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können.“
Verdammt, er hatte mich reingelegt! Er konnte keinen Krieg gebrauchen? In meiner Wohnung am Telefon hatte er ganz anders geklungen. Er hatte mir nichts davon gesagt, dass er glaubte, dass ich einen Vampir abgemurkst hatte und Bingham lediglich Rache für seinen Sohn übte. Ich könnte ihm das nicht verübeln, wenn ich Roman wirklich umgebracht hätte.
Was für ein Spiel spielte Alan eigentlich?
Erst machte er einen auf besorgt, dann auf verführerisch und jetzt auf Lieferant? Also ... Sam-Auslieferant ... sozusagen.
Ohne mich.
So hatten wir nicht gewettet!
Ich dachte, er wollte mich vor Bingham schützen und herausfinden, was diesen gegen mich aufgebracht hatte. Jetzt musste ich erfahren, dass er es bereits wusste und dass er vorhatte, mich an die Vampire auszuliefern, um sein geliebtes Rudel zu schützen!
War ich nicht auch Teil des Rudels?
Ich blöde Kuh hatte doch tatsächlich geglaubt, es sei ihm wichtig, dass ich in Sicherheit war. Ich hätte mich ein weiteres Mal darauf eingelassen, ihm zu vertrauen.
Nur gut, dass er bereits jetzt die Karten auf den Tisch legte. So käme ich gar nicht erst in Verlegenheit enttäuscht zu werden. Leider, so musste ich zugeben, war das dennoch der Fall. Ich war zutiefst erschüttert. Mein Gehirn war geschockt von dem, was er mir eröffnet hatte.
Er verteidigte mich mit keiner Silbe.
Er zog nicht in Erwägung, dass ich unschuldig war.
Er machte keinen Vorschlag, die Sache aufzuklären oder Beweise für meine Unschuld zu sammeln.
Ribbert wollte er nicht hineinziehen, da dieser dann ebenfalls angeklagt wäre. Immerhin hatte der den Wandler – der zufällig aussah wie Roman – einen Kopf kürzer gemacht.
Es war beinah so, als würde alle mit dem Finger auf mich zeigen und schreien: Die war’s!
Ja, genau.
Ich war es.
Ich hatte den Wandler aufgehalten.
Und was hatte ich jetzt davon? Eine Anklage vom Clan der Pir, dem hiesigen Vampirobermackerchefclan. Die höchste Instanz der Vampire. Richter und Henker in einem.
Toll, einfach toll!
„Dann nützt es nichts, wenn ich hier bei dir rumsitze. Wir müssen etwas unternehmen. Roman ist dein Freund. Habt ihr nicht irgendein geheimes Zeichen? Irgendwas, womit ihr euch im Notfall erreichen könnt?“ Falls es sich wirklich um Roman handelte. Aber da ich keinen anderen Vampir kannte, musste es um ihn gehen. Außerdem hatte ich, abgesehen von dem Wandler, noch nie jemanden getötet. Weder mit Absicht noch aus Versehen. Wie kamen die Vampire nur auf diese Idee?
Und Alan?
Ich verstand ihn nicht.
Auf der einen Seite war ich seine Alpha und seine unersetzbare Auserwählte. Auf der anderen Seite wollte er mich ausliefern. „Haben wir nicht. Es sieht ihm nämlich nicht ähnlich, sich einfach so aus dem Staub zu machen, ohne sich hin und wieder zu melden. Oder zumindest erreichbar zu sein.“ Das hieß im Klartext, er stimmte mit den Vampiren überein.
Er traute es mir zu!
„Dann sollten wir etwas unternehmen, um ihn zu finden. Ich gehe ganz sicher nicht freiwillig zu irgendwelchen Blutsaugern.“ Alan nickte. „Verständlich, angesichts deiner… Unannehmlichkeiten. Aber es lässt sich nicht ändern. Wie ich schon sagte, mir sind die Hände gebunden.“ Er wirkte ziemlich zerknirscht. Verdammt nochmal: Wollte er tatsächlich Däumchen drehen? „Noch ein Grund mehr ihn zu suchen und den Vampiren klar zu machen, dass ich niemanden umgebracht habe. Das ich dazu gar nicht fähig bin.“
„Das bist du sehr wohl. Du hast die Möglichkeit dazu.“ Ich schnaubte empört. „Klar. Na sicher doch. Dann hätte ich aber neben dem Opfer gelegen. Außerdem, wie kann man mich des Mordes anklagen, wenn es kein Opfer gibt? Gibt es doch nicht, oder?“
„Die Verbindung zu ihm ist abgetrennt. Ich gehe wirklich davon aus, dass sie Roman meinen. Keine Verbindung heißt so viel wie, er ist tot.“
„Oder dass er nicht gefunden werden will?“, spekulierte ich mit klopfendem Herzen. „Auch das ist möglich, aber eher unwahrscheinlich.“ Wütend sprang ich auf. „Schön. Schiebt es ruhig in die Schuhe des blöden Menschen. Der Vampir hat seine Jahrhundertdepression oder was auch immer und ich darf dafür meinen Kopf hinhalten? Ohne mich! Du kannst mich mal. Ihr blöden Andersweltler könnt mich alle mal! Ihr hättet in euren Löchern bleiben sollen, wo ihr hingehört!“ Ich hatte es gründlich satt als Sündenbock abgestempelt zu werden, sprang wütend auf und schritt energisch zur Tür.
„Was hast du gesagt?“ Alan kam mir bedrohlich nahe. „Du hast mich doch gehört.“ Eingeschüchtert streckte ich hinter meinem Rücken die Hand nach der Türklinke aus, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie ich diese öffnen konnte, ohne einen Schritt auf Alan zumachen zu müssen. „Ihr Menschen denkt, ihr seid die Besten, hm? Ihr denkt, ihr seid die Intelligentesten. Ihr denkt, ohne euch ginge die Welt zu Grunde. Besonders ihr movere . Dabei seid ihr nichts. Noch weniger als nichts! Alle Menschen. Man sollte euch alle…“ Alan kniff die Augen zu, presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und winkte ab. „Man sollte uns alle…? Was? Sprich dich ruhig aus.“
Zum Teufel! Ich war so wütend. „Nichts, vergiss es. Geh in das Gästezimmer und bleib dort!“
Oh, der konnte mich mal so was von gern haben! „Nein. Na los Alan, ich will es wissen. Was sollte man mit uns? Sag es.“
Sein Gesicht verzog sich zu einer raubtierhaften Grimasse, die mir Angst einjagte. „Euch von der Oberfläche verschwinden lassen. Euch in eure überheblichen Ärsche treten. Ihr seid nichts weiter als Vieh. Man sollte euch Manieren beibringen und Gehorsam. Euch zusammentreiben und einsperren, zu unserer Belustigung. Wer sich dem nicht fügt, verschwindet. So wie ihr es mit euren Haustieren macht, wenn sie nicht mehr zur Einrichtung passen.“ Seine Nasenflügel blähten sich auf, seine Augen glitzerten bedrohlich. Gut, wenigstens kannte ich jetzt seine Meinung über mich. Über Menschen und movere im Allgemeinen.
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