Die Festungsmauern erbebten.
„ Was…?“
Wie ein Felssturz polterten im Erdgeschoss über ihm Steine durcheinander.
„… ist das? Seht nach!“
„ Treffer!“
Die Steine im Türrahmen zerbarsten und rollten ins Burginnere. Risse durchzogen zwei Fensterscharten. Der nächste Schuss brach Elins Mauerwerk auf.
Mein erst halb geleertes Netz und Hormin in den Händen, wies ich meine Gefährten an: „Ihr beschießt weiter die Fenster, ich springe hinüber.“
Kaum vor dem Eingang aufgeschlagen schoss eine Bombe dicht an mir vorbei in die Eingangshalle der Burg. „Was macht ihr, verdammt?“ Und zeigte in ihrem gleißend weißen Lichtblitz für einen Wimpernschlag vier Anführer. Da waren sie auch schon vernichtet. „Danke!“, keuchte ich. Vorsichtig in der Halle über lose Steine kletternd, schoss ich Bomben in den rechts abzweigenden Gang, bis die Decke einstürzte. Jetzt konnte mich kein Dämon hinterrücks anfallen. Ich folgte dem bekannten linken Gang und näherte mich der Kellertreppe.
Die Elbe war vergessen. Mit wild umherirrenden Augen horchte der Gruftboss, wartete ungeduldig auf die Rückkehr seiner Sklaventreiber. Das Treppenhaus reflektierte einen Blitz.
„ Meldet!“
Keine Antwort. Sein Blick huschte zu Elin. Er überlegte.
Lautlos sprang meine letzte Lichtbombe über die glitschigen Treppenstufen hinab in den Keller. Ihr tanzendes Licht spiegelte sich im Meerwasser des randvollen Brunnens. Unerbittlich wurden die Augen des schwarzen Fürsten von dem überirdischen Gleißen angezogen.
„ Arrrgh!“ Glühende Nadelstiche malträtierten seine glutroten Augäpfel. „Arrrgh!“ Und er begriff.
Wild entschlossen, dem greinenden Dämonfürsten seinen Schädel abzurasieren, sprang ich sofort nach erfolgter Explosion die Stufen hinab.
„ Wo steckst du, Fürst der Feigheit?“ Hormin sauste um meine Achse – und zerschnitt lediglich schwarzmagischen Mief. Ich war allein im Keller. Dann erblickte ich die Elbe.
„ Elin! Elin!“ Sturzbäche an Tränen ergossen sich über ihren grau verschleierten Körper, während ich Elins schlaffe Hände ergriff. Sanft ergoss sich lebensspendende Energie hindurch. „Lebe, Elin. Bitte!“
Weder Antwort noch leiseste Regung beglaubigten den Sinn meiner Mühen. So verharrte ich minutenlang, verstärkte den Lichtfluss und klammerte mich verzweifelt an einen Strohhalm. „Sie kann nicht tot sein, ihr Körper ist noch hier. Elin!“ Wir mussten dringend aus dieser magischen Brühe heraus. Behutsam hob ich die federleichte Elbe hoch und trug ihren Körper aus der Burg bis an den Rand der zerstörten Brücke.
„ Lil!“ Grenzenlos erleichtert sah Alexis uns vom Ufer aus auftauchen.
„ Wir können nicht springen!“
Aneel erschien neben mir. „Ich werde Elin nehmen.“ Mit seiner Elbenschwester auf den Armen verschwand er nach Lightninghouse.
Stattdessen landete Alexis auf der Burgseite. „Du hast es tatsächlich geschafft.“
„Ich – weiß nicht“, flüsterte ich gequält. Und schob drängend nach: „Alexis, was hat das alles zu bedeuten? Was wollte das Gruftmonster hier?“
„Lass uns nachsehen.“
Mit gezückten Schwertern stiegen wir abermals in den Keller hinab und schauten uns wachsam um. Aber dort gab es bloß den leergeräumten Raum mit seinem Brunnenschacht, aus dem Mylord und myself im Sommer das verfluchte Doraodh gestohlen hatten. Der Dämonfürst war bei seiner Blitzflucht geistesgegenwärtig genug gewesen, den mächtigen Wasserstein mitzunehmen. Also blieben seine fluchlastigen Umtriebe weiterhin vor uns verborgen.
Mitten in der Nacht berichtete Aneel mit leisen Gedanken in der Kapelle von Lightninghouse, wie es um Elin stand. „Ihre Seele hat bestialische Folterqualen erlitten.“
Die Elbe lag langgestreckt zu seinen Füßen im Licht, wie aufgebahrt.
„ Ihr könnt hier nichts ausrichten“, beschied uns der Elb gramerfüllt.
Widerwillig gingen Alexis und ich in die Wohnhalle. Das frisch entflammte Kaminfeuer vermochte keine Wärme in mein Inneres zu bringen.
„Wie konnte so etwas geschehen?“ Ratlos streckte Alexis seinen schmerzenden, entkräfteten Körper im Sessel aus.
Kopfschüttelnd, unfähig, Worte zu finden, mied ich seinen fragenden Blick.
Erst wenige Nächte zuvor wäre Mylord beinahe dasselbe Schicksal eines Bannfluches widerfahren. Dämonen hatten ihm eine Falle im unterirdischen Berliner Bunkermuseum gestellt. Aber Dank der sphärischen Späherinnen konnte ich Alexis noch rechtzeitig heraushauen. Warum hatten sie keine Hilfe für Elin angefordert? Welche Sauerei ging hier oder eher dort oben vor sich? „Eine unbequeme Dienerin schassen?“ , schlug mein Alter Ego lauernd vor. „Untersteh dich!“ Mein harter Widerspruch zerfloss unter nagenden Zweifeln. Bleierne Müdigkeit ließ meine Augenlider schwer und den Verstand stumm werden. Eingerollt in meinen Lieblingssessel schlief ich ein.
London. In der unterirdischen Kathedrale des Dämonfürsten herrschte höllischer Aufruhr wegen der verlorenen Wasserburg mitsamt der appetitlichen Elbenseele.
„ Versager! Dämonengeschmeiß! Feuergewürm! Ihr lasst euch von elbischem Abschaum demütigen? Uns gehört die Nachtmacht. Uns allein!“ Herrisch befahl er: „Verschwindet! Kümmert euch um die schottischen Clans.“
Ein paar kriecherische Anführer, in größtmöglichem Abstand ausharrend, verneigten sich vor ihrem Oberhaupt und suchten hastig das Weite.
Aus den angeätzten Augen des obersten Unterweltlers perlten schwarze Tropfen. Zischend fielen sie zu Boden. „Joerdis, du willst es also wirklich wissen. Den kurzen Kampf sollst du haben, Fürstin. Schluss mit deiner harmlosen Spielerei! Nun werde ich deine lächerlichen Schachfiguren hinwegfegen. Nein! Ich werde sie pulverisieren zu Staub bar jeder Erinnerung.“ Und er begann:
Dunkler Mächte starkes Blut,
rufe an die Elbenbrut.
Dunkler Mächte schwarzer Kreis,
rufe an ihr Elbenweiß.
Seelenfänger, Geistermacht,
weißer Seele raubt die Kraft,
Albmar walte, Sohn der Nacht,
schwarze Saat dem Schlaf gebracht.
So beschwor der Schwarzmagier die tückische Zwietracht herauf und schleuderte sie gegen sämtliche irdischen Elben.
„ G eh in die Kathedrale, bring es hinter dich.“ Alarmiert richtete ich mich im Sessel auf. Der drängende Gedanke hallte als Echo durch meinen Kopf. Die Morgendämmerung begann, wie mir ein kurzer Blick zur Terrasse verriet. „In seine Gruft gehen? Wohl eher zu Bett.“ Meine Schritte verharrten mitten im Wohnsaal. „Jetzt könnte ich unbemerkt nach London verschwinden. Wieso unbemerkt? Warum allein?“ Verwirrt schüttelte ich den Kopf. „Träume ich? Aber die Kathedrale. Warum bin ich dann im Castle?“ Plötzlich fing ich an, wie ein Scheunentor zu gähnen, dass mir Tränen in die Augen traten. Nachdem der Kleiderärmel als Wischtuch herhalten musste, stellte ich laut fest, um mich meines Selbst zu versichern: „Schlafen ist schwer angesagt. Abmarsch ins Bett.“
Eine sparsame Leuchtkugel wies mir den Weg durch das noch stockdunkle Castle.
„ Geh in die Kathedrale, bring es hinter dich.“ Schlaftrunken rieb ich mir die Augen. Helllichter Tag grüßte mit freundlichem Sonnenschein. „Ich muss in die Fürstengruft. Nein. Wieso? Wir haben doch noch gar keine Pläne gemacht.“ Kopfschüttelnd versuchte ich meinen Gedankenbrei zu sortieren. „Gestern war was? Kathedrale? Nein. Warum nicht? Was war gestern?“ Vor geistiger Anstrengung krallte ich meine Finger in die Haare. „Das kann doch nicht so schwer sein, Lilia van Luzien! Also, was war gestern? – Elin! Oh, Elin.“ Rasch schnappte ich mir den seidenen Morgenmantel und rannte hinab.
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