„ Aneel!“ Fordernd rissen ihn die Lichtwesen in die Gegenwart zurück. „Dämonen haben Elin lebend in die Wasserburg ihres Fürsten verschleppt.“
„ Wasserburg?“ Zusehends verwirrt lauschte der Elb ihren Schilderungen. Seit nunmehr tausend Jahren war Rom sein Refugium gewesen. Daher wusste er wenig über die jüngsten Ereignisse in Berlin, London, Schottland oder wo auch immer. „Aber die Nacht verweilt noch Stunden“, wagte er einzuwerfen.
„ Hole Lilia hinzu“, befahlen sie. „Alexis ist noch nicht wieder kampffähig.“
Zögernd verharrte Aneel am See. Wie sollten sie Elin nur zu zweit aus einer magieverseuchten Burg befreien? Noch dazu in Anwesenheit des übermächtigen Fürsten und seiner Befehlshaber. „Unmöglich!“
„ Beeile dich, Lilia wird Rat wissen“, drängte ihr aufbrausender Chor.
Tja, also endete mein traumloser Tiefschlaf. Aneel rüttelte mich unerbittlich für den nächsten realen Albtraum wach. Und da Menschenhirne in solchen Fällen niemals von einer Sekunde auf die andere sämtliche Sinne beisammen haben, blieben meine Kampfutensilien im Schlafzimmer liegen – bis auf das Kleid, immerhin.
Leicht benommen landete ich ungelenk neben Aneel auf dem steinigen, abschüssigen Uferstreifen nahe der Wasserburg. Selten sandte der Mond schwache Strahlen durch die dichter werdende Wolkendecke auf die mittelalterliche Szenerie. Vor Elins gründlicher Vertreibungsaktion gehörte die Burg noch dem so stolzen wie gewalttätigen Clan der MacBrodies. Da die Elbe damals sämtliche Fenster und Türen zugemauert hatte, konnten uns die Dämonen trotz Nachtzeit weder erspähen noch erschnüffeln oder überfallen. Leider galt im Umkehrschluss dasselbe.
„ Spürst du Elins Seele?“ , hoffte ich auf die Kunst seiner vielfach stärkeren Elbensinne.
„ Nein, schwarze Magie verdunkelt meine Sinne.“ Aneel entwichen wahre Wogen an Schaudern, Angst und Zweifeln.
Meine eigenen Emotionen steckte ich daraufhin sinnbildlich in doppelwandige Stahltrichter. Andernfalls hätte ich mich brüllend und weinend auf dem Boden gewälzt. War Elin plötzlich von allen guten Geistern verlassen? Was hatte die Elbe überhaupt in Berlin zu suchen? Tausend Fragen parkten jetzt angekettet im Hinterkopf. „Bitte, Aneel, konzentriere dich.“
Seine leuchtende Stirn antwortete mit fett unterstrichenem Fragezeichen.
Davon unbeeindruckt fragte ich: „Falls Elin das Mauerwerk mit Hilfe eures magischen Erdsteins errichtet hat, können wir es dann dennoch sprengen?“
„ Das wäre unmöglich.“
Falsche Antwort in der Not.
„ Hat sie?“, befragte ich die stumme Sphäre.
„ Wir wissen es nicht, Lilia.“
„ Wo befindet sich der Erdstein jetzt?“, dachte ich postwendend in die umgekehrte Richtung.
„ Auch dies wissen wir nicht“ , behaupteten sie.
„ Und der Begriff Chancengleichheit ist euch da oben wahrscheinlich auch noch nie in eurer Gedankenwelt untergekommen.“ Das musste ich mal loswerden. „Okay, Aneel. Einzige Option, wir sprengen uns in die Burg und schaffen größtmöglichen Aufruhr. Als ob ein ganzer Elbentrupp angreift. Verstehst du?“ Ohne seine Antwort abzuwarten griff ich nach meinem Amulett – und fasste mal wieder ins Leere. „Scheiße. Zurück nach Lightninghouse.“
Die letzte Elbenseele war seinen tumben Sklaven vor wenigen Nächten im Kampf entflohen. „Versager!“ Aber hier und jetzt würde ihn niemand mehr um seine schmackhafte Beute bringen. Der schwarze Fürst leckte sich über seine blassen Lippen. „So sehen wir einander wieder, Elbendienerin, bevor ich dich als Nachtmahl schlürfe.“ Seinen ersten gierigen Impuls, sie sofort zu töten, hatte er verworfen. Erst wollte er den Genuss auskosten, ihre Elbenseele bis zum Ende leiden zu hören.
Befremdlich, doch faszinierend weinte Elins weiße Seele sphärische Klänge hervor, die mit tiefem Schmerz von bedingungsloser Liebe erzählten, von unaussprechlicher Sehnsucht kündeten.
Für einen kurzen Moment drohte selbst der Fürst ihrem Zauber zu erliegen. Sein schwarzer Kopf war langsam vornüber gesackt, die lange Mähne hing ihm ins Gesicht. Rechtzeitig schreckte er auf. „So! Du willst mich verhexen, Lichtgewürm.“ Der Hall seiner grässlichen Stimme durchbrach den schwachen Seelenzauber. In Gedanken drohte das Monster: „Stirb schneller, sonst überlege ich es mir anders und helfe nach.“
Elins aschgrauer Körper lag reglos neben dem Brunnen, wie die zwei Anführer ihn nach der Rückkehr aus Berlin hingeschmissen hatten. Trotz schwindender Sinne wusste die Elbe, dass es für ihre Seele keinen Weg hinaus gab. Unwissentlich hatte sie die Wasserburg damals in ihr eigenes Grab verwandelt. Angst und Trostlosigkeit hießen ihre Begleiter ins Nichts. „Solch menschliche Empfindungen“ , dachte sie noch.
Der Elb stürmte hinter mir her in die Wohnhalle, wo das whiskyselige Gelage anhielt.
„Wie betrunken seid ihr?“, fragte ich die Männer scharf.
„Bloß ein kleines bisschen“, beteuerte Fingal mit schwerer Zunge.
„Ihr müsst Lichtbomben herstellen, sofort.“
„Och, setz dich doch erst mal zu uns und genehmige dir auch ein leckeres Tröpfchen. Das beruhigt die Nerven“, säuselte Lyall.
Ich schleuderte Alexis meinen unverhüllten Blick ins Gesicht. Er sprang wie vom Donner gerührt auf, verlor das Gleichgewicht und plumpste zurück in seinen Sessel. Auf meinen Wink hin verschwanden Aneel und ich allein in die Hauskapelle.
„ Ohne eingesperrten Zorn säßen die Drei jetzt kopflos vor dem Kamin, das schwöre ich.“ Und zum Himmel der Ahnungslosen hinauf: „Maximale Energie plus Hormin!“
Ihr Lichtstrahl kam in der Tat gewaltig durch das hohe Fenster geschossen. Gemeinsam mit Aneel bündelte ich es bei zusammen gekniffenen Augen routiniert zu Lichtbomben.
„ Mach sie größer, Aneel, mindestens das Doppelte. Die Burgmauern sind garantiert so dick wie ich lang bin.“
Dass Alexis inzwischen hinter mir arbeitete, bekam ich erst mit, als er fragte: „Wieviele Bomben benötigt ihr?“
„ Zwei große Netze voll.“
„ Drei. Ich werde euch begleiten.“
„ Das kannst du vergessen.“
„ Keine Widerrede.“
„ Weißt du überhaupt, worum es geht?“
„ Nein.“
„ Du bleibst, das ist mein letztes Wort. Sternelben, euer Job.“
Aneel warf uns einen kurzen Blick zu, der fragte, ob er hier im Irrenhaus gelandet sei.
Typisch, dass Belian, kampfgesteuerter Seelenkumpel von Alexis, sich mal wieder durchsetzte.
Die Sphäre verkündete mir demgemäß vor unserem Absprung gen Wasserburg: „Alexis wird bei der Sprengung von Nutzen sein. Kämpfen wirst du allein.“
„ S tirb, Elbenweib, meine Geduld ist erloschen.“ Gurgelnd entwich seiner Kehle der erste Folterfluch.
Elins erlöschende Seele schrie unter unaussprechlichen Qualen.
„ Ah, prächtig!“
„ Angriff!“
Grollend antworteten die meterdicken Burgmauern auf unseren ersten Beschuss. Doch in der nächtlichen Dunkelheit verfehlten wir die schmalen Fensterscharten.
„ Licht!“
Aneel warf mit seiner linken Hand einen Leuchtstrahl gegen die Burg, während seine rechte die zweite Bombe auf die Eingangstür schmetterte.
„ Alexis, haargenau auf die Fensterschlitze zielen!“
Doppelladungen schossen zum zweiten Stock empor.
Der Dämonfürst lauschte. „Ein Gewitter? Welch fantastische Komposition des Morbiden! Das macht hungrig, deine Zeit ist…“
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