Soweit der erste Eindruck, der zugegeben etwas enthusiastisch ist. Wie aber steht es mit der Geschichte? Die unterschiedlichsten Kulturen haben ihre Spuren auf Java hinterlassen, hunderte (!) Sprachen und Dialekte werden auf der großen Insel gesprochen, tausende Götter wurden im Laufe der Geschichte auf Java verehrt. Das größte buddhistische Bauwerk der Welt, der Borobodur, und einer der größten Hindutempel der Erde, der Prambanan, befinden sich nicht weit voneinander entfernt in Zentraljava. Die vielleicht imposanteste Vulkanlandschaft, die unser Planet zu bieten hat, die Caldera des Tenggervulkans und den Kraterrand des Bromo, kann der Besucher im Osten Javas besteigen. Wenn es einen Ort auf unserem Planeten gibt, der ein Maximum an kulturellen, geschichtlichen und ästhetischen Attraktionen in sich vereinigt, dann ist es Java. Java ist eine Weltinsel.
Meine Reise durch diese Weltinsel dauerte mehrere Wochen, dabei habe ich nur das Naheliegendste gesehen: Jakarta und Umgebung, Yogjakarta, das Dieng Plateau, den Borobodur und den Prambanan und schließlich das Tenggergebiet und den Bromo Vulkan. Gereist bin ich überwiegend entlang der „Hauptschlagader der menschlichen Fortbewegung“ (Carl Hoffmann), d. h. mit den Fortbewegungsmitteln der Einheimischen, was immer die interessanteste, aber nie die bequemste Methode des Reisens ist.
Zentrifuge der Millionen
In Jakarta
Während des Anfluges auf Jakarta las ich in der englischsprachigen „Jakarta Post“ einen Leitartikel, in dem darauf hingewiesen wurde, dass der internationale Sukarno –Hatta-Airport schon seit längerer Zeit oberhalb seiner maximalen Kapazitätsgrenze arbeite. Ein Luftfahrtexperte wurde zitiert, der behauptete, dass die tägliche Anzahl der Starts und Landungen nur noch mit drastischen Einbußen an Sicherheit abgewickelt werden könnte, konkreter gesagt: mit einer gefährlichen Unterschreitung der Zeitintervalle startender und landender Flugzeuge. Das waren keine guten Nachrichten, aber die Passagiere der Garuda Maschine aus Singapur schien das nicht zu beunruhigen. Sie sahen Filme oder dösten mit glasigen Augen vor sich hin, als die Maschine ihren Landeanflug begann. Ganz ähnlich wie in Mexiko City oder andern Megastädten der Welt hatte der wuchernde städtische Ballungsraum längst den Flughafen erreicht und umzingelt. Ein unübersehbarer Häuserteppich erstreckte sich bis zum Horizont, während sich die Maschine dem Rollfeld näherte. Die Landung war butterweich, aber kaum ausgerollt, musste die Maschine zwischen zwei parallelen Landebahnen stoppen, weil auf beiden Rollfeldern gerade Maschinen starteten und landeten. Es war so viel los auf dem Airport, dass an ein normales Ausrollen nicht zu denken war. Ich traute meinen Augen nicht, als eine Boeing heran raßte, uns in einem Abstand von wenigen Dutzend Metern passierte und sich in die Luft erhob. Unsere Maschine bebte, und alle zeigten betroffene Gesichter. Mit einem Wort, ich war froh, als ich das Flugzeug verlassen konnte.
Es gab aber auch gute Nachrichten. Die Fahrt vom Flughafen in die Stadt dauerte auf der neu errichteten Schnellstraße gerade mal eine Stunde. Das hatte ich bei meinen früheren Aufenthalten noch ganz anders erlebt. Ich wohnte im Ashley Hotel an der Jalan Wahid Aysin direkt in der Innenstadt. Durch die großen Fenster meines Zimmers sah ich die Hochhäuser der unmittelbaren Umgebung, eine Skyline wie ein großes, schadhaftes Gebiss, denn die Front der Wolkenkratzer wurde von flachen Häusern, Höfen und kleinen Moscheen unterbrochen. Weltstadt und Dorf in einem Blick, das war Jakarta.
Als ich das Hotel verließ, empfing mich die Hitze wie ein Schlag ins Gesicht. Nur wenige Meter zu Fuß auf der überfüllten Straße, und ich war schweißgebadet. Daran hatte sich seit meinen früheren Aufenthalten nichts geändert. Auch das ohrenbetäubende Geknatter der Motorräder, die in unglaublichen Mengen durch die Straßen kurvten, war das gleiche geblieben. Es roch nach Kerosin, Schweiß, Staub und einem winziger Hauch von Durian. Auch das kam mir bekannt vor.
Nur wenige Meter von meinem Hotel entfernt befand sich die Jalan Jaksa, die ehemalige Traveller-Enklave von Jakarta. Hier hatte ich vor vielen Jahren übernachtet, während ich auf einen Reisepartner wartete. Damals war die Jalan Jaksa eine Art Khao San Road gewesen, nur viel dreckiger und billiger. Sehr viele Hostels der Low Budget Klasse hatten Tür an Tür um Gäste geworben. In Hinterhofbiergärten hatten die Backpacker auf das Bier und die Mücken auf das Blut der Backpacker gewartet. Das Zimmer, das ich damals in der Jalan Jaksa bewohnt hatte, war sieben Quadratmeter groß gewesen und hatte nur aus einem einzigen Bett ohne Bettwäsche bestanden. Kein Stuhl, eine schmale Dusche im Flur und ein Moskitogitter vor dem Fenster. Die Traveller jener frühen Jahre hatten Vaganten geglichen, die es liebten, im slow motion Modus von Ort zu Ort zu reisen und im großen asiatischen Fotoalbum möglichst kräftesparend herumzudösen. Wo sie schliefen und ihr Bier tranken, war ihnen egal. Manchmal schäkerten sie mit den leichten Mädchen, die sich in der Jalan Jaksa herumtrieben, schliefen aber nur selten mit ihnen, weil sie einen Igel in der Tasche hatten. Nachts tranken sie Gin oder Whiskey, weil sie sonst nicht durch die Schwüle kamen. Auf der anderen Seite war mir auch eine andere Empfindung aus diesen Jahren gegenwärtig geblieben: das Bewusstsein, ganz am Anfang eines Reiselebens zu stehen und das Gefühl, dass die Geheimnisse und Abenteuer der Welt wie ein großer Gabentisch vor mir lagen und man nur die Decke wegziehen musste, um sie zu sehen.
Ein Lebensalter später schlenderte ich nun wieder durch die Jalan Jaksa, eine kleine Seitenstraße, deren aktuelle Mickrigkeit mich verblüffte. Hier und da erkannte ich einige der bunten Fassaden wieder, doch die meisten Hostels waren verschwunden. Einem sentimentalen Impuls folgend suchte ich das Hostel, in dem ich vor 27 Jahren logiert hatte, fand aber nur einen umgitterten Parkplatz. Ich ging die Straße herauf und herunter und zählte am Ende gerade mal ein halbes Dutzend jugendlicher Backpacker, die ihre knappe Reisekasse in diese Straße geführt hatte. Wie es aussah, gehörte die Jalan Jaksa als zentrale Anlaufstelle der Backpackerszene der Vergangenheit an. Die jugendlichen Reisenden der Achtziger und Neunziger Jahre waren inzwischen arriviert und konnten sich bessere Hotels leisten. Ihre Kinder, die neue Generation, schien ganz anders zu reisen, jedenfalls nicht mehr entlang der Backpackerrouten „ on a shoestring “ wie in den altvorderen Tagen.
Fünf Möglichkeiten gibt es, in Jakarta, die Innenstadt zu erkunden. Eine theoretische (das Fahrrad) und vier praktische: nämlich das Zufußgehen, die Anmietung eines Ojeks, den Taxitransport und das Busfahren. Diese Möglichkeiten habe ich erprobt, und hier ist meine Bericht.
Die Erkundung Jakartas zu Fuß ist ein Ding der Unmöglichkeit, nicht nur, weil die Stadt so groß, sondern weil sie ganz und gar nicht fußgängergerecht ist. Was nicht ausschließt, das zu jeder Stunde des Tages Millionen Fußgänger in Jakarta unterwegs sind. Aber sie bewegen sich, ökologisch gesprochen, in einer nicht artgerechten Umwelt – angerempelt, gestoßen, auf schadhaftem Trottoir stolpernd, von parkenden Autos oder Auslagen auf die Straßen abgedrängt, auf denen die Fahrzeuge wie Geschosse an ihnen vorüberrasen. Zu der Enge kommt die Hitze. Für den normalen Mitteleuropäer reichen wenige Minuten Jakarta-Fußmarsch, bis sein Hemd durchgeschwitzt ist und er sich nach einer Dusche sehnt. Das gleiche gilt übrigens auch für das Thema Fahrradfahren. Obwohl einige Oberschlaue diese Art der Fortbewegung für Jakarta auf Reiseforen allen Ernstes empfehlen, habe ich in der gesamten Innenstadt von Jakarta nicht einen Fahrradfahrer gesehen. Und das aus gutem Grund: einen schnelleren Weg zum öffentlichen Selbstmord würde man in der Welt lange suchen müssen.
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