1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Wobei sie selbst ihn schon öfters gegen den Strich gebürstet hatte und ihm in keinster Weise zeigte, dass auch sie ihn, wie alle anderen, bewunderte. Denn leider wies er, so ganz nebenbei, auch noch alle Charaktereigenschaften auf, die sie an einem Mann mochte.
Kai hatte in Hettys Augen nur einen ganz großen, aber sehr wesentlichen Fehler: Er war neun Jahre jünger als sie und daher weit, weit, außen vor.
Das hinderte die Hormongruppe ihres Gehirns allerdings in keinster Weise daran, ihn jedes Mal, wenn das Schicksal ihre Wege wieder einmal zusammenführte, sehnsuchtsvoll anzuhimmeln. Schließlich hatte er Hetty, seit sie in Australien war, auch schon ein paarmal das Leben gerettet, das alleine machte ihn schon zu einem Kandidaten fürs Ehrenpodest.
Da Hetty aber, getreu ihrer guten Vorsätze, versuchte Unheil aus dem Weg zu gehen, wäre sie niemals in das Appartement gezogen, wenn sie gewusst hätte, dass auch Kai kommen würde.
Nach ihrer letzten Begegnung hatte sie sich fest vorgenommen, dass sie alles tun würde, um ihn nie wieder sehen zu müssen. Wobei dieses Verhalten von ihr eigentlich absolut unverständlich war, da Kai entgegen seiner sonstigen kühlen Art, sie immer mehr als nett und zuvorkommend behandelte.
Aber genau das konnte sie eben nicht ertragen. Denn damit führte er sie immer wieder in Versuchung daran zu glauben, dass er doch nicht so unerreichbar war. Und bei ihrem Besuch auf der Farm hatte sie am vorletzten Tag unabsichtlich ein Telefonat belauscht, das darauf hinwies, dass er anscheinend, entgegen den Aussagen seiner Ziehschwester Chrissie, doch eine feste Freundin hatte. Zumindest hatte seine Antwort „Ich hab dich auch lieb!“ für Hetty keine andere Schlussfolgerung zugelassen.
Das hatte ihre Gedankengänge wieder in die richtige Richtung gerückt. Damit hatte sie nun endgültig erkannt, dass dieser Mann tatsächlich in keinster Weise emotional an ihr interessiert war, was ihr natürlich von Beginn an völlig bewusst gewesen war. Doch das hatte ihr Gehirn, seit ihrem ersten Zusammentreffen, trotzdem nicht im geringsten daran gehindert, sich zugegebenermaßen viel zu oft, mit ihm zu beschäftigen.
»Woher hast du gewusst, dass ich hier bin?« Hetty hatte endlich ihre Sprache wieder gefunden und sah Kai fragend an, der in aller Ruhe abgewartet hatte, dass sie sich äußerte.
»Ach, das war ganz einfach. In ganz Sydney ist der Rotwein ausverkauft und man kann nirgends mehr ein gutes Steak bekommen.« Kai zog seinen rechten Mundwinkel nach oben. Das war ein typisches Anzeichen, dass er ein Lächeln verbarg. Seine strahlend blauen Augen wirkten eindeutig amüsiert und sie hätte ihr ganzes Geld verwettet, dass er diese Situation eindeutig genoss.
Hettys Gesichtsausdruck, bei seiner Begründung, gab auch allen Anlass dazu. Er hatte schon immer mit einem gewissen Amüsement beobachtet, wie sie mit gesundem Appetit verhältnismäßig große Portionen aß und wusste, dass ihre Lieblingsspeise Steak war. Und natürlich auch, dass ihr nichts über ein gutes Glas Rotwein ging. Sie war sich sicher, dass er diesen Satz schon länger vorbereitet hatte und nun war die passende Gelegenheit gekommen, ihn an den Mann, oder besser gesagt, an die Frau zu bringen.
Wenn jemand glaubte, nur weil Kai introvertiert war und ernst wirkte, er hätte keinen Humor, der war absolut verkehrt gewickelt. Natürlich erzählte er nicht schenkelklatschend derbe Witze, aber er war ein Meister in dem typischen feinen sarkastischen australischen Humor. Hier ein bisschen den Satz verdrehen, dort etwas absichtlich verkehrt verstehen. Und einen besonderen Spaß hatte er, ihrer Meinung nach, daran, mit ihr die Klinge zu wetzen.
Doch sie hatte inzwischen kurz nachgedacht und schnell die Lösung gefunden. »Chrissie hat dich vorgewarnt, dass ich momentan in deinem Appartement wohne.«
Kai nickte. »Als sie erfahren hat, dass ich nach Sydney fliege, hat sie mich sofort angerufen und gesagt, dass du von ihr den Schlüssel bekommen hast.«
Hetty wäre heilfroh gewesen, wenn Chrissie sie auch benachrichtigt hätte. Allerdings hatte die das anscheinend auch Ewigkeiten erfolglos probiert. Auf der Mailbox ihres Handys waren zahllose Anrufversuche und schließlich eine SMS mit dem zarten Hinweis zu finden: »Graf Dracula im Anflug!«
Hetty seufzte, als sie ihr Handy wieder zuklappte. Das kam davon, wenn man das Ding immer in der Schublade liegen ließ. Chrissie hätte besser einen Flieger mit Spruchband über der Oper kreisen lassen sollen. Den hätte sie sicher gesehen. So hatte sie jetzt ein großes Problem an der Backe.
»Wieso Problem? Lass uns Kai anhimmeln!«
Die Hormongruppe besaß aber wirklich keine einzige vernünftige Gehirnzelle. Ihr Verstand dagegen wälzte bereits die Prospekte günstiger Übernachtungsmöglichkeiten, um einen Alternativaufenthalt zu finden. Hier konnte sie auf keinen Fall bleiben.
»Würde ich auch sagen, ein zweihundertfünfzig Quadratmeter Appartement in Luxusausstattung, mit einem Wohnraum von über sechzig Quadratmetern und vier Schlafzimmern en Suite, das ist wirklich viel zu klein für zwei Personen!« Die Sarkasmusabteilung ätzte durch die Gegend.
Die Vernunft versuchte zu vermitteln. »Klar ist die Wohnung groß genug, aber wir werden uns dauernd über den Weg laufen. Und wie ihr alle wisst, ist das überhaupt nicht gut für unseren Seelenzustand. Also ab durch die Mitte und die restliche Zeit in Sydney weit weg von Kai verbringen!«
Hetty prüfte im Geiste ihren Kontostand. Für die Überholung des Campers würde sie einen großen Teil ihres Geldes brauchen, das für Sonderausgaben vorgesehen war. Da blieb nicht viel übrig, um große Sprünge zu machen. Aber alles besser als Sehnsüchte zu wecken, die nicht erfüllt werden konnten.
Doch als sie wieder ins Wohnzimmer kam, durchkreuzte Kai ihre unausgereiften Fluchtpläne. »Lass dich von mir nicht stören und komm ja nicht auf die Idee auszuziehen. Ich bleibe sowieso nur drei Nächte da, dann bin ich wieder weg. Du kannst hier bleiben solange du willst, die Bude steht sowieso die meiste Zeit leer.«
Der intensive Blick, mit dem er sie bei dieser Aussage fixierte, verursachte in ihr das Gefühl, er hätte soeben alle ihre Gedanken im hintersten Winkel ihres Gehirns gelesen. Mit diesem Angebot hatte er ihr nun die Möglichkeit genommen, sich auf leisen Sohlen von dannen zu schleichen. Wenn der Besitzer des Appartements darauf bestand, dass sie bleiben sollte, konnte sie schlecht so unhöflich sein und die Fliege machen.
Denn als Erklärung zu sagen »Weißt du, ich halte es einfach nicht aus, dich dauernd um mich zu haben«, wäre wohl etwas mehr als daneben gewesen.
Die Hormongruppe jubelte, die Sarkasmusabteilung feixte in Vorfreude auf die Verwicklungen die sich ergeben würden und ihr Verstand versuchte die drei Affen nachzuahmen: Nichts sehen, nichts hören und nichts sagen.
Aus dem geplanten faulen Fernsehabend wurde natürlich auch nichts. Wobei Hetty insgeheim zugeben musste, dass die Alternative ihr besser gefiel. Sie seufzte innerlich, eben viel zu gut.
Kai hatte, bevor sie kam, den Kühlschrank und die Tiefkühltruhe inspiziert. »Was wolltest du heute eigentlich essen?«
Hetty, die inzwischen in einem ausreichendem Abstand auf dem Sofa ihm gegenüber saß, schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Ach Scheibenkleister, ich wollte ja eigentlich noch einkaufen. Aber mit dem ganzen Trubel habe ich das glatt vergessen.«
Jetzt war Kai darauf spezialisiert feine Untertöne zu hören und zwischen den Zeilen zu lesen. Und da er wusste, dass Hetty seltsame Ereignisse wie ein Magnet anzog, hakte er sofort nach. »Was war los?«
Hetty zuckte die Schultern und tat die Sache mit einem Handwedeln ab. »Nichts Großartiges. Habe nur etwas gefunden und abgegeben.«
Das stimmte so ungefähr und da sie sich mit Lügen immer schwer tat, blieb sie mit ihren Ausreden meistens möglichst nah an der Wahrheit.
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