1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Kai hatte inzwischen sein Handy gezückt und sah sie fragend an. »Italienisch oder Chinesisch?«
Fast wollte sie schon antworten »Ich verstehe nur chinesisch!« als ihr bewusst wurde, dass sich die Nationenfrage auf die Hersteller von Essen bezog.
»Chinesisch hatte ich schon länger nicht.«
Nähere Angaben brauchte sie nicht zu machen, Kai liebte gutes Essen genauso wie sie und bestellte einfach ein Menü für zwei Personen. Aus dem Telefonat ging hervor, dass er den Besitzer des Lokals, bei dem er bestellt hatte, kannte. Der ließ es sich dann auch nicht nehmen, eine halbe Stunde darauf, mit einem Gehilfen das Essen zu bringen und höchstpersönlich am Esstisch anzurichten.
Hetty blickte über die mehr als reich gedeckte Tafel. Eines war auf alle Fälle sicher gestellt: Verhungern würde sie heute nicht.
Kai stellte vor. »Herr Han, der das beste chinesische Restaurant in ganz Sydney führt.«
Der kleine, schon ziemlich stark ergraute Mann lächelte geschmeichelt und musterte aufmerksam Hetty, die ihm als »Hetty, eine sehr gute Freundin«, vorgestellt wurde.
Herr Han, mit seinen so um die sechzig Jahren, hatte noch die Manieren der alten Schule. Auf die Aussage von Kai warf er sich in einen Bückling, küsste ihr galant die Hand und fragte. »Kai, warum hast du mir diese hübsche junge Frau nicht schon früher gezeigt!«
Der ignorierte Hettys gerötete Wangen und antwortete. »Meinst du, ich verrate alle meine Geheimnisse?«
Nachdem Herr Han wieder verschwunden war und sie am Tisch saßen, fügte er noch eine Erklärung hinzu. »Wenn du dir jetzt Gedanken machst, ob du dich am Menü beteiligen sollst – die Antwort lautet nein. Denn …«
Hetty hob die Hand. »Denn, so wie ich dich kenne, hast du das Essen völlig umsonst bekommen, weil dir Herr Han verpflichtet ist.«
Sie hatte inzwischen schon zur Genüge mitbekommen, dass diesem Mann Gott und die Welt verpflichtet war. Denn er führte, wenn die Aufgabenstellung etwas aus der Reihe lief, teilweise seine Aufträge ohne Bezahlung durch. Die dabei notwendigen unorthodoxen Vorgehensweisen welche, wie sie aus Erfahrung schlussfolgerte, hin und wieder reichlich harsche Methoden erforderten, brachten Erfolg, ließen sich allerdings nicht mit Geld aufwiegen. Und so hatte er zahlreiche ehemalige Kunden, die ihm nur zu gerne jeden Gefallen erwiesen, den er beanspruchte.
Dazu gehörte unter anderem auch sein Friseur, der für diese fantastisch geschnittenen Haare zuständig war. Dank Kais zartem Hinweis, hatte er sein Geschäftsmodell geändert. Seit er als Transvestit auftrat, konnte er sich vor Kunden kaum retten und auch Hetty war schon einmal in den Genuss seiner Künste gekommen. „Tinka“ hatte sich sozusagen zum Familienfriseur erklärt und erledigte diese Arbeit unentgeltlich. Und das mit Freude und Begeisterung, denn der Hinweis von Kai hatte ihm zum Durchbruch als Starfriseur in Brisbane verholfen.
Kais rechter Mundwinkel zuckte merklich.
Hetty sah sich bestätigt und ulkte. »Jetzt sag mal ganz ehrlich – musst du überhaupt irgendwo zahlen. Zumindest an der Tankstelle? Oder hast du auch noch die Ölscheichs in der Hand?«
Sie wedelte mit ihren Stäbchen. »Entrichtet deine Firma eigentlich Steuern? Wahrscheinlich hast du da auch Sonderkonditionen – so einen obligaten Dollar pro Monat. Oder muss der australische Staat immer ein Zehntel seiner Einnahmen an dich abtreten?«
Kais Lachfältchen hatten sich inzwischen vertieft und er kämpfte einen vergeblichen Kampf ein Lächeln zurückzuhalten. »Ganz so weit reichen meine Verbindungen dann doch nicht, aber ich arbeite daran!«
Dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. »Han ist allerdings tatsächlich ein Kunde von mir. Du weißt doch sicher, dass es auch eine Chinesenmafia gibt. Die machen um sein Lokal inzwischen einen weiten Bogen und sind froh, wenn sie nicht von meinen Leuten einen Besuch bekommen. Und bei Chinesen ist es eines der schlimmsten Verbrechen, Geschenke zurückzuweisen.«
Er deutete auf die zahlreichen Schüsseln und Tiegel. »Han wäre tödlich beleidigt, wenn ich ihm dafür Geld geben würde.«
Kais Mundwinkel zuckte wieder und sie sah, dass er jetzt wirklich Mühe hatte, ein Lachen zu unterdrücken. »Außerdem hat er nun ein wunderbares Gesprächsthema und wird voller Wonne die Gerüchteküche anheizen.«
Hetty verschluckte sich fast an ihrer Krabbe, die sie gerade in den Mund gesteckt hatte.
»Wie meinst du das?« In dem Moment als ihr die Frage über die Lippen gerutscht war, wusste sie, dass sie eigentlich keine Antwort hören wollte.
Kai spielte mit seinem Rotweinglas und sah sie ziemlich amüsiert an. »Sagen wir mal so, wenn du durch das Chinesenviertel gehst, solltest du damit rechnen Glückwünsche zur bevorstehenden Hochzeit zu bekommen!«
Als Hetty viele Stunden später im Bett lag, konnte sie nicht einschlafen. Sie hatte sich mit einigen launigen Kommentaren aus der ersten Verlegenheit gerettet und das Gespräch dann auf allgemeine Themen gebracht. Der üblicherweise eher wortkarge Kai, war in ihrer Gegenwart für seine Verhältnisse immer ziemlich redselig und da sie viele gemeinsame Interessen hatten, verbrachten sie einen äußerst angenehmen Abend. Genauso wie sie war er ein Nachtmensch und so hatten sie ihre Betten erst lange nach Mitternacht aufgesucht. Jetzt lag sie hellwach da, starrte sie in die Dunkelheit und verstand die Welt nicht mehr.
»Was haben wir eigentlich für ein Problem?« Die Hormongruppe meldete sich. »Wenn Kai zehn Jahre älter, fünfzig Jahre hässlicher und arm wie eine Kirchenmaus wäre, hättest du keine Schwierigkeiten, das Ganze einzuordnen.«
Tja, genau das war das Problem. Abgesehen davon, dass sie keinerlei Gedanken an diese Version eines männlichen Exemplars verschwendet hätte. Doch jedes Mal, wenn sie mit Kai zusammentraf, gab es Momente, in denen irgendeine komplett irrsinnige Zone ihres Gehirns signalisierte, dass dieser Mann an ihr interessiert war. Der Rest wusste genau, dass das absoluter Unsinn war. Aber eben deshalb war der Umgang mit Kai für sie so schwierig. Wenn er sie einfach als weiblichen Kumpel behandelt hätte, wäre alles kein Problem gewesen.
Hetty seufzte. Wahrscheinlich war er so daran gewöhnt, den zahllosen schönen Frauen, die sich ihm sicher reihenweise an den Hals schmissen, Komplimente zu machen, dass er einfach zu jeder Frau nett war. Herr Han war genau die Altersgruppe, für die sie selbst hübsch und jung war. In Kais Augen war sie mit Sicherheit alt und hässlich. Aber er war eben naturgemäß einfach höflich. Da fruchtete wohl die gute Erziehung seiner früh verstorbenen Eltern. Sie stöhnte. Es ging einfach nichts über eine gesunde Selbsterforschung! Dennoch war das letzte was sie im Gedächtnis hatte, als sie in den Schlaf hinüberglitt, ein Bild von wunderbaren strahlend blauen Augen.
Kapitel 5
Schwer atmend stand Hetty am nächsten Tag am Fuß eines Hügels und blickte auf das Schloss, das vor ihr aufragte.
»Das ist kein Schloss, sondern ein Managementinstitut.«
Ihre Sarkasmusabteilung musste ihr aber auch jeden Spaß verderben. Natürlich hatte sie in ihrer Wanderkarte diesen Hinweis bereits gelesen.
Sie war am frühen Vormittag am Strand von Manly Beach gestartet und hatte sich Richtung North Head begeben. So wurde das nördliche Kliff, welches den Eingang vom Meer zu Sydneys Hafen kennzeichnete, genannt. Ihr Wanderweg führte an der breiten Promenade von Manly Beach entlang, über einen kleinen Sandstrand, hinauf auf den höchsten Punkt der Steilküste.
Dort hatte sie sich über einen versteckten Pfad, den sie auf einer früheren Wanderung entdeckt hatte, zu einem schattenspendenden Felsvorsprung durchgekämpft und eine Weile damit verbracht, auf einer einsamen Bank die Brandung zu beobachten, die unter ihr an den Felsen klatschte. Als sie weiterging kam sie, nach einer halben Stunde Fußmarsch, zu dem historischen Militärgelände.
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