Als sie die Wohnungstür aufsperrte, hoffte sie inständig, dass Kai nicht anwesend war. Am Morgen hatte sie nur einen Zettel vorgefunden, auf dem mit schwungvoller Handschrift lapidar vermerkt war. „Kühlschrank ist aufgefüllt“.
Welches Heinzelmännchen das in der Zwischenzeit erledigt hatte, würde wohl ein Geheimnis bleiben. Genauso, wie der Hausservice es eigentlich schaffte, nie persönlich in Erscheinung zu treten, aber trotzdem jeden Tag die Räumlichkeiten zu säubern. Kai selbst war nicht mehr vorhanden gewesen, anscheinend hatte er einen frühen Termin wahrnehmen müssen. Ihr Wunsch ging so halb, halb in Erfüllung, denn dieses Mal war er gerade dabei, sich auf den Weg zu machen.
»Ich komme erst spät zurück, schönen Abend.« Er war wohl unterwegs zu einer Verabredung, zumindest hatte er sich in Schale geworfen.
Inzwischen wusste sie natürlich, dass seine Anzüge nicht nur wie maßgeschneidert saßen, sondern tatsächlich auch maßgeschneidert waren. Wobei dieser Mann selbstverständlich auch in billigen Klamotten von Target, noch mehr als gutaussehend gewirkt hätte. Ausnahmsweise trug er kein schwarzes Hemd, sondern hatte eines dieser schneeweißen Hemden an, die ein Vermögen kosteten. Damit war er im wahrsten Sinne des Wortes eine blendende Erscheinung.
Als sich die Türe hinter ihm schloss, atmete Hetty zum ersten Mal wieder ein. Puh! Das kostete schon mehr als sehr viel Energie, um bei diesem Anblick völlig uninteressiert zu wirken. Aber darin hatte sie ja schon genügend Übung. Im Notfall multiplizierte sie Zahlen im Kopf, um einen gleichgültigen Blick zu erzeugen. Na, da würden Sydneys Frauen heute wieder gucken! Hetty in ihren verschwitzten Freizeitklamotten kam sich vor, wie das hässliche Entchen in Reinformat. Sie konnte es allerdings nicht lassen und beobachtete durch ein Fenster, wie er auf die Straße trat.
»Selber schuld!« bemerkte die Sarkasmusabteilung, als sie sich demoralisiert abwandte.
Die tolle Blondine, die in ihrem Cabrio auf ihn gewartet hatte, hätte sie sich zumindest ersparen können. Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Ob das wohl die Frau war, mit der er auf der Farm telefoniert hatte? Frustriert wandte sie sich ab und ging ins Bad um zu duschen.
Der Blick in den Spiegel zeigte, wie schon so oft, dass sie mit solchen Frauen nicht im geringsten mithalten konnte. Grüne Augen, halblange braune Haare, 1.60 Meter Größe und auch der Rest absoluter, völliger Durchschnitt. Das würde sich nie ändern und eigentlich war sie mit sich, bisher, so auch ganz zufrieden gewesen. Bis sie Kai getroffen hatte. Leise aufseufzend wandte sie sich ab. Wieso kam sie nur immer wieder auf den verrückten Gedanken, dieser Mann wäre nicht genauso unerreichbar wie der Mond?
Als Kai, spät in der Nacht, leise sein Appartement betrat, betrachtete er gleich darauf kopfschüttelnd Hetty, die schnarchend bei laufendem Fernseher auf der Couch lag und, so wie es aussah, ihre sämtlichen Rotweinvorräte vernichtet hatte. Er holte eine Decke und nachdem er sichergestellt hatte, dass sie nun zumindest nicht frieren würde, strich er ihr noch leicht mit zwei Fingern über die Wange. Dann drehte er sich um und ging in sein Schlafzimmer.
Er war todmüde. Den ganzen Abend hatte er mit einer Kundin verhandelt, die auch noch dauernd versucht hatte, mit ihm anzubandeln. Das hatte Energie gekostet. Aber zumindest hatte er den Auftrag für seine Firma erhalten und es auch noch geschafft, sich galant den Annäherungsversuchen zu erwehren.
Kai verzog den Mund. Er wusste sehr wohl, dass sein Aussehen für die Akquise äußerst nützlich war. Aber es gab Grenzen. Hier kam ihm dann jedes Mal der Gedanke, dass er es eigentlich sowieso nicht nötig hatte, zu arbeiten. Doch die Sicherheitsfirma die er, mit seinem Freund und Militärkameraden Tim, vor Jahren aufgezogen hatte war inzwischen zu einem ziemlich großen Unternehmen angewachsen und seine Angestellten brauchten etwas zu tun. Abgesehen davon, machte ihm seine übrige Arbeit Spaß.
Als er jünger war, hatte er die sich bietenden Gelegenheiten auch noch ganz gerne mitgenommen, aber mittlerweile hatte er diese aufgetakelten Frauentypen, die nur auf das Äußere schauten, bis obenhin satt. Da war Hetty ein ganz anderes Kaliber. Kai runzelte die Stirn. Er konnte noch nicht einmal sagen, ob sie auf seinen Typ stand.
Schließlich gab es da diesen Paul in Alice, der ihr anscheinend ziemlich viel bedeutete. Und der war das genaue Gegenteil von ihm selber: Blond, braungebrannt und, was er bei dem kurzen Zusammentreffen mit ihm auf die Schnelle erkannt hatte, auch äußerst nett und freundlich. Zwar hatte er bisher noch nichts davon gehört, dass sie und Paul ein Paar waren, aber das konnte ja noch werden. Zumindest gefielen ihr mit Sicherheit blonde Männer, die kommunikativ waren.
Bei ihrem Aufenthalt auf der Farm von Chrissies Vater, hatte sie auch Patrick mit Interesse gemustert. Gut, der war zwar fast eine Generation jünger und dank Hettys Nachhilfe jetzt mit Chrissie verlobt. Aber Hetty hatte nicht das geringste Geheimnis daraus gemacht, dass ihr Patrick zusagte. Wobei ein Teil ihrer Show mit Sicherheit darauf abgezielt hatte, Chrissie für ihren Zukünftigen zu interessieren.
Doch dass sie und Patrick sich gerne mochten, war nicht gespielt gewesen, das war ihm sehr wohl bewusst. Denn die zwei hatten sich vom ersten Moment an wunderbar verstanden und den Eindruck erweckt, als ob sie sich schon ihr ganzes Leben lang kannten. Die beiden funkten genau auf derselben Wellenlänge und verstanden sich auch ohne Worte. Patrick war durch ihre Intervention aus seinem Schattendasein hervorgetreten und auch Kai hatte überrascht festgestellt, dass an dem Jungen bedeutend mehr dran war, als sie alle vermutet hatten.
Seitdem war ihm allerdings auch bewusst geworden, dass Patrick sehr gut darin war, sein wahres Ich vor anderen Leuten zu verbergen. Nur Hetty hatte, genauso wie bei ihm selbst, sofort erkannt, was hinter der Fassade steckte.
Kai verzog den Mund. Er war sich ziemlich sicher, wenn Patrick nicht schon seit Ewigkeiten in Chrissie verliebt gewesen wäre, dann wäre da sicher etwas gelaufen. Altersunterschied hin oder her. Denn auch der Junge hatte deutlichst gezeigt, dass er Hetty sehr gern hatte. Abgesehen davon, dass Hetty absolut zeitlos wirkte und sich sozusagen in jeder Altersgruppe assimilierte.
Und nur weil Hetty ein Singleleben führte, war das sicher kein Leben ohne Männer. Doch er selber war anscheinend in ihrem Beuteschema nicht enthalten. Denn während die meisten Frauen versuchten sich bei ihm anzubiedern, war er für Hetty, so wie sie sich ihm gegenüber verhielt, nur ein guter Freund, wenn überhaupt. Sie und Chrissie machten sich einen Riesenspaß daraus, ihn zu verulken. Sein Mundwinkel zuckte. Inzwischen hielten sich die beiden auch nicht mehr zurück und nannten ihn ganz offen „Graf Dracula“.
Jedes Mal wenn er ihr über den Weg lief, hatte er das Gefühl, dass sie ihn auf der einen Seite nicht ganz ernst nahm, zumindest hatte sie, im Gegensatz zu fast allen anderen Leuten, nicht den geringsten Respekt vor ihm. Wo andere duckten und seine Anordnungen befolgten, sträubte sich bei ihr das Haar, blitzten die grünen Augen und dann wurde ihm vehement erklärt, dass er überhaupt nichts zu melden habe.
Er schüttelte den Kopf. Ansonsten konnte er sich hervorragend mit ihr unterhalten, aber auch hier hatte er immer den Eindruck, dass Hetty genauso gerne mit dem Pförtner vom Haus redete. Zumindest hatte der ihm, bei seiner Ankunft, gleich eine Weile euphorisch von der netten Frau vorgeschwärmt, die da in seinem Appartement übernachtete und Kai war sich sicher gewesen, dass die inzwischen seine komplette Familiengeschichte kannte.
Hetty hatte auf alle Fälle noch nie versucht, mit ihm zu flirten und reagierte auch in keinster Weise auf entsprechende Versuche von ihm. Da brauchte er nur an den letzten Abend zurückdenken. Seine, doch reichlich eindeutigen Anspielungen hatte sie einfach ignoriert und stattdessen sehr geschickt das Thema gewechselt. Wie wenn er als Mann für sie nicht existieren würde. Tja, er war leider selber nicht so blind.
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