Dass er auch Scharfschütze war, fiel Hetty in dem Moment ein, als er an der Theke seinen Cappuccino geordert hatte und zu ihr an den Tisch zurückkam. Der scharfe Blick aus, momentan, äußerst eisig wirkenden Augen traf sie wie ein Gewehrschuss. »Wieso hast du selbst bezahlt?«
Oh, oh, Kai war wütend. Sehr wütend. Hetty hätte sich am liebsten unter dem Tisch versteckt. Sie hatte schon gesehen, wie mächtige Leute vor Kai duckten und kannte eigentlich niemanden, der sich traute gegen seine Anordnungen aufzumucken.
Sie selbst hatte sich allerdings schon ein paarmal erfolgreich gegen seinen Willen durchgesetzt, indem sie einfach das tat was sie wollte. Er hatte ihr schließlich überhaupt nichts zu sagen. Und das machte sie ihm meistens auch sehr deutlich klar.
Hier war die Situation aber etwas anders gelagert und statt ihm sozusagen mit gefletschten Zähnen Paroli zu bieten, beschloss sie, einfach ganz ehrlich zu sein.
Anscheinend unbeeindruckt erwiderte sie ruhig den bösen Blick und antwortete. »Es ist mir zu peinlich, auf deine Kosten, oder die deiner Firma zu leben. Und wenn ich auch dankbar die Schlafgelegenheit annehme, meinen Kaffee möchte ich mir lieber selber zahlen!«
»Wir sind stolz auf dich!« Ausnahmsweise waren sich in ihrem Gehirn alle Kontrahenten einig und applaudierten gemeinsam laut und anhaltend.
Sie musste allerdings auch zugeben, dass sie sich den Beifall verdient hatte. Kai, der ungekrönte König der Einschüchterer, war klassisch k.o. gegangen.
»Dem hast du nicht nur den Wind aus den Segeln genommen, sondern auch gleich die ganze Takelage geklaut!«
Na ja, der Vergleich hinkte zwar etwas, aber sie musste sich momentan doch etwas beherrschen, damit ihr kein Lächeln auskam.
Geduldig wartete sie auf eine Erwiderung. Irgendwann musste er schlussendlich etwas sagen. Die Bedienung, die den Cappuccino brachte, erlöste Kai aus seiner Starre.
Nachdem er sich bei der Frau bedankt hatte, fuhr er sich mit der rechten Hand durch die Haare, räusperte sich und richtete seinen Blick auf Hetty. »Entschuldige, das habe ich nicht bedacht!«
Sie hatte schon ein paarmal die Erfahrung gemacht dass diese, meist so eiskalt wirkenden Augen auch unglaublich viel Gefühl ausdrücken konnten. Glücklicherweise läutete sein Handy und erlöste sie aus dem Blickkontakt. Während Kai telefonierte, atmete sie innerlich durch. Das war wieder einer von der Sorte gewesen, bei denen alle Hormone in Aufruhr versetzt wurden und sich der gesunde Menschenverstand langsam, aber sicher, verabschiedete. Gott sei Dank würde Kai ab morgen wieder weg sein.
Nachdem er das Telefonat beendet hatte, konzentrierte sich Kai wieder auf sie. »Ich habe mich wohl ziemlich gönnerhaft aufgeführt?«
Die Sarkasmusabteilung setzte sich auf die Tribüne des Geschehens, das war besser als ein Grand Slam Turnier. Aufschlag und Return. Wunderbar. Bei einem Schachspiel hätten sie gesagt: Patt!
Hetty knurrte insgeheim. Jetzt war sie am Rudern. »Nein, so habe ich das nicht aufgefasst. Aber ich will deine Großzügigkeit nicht völlig ausnutzen. Und zumindest den Kaffee kann ich mir noch selber leisten.«
Jetzt musste sie sich auch noch dafür entschuldigen, dass sie ihn nicht ausbeutete.
Ihr Verstand schüttelte den Kopf. »Mädchen, der hat Geld wie Heu, der merkt noch nicht mal wenn ihm ein paar Tausender abgehen und du machst dir Gedanken wegen ein paar Dollar!«
Kai nickte. »Ich habe die Botschaft verstanden.«
Glücklicherweise gehörte er nicht zu den Leuten die ein Thema bis ins Unendliche widerkäuten und zerlegten. Das war eine seiner Charaktereigenschaften, die Hetty inzwischen kennen und schätzen gelernt hatte.
Mittlerweile war auch seine Kaffeetasse leer und er sah Hetty fragend an. »Wenn du willst, können wir noch eine Runde durch das Olympiazentrum drehen – ich habe einen Generalschlüssel für die Gebäude.«
Zwei Stunden später hatte Hetty alles gesehen, was bisher hinter geschlossenen Türen verborgen gewesen war. Damit wusste sie nun endlich, wie die Umkleidekabinen der Sportler und die Vorbereitungsräume aussahen. Wo die Presse ihre Geräte aufbaute und im welchem Bereich die Schwimmer warten mussten, bevor sie auf der Bildfläche erscheinen durften. Kai erklärte ihr auch den kompletten logistischen Ablauf einer Sportveranstaltung.
Da dabei auch immer wieder bedeutende Persönlichkeiten auf der Ehrentribüne saßen, wurde vom Ausrichter des jeweiligen Events oft ein Sicherheitsdienst benötigt. Und dafür war Kais Firma zuständig. Damit alles reibungslos vonstatten ging, informierte er sich meistens persönlich über die Abläufe und kontrollierte nochmal die Vorkehrungen seiner Leute. Deshalb war er auch dieses Mal nach Sydney gekommen.
Hetty hatte aus dem Gespräch unter anderem entnehmen können, dass das blonde Gift anscheinend nur Kundschaft war und nicht mehr.
»Da hätten wir uns den Leberschaden und den Verlust von einigen tausend Gehirnzellen sparen können!« Die Vernunft seufzte auf. Sie hatte am vorherigen Abend schon verzweifelt versucht den Alkoholkonsum zu stoppen, doch Hetty war für keinerlei Einwände zugänglich gewesen.
Kai warf einen Blick auf seine Uhr. Es war schon später Nachmittag und Zeit für die Rückkehr. Eigentlich hatte er gedacht, sie könnten irgendwo gemeinsam Abendessen, aber er war sich jetzt äußerst unsicher, was er wohl für eine Antwort erhalten würde, falls er eine Einladung aussprach. Er dachte an den Wortwechsel von vorhin zurück. Hetty hasste es Geschenke anzunehmen. Bisher hatte er es immer geschafft, sie in der Richtung auszutricksen. Schließlich wusste er, dass sie über keine großen Finanzen verfügte und froh über jeden Dollar sein musste, der auf ihrem Konto verblieb.
Sein Ziehvater Fritz hatte ihm nach ihrem Aufenthalt auf der Farm kopfschüttelnd erklärt. »Dadurch, dass sie Brians Tricks durchschaut hat, hat sie mir wahrscheinlich ein paar Millionen eingespart. Aber rate mal was sie zu mir gesagt hat, als ich wollte, dass sie für ihre Dienste von mir etwas Geld annimmt?«
Kai hatte schmunzelnd zugehört als ihm Fritz erzählte, welchen Anraunzer er von Hetty bekommen hatte. »Ich kam mir vor, wie ein kleiner Schuljunge. Am liebsten hätte ich mich hinter der Couch verkrochen. Sie kann wirklich sehr aggressiv werden!«
Glücklicherweise hatte sie ihm keine Szene gemacht, sondern nur erklärt, warum sie nicht wollte, dass er ihr Almosen gab. Vermutlich würde sie bei einer Einladung darauf bestehen selbst zu zahlen und die exklusiven Restaurants, die er üblicherweise aufsuchte, würden ein großes Loch in ihre Finanzen reißen.
Auf dem Wassertaxi beobachtete er Hetty, die sich mit dem Bootsführer unterhielt. Der überschlug sich geradezu damit, ihr etwas Besonderes zu bieten und hatte sein ganzes Wissen über die Bewohner der Häuser hervorgekramt. Da Hetty ehrlich interessiert zuhörte, machte er noch kurze Umwege, um näher an einige der Villen heranzufahren die prominenten Leuten gehörten, damit sie die Anlagen besser sehen konnte.
Kai schüttelte leicht den Kopf. Diese Frau hatte eine Ausstrahlung, mit der sie jeden um den Finger wickeln konnte. Er selbst konnte sich da auch nicht ausschließen, schon bei ihrer ersten Begegnung war er fasziniert gewesen. Und alles, was er bisher mit ihr erlebt hatte, war nicht gerade dazu angetan seine Meinung zu ändern.
Wobei außer ihm wohl niemand wusste, dass dieses momentan so liebenswerte Wesen, im Falle eines Falles, auch gnadenlos einen Menschen töten konnte. Wehe dem, der ihr ans Leder wollte! Mit derselben Gleichgültigkeit mit der eine normale Hausfrau eine grünschillernde fette Fleischfliege mit einem Geschirrtuch erschlug, schoss Hetty einen Typen über den Haufen der morden wollte. Das war für sie anscheinend gleichbedeutend mit Ungeziefervernichtung. Und er hatte noch nicht mitbekommen, dass sie deswegen auch nur eine Minute schlecht schlafen konnte.
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