Zehn Jahre jünger. Zweihundert Prozent schöner. Na gut, Geld hatte er selber genug. Dann wäre sie jetzt sicher gewesen, dass dieser Blick von ihm etwas Wichtiges aussagen sollte. Denn seine Augen hatten einen Ausdruck angenommen, der dafür sorgte, dass sich ihr Pulsschlag merklich erhöhte.
»Sind wir aber nicht! Krieg dich ein.« Ihre Vernunft wachte und sorgte dafür, dass sie auf dem Boden der Tatsachen blieb.
Na ja, zumindest waren sie gute Freunde. Irgendwie musste sie ihr Verhältnis ja einordnen. Und das war mehr, als die meisten Menschen auf diesem Kontinent sagen konnten. Sie interpretierte seine Reaktion auf ihre Intervention mit Sicherheit komplett verkehrt und dachte sich da nur etwas zusammen, was ihren Wunschträumen entsprang.
Hetty zeigte, nach außen hin, nicht im geringsten welche unwahrscheinlichen Vorstellungen ihr kurz durch den Kopf gegangen waren und erwiderte seinen Blick mit einem absolut neutralen Gesichtsausdruck. Um das zu schaffen, betete sie eisern die Siebener-Multiplikation in ihrem Kopf herunter, denn das war, im Zeitalter der elektrischen Rechenmaschinen, Hard-core für ihre Gehirnzellen und half immer.
Nachdem die Ente im Ofen vor sich hin brutzelte, das Blaukraut schmorte und die gekochten Kartoffeln auf bessere Zeiten warteten, saßen sie im Wohnzimmer und unterhielten sich. Von tausend Leuten hätten natürlich neunhundertundneunundneunzig laut aufgeschrien und brüllend gelacht, bei der Vorstellung, dass sich Kai normal unterhalten würde. Doch für Hetty war das inzwischen zur Gewohnheit geworden. Am Anfang, wenn sie sich begegneten, war er meist, wie üblich, kurz angebunden, doch spätestens am nächsten Tag benahm er sich ihr gegenüber wie ein normaler, eben etwas introvertierter Mensch.
»Du weckst in ihm einfach die Erinnerung an seine Mutter!« Die Sarkasmusabteilung war immer noch voll da.
Dann war das Essen fertig und Kai konnte nun zum ersten Mal in seinem Leben Knödel und Blaukraut essen. Hetty hatte nach langem Suchen zumindest eine annähernde Entsprechung in einem Lexikon gefunden und hoffte, dass der „dumpling“ kein Reinfall werden würde. Schließlich waren Knödel in diesem Land eher unbekannt und alles, was sie in annähernder Form bisher gesehen hatte, waren Fleischbällchen.
Kai begutachtete interessiert das seltsame Exemplar, das da auf seinem Teller thronte. »Das ist also ein Kartoffelknödel?«
Hetty lächelte über seinen vergeblichen Versuch, das Wort Knödel richtig auszusprechen. »Völlig ungefährlich, sogar für die Figur.«
Was bei Kais durchtrainiertem Körper natürlich absolut nebensächlich war.
»Die sind wirklich richtig gut!« Kai holte sich Nachschub und hatte keine Probleme, mit Hettys Portionen mitzuhalten.
Und da sie normalerweise für zwei aß, befand sie, dass es ihm wirklich schmeckte. Also konnte sie ihr unkonventionelles Dankeschön wohl als sehr gelungen bezeichnen.
Doch als sie viel, viel später im Bett lag, war sie auf der anderen Seite heilfroh, dass morgen die Feuerprobe wieder vorüber war. Denn leider Gottes hatte jedes Zusammentreffen mit Kai nur die Folge, dass sie ihn noch mehr mochte und das war »gar nicht gut«, wie ausnahmsweise ihre komplette Hirngruppe feststellte.
Kapitel 7
Kai bemerkte erst im Flugzeug, dass er vergessen hatte, bei einem wichtigem Thema nachzuhaken. Was war das für ein Trubel gewesen, der Hetty vom Essen-fassen abhielt? Er schüttelte den Kopf. Diese Frau blockierte seine üblichen Denkweisen. Als rationaler Mensch war er es nicht gewöhnt, dass da Emotionen durch sein Bewusstsein schwirrten. Aber er hatte vor ein paar Tagen einen Auftrag erhalten, der sich in Sydney abspielte, da konnte er nebenbei ein Auge auf Hetty haben. Er runzelte die Stirn. Sie hatte ja eine Tendenz, sich in Schwierigkeiten zu bringen.
Hetty hatte mit einem Aufseufzen verfolgt, wie Kai vom Taxi abgeholt wurde.
Sein Abschiedsgruß »Pass gut auf dich auf Prinzessin!« war inzwischen schon fast zur Gewohnheit geworden.
Genauso wie ein letzter durchdringender Blick, der sie die nächsten Nächte wach halten würde. Na ja, auch wenn er nach wie vor der Prinz war, war sie eben auch noch immer der hässliche alte Drache und nicht die schöne Prinzessin. Da brauchte sie sich überhaupt keine Hoffnungen zu machen, dass sich das ändern würde, ganz abgesehen davon, dass ja irgendwo im Hintergrund diese, ihr glücklicherweise noch unbekannte, Freundin lauerte.
Aber jetzt konnte sie endlich das erledigen, was sie eigentlich schon eher vorgehabt hatte. Nämlich diesem Architekturbüro, das den Wettbewerb gewonnen hatte, näher auf den Zahn fühlen. Sie grinste. Und dabei konnte sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ihre Neugierde befriedigen und damit sogar noch Geld verdienen.
Aus einigen Anzeigen in den Tageszeitungen und Inseraten im Internet ging hervor, dass dieses Büro dringend einen Zeichner brauchte, der etwas von Auto-CAD verstand. Die Version, mit der sie in Deutschland gearbeitet hatte, war eine mit englischen Befehlszeilen gewesen und es dürfte deshalb kein Problem sein, sich als Mitarbeiterin zu qualifizieren.
Doch vorher sollte sie ihr Aussehen am besten noch etwas in Richtung „solide“ retuschieren. Also kaufte sie sich für wenig Geld beim nächsten Target Büroklamotten, in denen sie authentisch wirkte. Schwarzer Rock, flache Schuhe, dazu eine altmodische weiße Bluse. Die Haare zusammengefasst und mit einer Haarklammer hochgesteckt, als zusätzliches Accessoire eine Hornbrille mit Fensterglas. Fertig war die Bürotussie.
Sie musterte sich im Spiegel. »Mutter lässt grüßen!«
Der Verstand nickte. »Jetzt schaust du endlich mal so alt aus, wie du wirklich bist.«
Hetty stöhnte auf. Es ging nichts über ein gesundes Selbstbewusstsein.
Die erste Hürde nahm sie dann auch mit Bravour. Ein kurzer Blick auf das Familienfoto auf dem Schreibtisch hatte ihr genügt die, etwas schroffe, Empfangsdame in ein ausführliches Gespräch über Kindererziehung zu verwickeln. Auch wenn Hetty selbst nichts weniger mochte, als eigene Kinder, kannte sie sich doch mit allen üblichen Wehwehchen und den ganzen anderen Problemen aus, die mit dem Muttersein so einhergingen, um mitreden zu können.
Nach zwanzig Minuten waren sie und Christine die besten Freundinnen und die meinte schließlich augenzwinkernd. »Ich sag dem Chef mal, da ist jemand mit ganz tollen Referenzen.«
Was natürlich auch stimmte, doch ihr Alter wäre normalerweise ein Hinderungsgrund gewesen. Ganz abgesehen davon, dass sie natürlich alle Unterlagen mit einem neuen Namen versehen und entsprechend ihren Bedürfnissen angepasst hatte.
Die Chefsekretärin war, aufgrund der Intervention von Christine, schon vorbereitet. Während der Wartezeit erfuhr Hetty, dass sie Schwierigkeiten mit ihrem Ex-Freund hatte, der sie tyrannisierte. Hetty pflichtete ihr bei, dass alle Männer Schweine sind und die Tür zum Chefbüro öffnete sich, wie bei Aladin die Felsenwand.
»So hat jeder sein Simsalabim!« feixte die Sarkasmusabteilung.
Der Chef war so wie alle Chefs – er machte das, was ihm seine Damen sagten und unterschrieb brav den Vertrag für Hettys Probezeit. Da sie schon mal da war, begann sie gleich mit der Arbeit. Der Büroleiter sank fast auf die Knie, als er sah, dass Hetty tatsächlich mit diesem verfluchten CAD-Programm umgehen konnte, das bisher alle zur Verzweiflung getrieben hatte. Als Richard an diesem Abend nach Hause fuhr, war er zum ersten Mal seit Monaten wieder mit seinem Blutdruck im normalen Bereich. Diese Frau hatte der Himmel geschickt!
Hetty hatte inzwischen Bestandsaufnahme gemacht. In ihrer Abteilung waren außer Richard noch zwei weitere Architekten und eine kompetent wirkende Schreibkraft vorhanden. Für die niederen Arbeiten gab es eine junge Bürogehilfin, die freundlich und nett, aber nicht sonderlich geschickt war. Was vermutlich daran lag, dass sie auch erst ein paar Tage in diesem Büro arbeitete.
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