Nur noch das, was unbedingt erforderlich schien, wurde an dem Haus weitergebaut. Und auch das nur, wenn die Materialkosten gegen gratis tendierten. Karl Hannes unterstützte maßgeblich mit seinem LKW und brachte erhebliche Mengen an Baumaterialien, woher er die auch immer hatte, vorbei. Eines Tages erschien er mit einem ganzen Zug bester Steinwolle, die er auf einem Industriegelände aufgelesen vorgab, und ermöglichte so die durchgehende Isolierung des Dachgeschosses.
“Leih mir dreißigtausend Mark zu fünf Prozent den Monat für ein paar Monate,” sagte Bernd nachdenklich, während des Schachspiels eines abends zu Köwenick.
“Dreißig?” “Die kann ich anderthalb Mal mit Tabakwaren umsetzen. Dann rechnet sich das.”
Zwei Tage später holte Bernd mit Jacky, die solche Summen auf einem Stapel nicht für möglich gehalten hatte, die dreißigtausend, die aussahen, als ob Köwenick sie in seiner Matratze gehortet hatte, ab.
Es war nun wieder ausreichend Ware im Angebot. Es ging nun wieder.
Ein Zimmerchen im neuen, angebauten Nordflügel hatten sie mittlerweile fertiggestellt und mit hübschen Paneelen, die Bernd ausgesucht hatte, ausstaffiert. Ein Bett stand drin. Und ein Ofen. Es wurde von dem Rest des sich noch gesamt im Bauzustand befindlichen Hauses mit einer selbstgezimmerten Schiebetür aus Holz abgetrennt und sauber gehalten.
Jacky und Bernd zogen aus Karl Hannes schwarzem Loch in Moabit aus und hinterließen die Möbel anderen, sie auf den Sperrmüll zu tragen, nachdem Bernd die andere Nacht aus dem Küchenfenster gefallen war und sich den Zehknochen gesplittert hatte.
Das Telefon war wieder angeschlossen. Die Estriche unten waren eingebaut. Die Böden oben verlegt. Alles mögliche war verändert und umgemauert worden. Das zukünftige Bad war abgetrennt und die
Sickergrube war gemauert. Strom war da. Leitungen waren überall verlegt. Jackys Stiefvater war aufgetaucht.
“Er wollte mir mit einer Drahtbürste das Gesicht abbürsten,” sagte Anja atemlos mit empört klingender Stimme eines abends am Telefon. “Er sagte, daß er mir das Gesicht mit der Drahtbürste abbürsten wolle. Er hat die Scheibe zum Kassenraum mit der Drahtbürste zerkratzt. Ich konnte sie gerade noch zuschieben. Sonst hätte er mir das Gesicht mit der Drahtbürste zerkratzt.”Sie war aufgelöst und alarmiert.
“Ich soll dir ausrichten, daß er dir den Schädel spalten und anschließend in das Gehirn pissen wird. So hat er das gesagt.”
“Wird oder will?”
“Das weiß ich nicht mehr, er wollte mein Gesicht zerkratzen.”
“Das ist aber wichtig. Reiß dich zusammen. Will oder wird?. Wer hat dein Gesicht zerkratzt?”
“Wird. Aber das Gesicht konnte er mir nicht zerkratzen, weil ich die Scheibe schnell zuziehen konnte. Er hat die Scheibe zerkratzt.”
“Wer hat dir die Scheibe zerkratzt und will mir ins Hirn pissen?”
“Der Stiefvater. Er sagt er sei der Stiefvater von Jacqueline. Und das du seine Familie zerstört hast.”
“Gib mir deinen Revolver Hark.” Bernd war zu Hark in die Nachbarkolonie gefahren.
“Gib mir deinen Revolver, ich werde bedroht. Mit dem Leben. Man plant mir ins Hirn zu pissen. Ich muß zur Zeitungsbude. Da werde ich bedroht. Mit dem Leben.”
„Gib mir achtzig Mark,” sagte Hark ungerührt, ”dann geb ich dir den Revolver.”
“Ich hab kein Geld hier, ich bring es dir später.”
“Hol Geld aus der Zeitungsbude, dann geb ich dir den Revolver.”
“Ich brauche das Geschütz um zur Bude zu fahren, nicht nachdem ich in der Bude war.”
“Hol das Geld aus der Bude. Dann geb ich dir den Revolver. Dann kannst du öfter zur Bude fahren.”
Bernd fuhr unbewaffnet zum Kiosk.
“Er wollte mir das Gesicht zerkratzen,” jammerte Anja aufgelöst. “Er sagt, du hast seine Familie zerstört. Und das er dir ins Hirn pissen will.“ “Will oder würde?”
“Ich weiß nicht.”
Sie fügte hinzu :” Ich kann hier nicht bleiben. Ich darf nicht für dich leiden. Wo du Familien zerstörst.”
“Gib mir die Kanone,” sagte Bernd, wieder bei Hark. “Und Munition. Gib mir Gas.”
“Munition?, du kannst Gas oder Knallpatronen laden.”
“Gib mir Gas. Jacqueline sagt der Wichser hat einen großen Schäferhund der bissig ist, und den er immer auf die Leute hetzt bevor er ihnen ins Hirn pissen tut.”
“Ich hab kein Gas. Ich hab auch keine Knallpatronen. Nun hab ich auch keinen Revolver mehr. Hau ihm das Ding quer über die Rübe. Schwer
genug ist es ja. Um in die Zeitung zu kommen.”
“Der Wichser hat einen großen Schäferhund der schwarz ist und beißt,” sagte Jacqueline, “er hetzt ihn gern auf die Leute und schlägt sie dann zusammen, wenn sie sich in die Hose gepißt haben. Mich beißt der Hund nicht. Er heißt Hasso.”
“Fein,” sagte Bernd, ”was schleppst du mir für familiäres Pack ins Haus.”
Hark war der hilfreiche Geist, der im Wedding eine Hinterhofgarage mit Schwarzarbeit betrieb und Bernds Mietwagen am Laufen hielt. Er beulte auch Beulen aus und pustete mit seiner Spritzpistole über alles auf das man mit spitzem Finger hinwies. Wenn er schweißte, Unterboden schweißte, war es ratsam, nach dem Feuerlöscher Ausschau zu halten.
“Wenn der schweißt”, bemerkte Backe des Öfteren treffend,” brauchst du neue Sitze. Der wird noch das Viertel abfackeln. Der Pfuscher.”
Anja, die Freundin von Köwenick war für Frau Schacke eingesprungen, die sich zur Ruhe gesetzt hatte. Der Einarmige war gefeuert und durch den Rentner Weber ersetzt worden, der sich Mühe gab und Ordnung hielt und später sich das rechte Bein amputieren ließ, weil er Raucher war.
“Ich finde jetzt überall teure Magazine zuhause”, sagte Köwenick. “Playboy, Twen und so. Zahlt sie die auch?” Bernd wußte nicht, ob Anja die teuren Magazine bezahlte.
Der Umsatz der Spätschicht ging rasch zurück, um unaufhaltsam zu verkümmern.
“Was ist mit dem Nachtumsatz,” fragte Bernd Anja,” das ist nur noch die Hälfte von normal.” Schon bei der vorigen Inventur zum Jahreswechsel hatte sich ergeben, daß nur die Hälfte des ernsthaft zu vermutenden Warenbestandes tatsächlich vorhanden war. Die Zeitungsbude war ein Sack mit Flöhen ohne Schnur für die Kontrolle.
“Er war wieder da,” sagte Anja eine Woche später, ”ich soll dir ausrichten, daß du seine Familie zerstört hast und das er dir in das Hirn pissen wird.”
Ich muß mir eine Gaspatrone für den Revolver kaufen gehen. Schrieb Bernd auf seinen Memozettel.
“Was für eine Familie,” fragte Bernd abends Jacky als sie von ihrem verzehrenden Job als Krankenschwester in einem Krankenhaus in Charlottenburg, das keins war und in dem hinfällige Leute zum Sterben ausgelegt wurden, in das Zimmer kam, in dem sie jetzt lebten.
“Was für eine Familie. Bist du seine Familie? Gewesen?”
“Nicht im Traum, er hat mir immer Geschenke gemacht. Kleine Geschenke.”
“Und warum will er mir ins Hirn pissen?”
“Weil er mir immer Geschenke gemacht hat.”
“Er hat Jacqueline immer Geschenke gemacht,” sagte Uta, ihre leibliche Mutter zu Bernd, als dieser sie das nächste Mal sexuell befriedigte. “Kleine Geschenke. Er war mein Ehegatte. Er hat
Hausverbot.” “Warum?” “Weil er Jacqueline immer Geschenke gemacht hat.”
“Das ist gründliche Arbeit.” Köwenick war auf den Anruf Bernds gekommen, den Schaden zu betrachten. “Da muß jemand Groll gegen dich hegen.”
Die große, dicke, neue Wohnzimmerscheibe hatte ein Loch durch das jemand von draußen den schweren Alabaster - Krieger, der im Garten wohnte, geworfen hatte. Paneelteile waren von einer Wand gerissen, die Haustür zertrümmert. Auf den Stufen zum Podest lag ein farbiges Häuflein aus Plastik und Kupfer das an die ehemalige Bohrmaschine, auf der jemand drei Stunden mit einem Vorschlaghammer gedroschen haben mußte, erinnerte. Alle Baustoffsäcke waren aufgerissen, der Inhalt sorgfältig verteilt. Fugenmittel war mit Kleidungsstücken vermengt angerührt worden. Leitungen aus der Wand gerissen. Das Klosett hatte man verschont. Eine Türzarge war herausgerissen. Der halbfertige Kamin demoliert. Sogar im Garten war gewütet worden. Wegeinfassungen aus Beton waren zertrümmert.
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