Franz Treller - Der Sohn des Gaucho

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Franz Treller

DER SOHN DES GAUCHO

Auf dem Parana

Die dunklen Wasser des Parana flossen träge dahin, und die dichten, hochstämmigen Wälder, die den Fluß zu beiden Seiten begrenzten, ließen ihn noch düsterer erscheinen. Außer dem eintönigen, dumpfen Rauschen des Wassers war nirgendwo ein Laut. Kein Fahrzeug belebte den sonst so vielbefahrenen Fluß, der auf seinem langen Lauf zahlreiche Städte berührte; der Bürgerkrieg, der nun schon seit Jahren das Land verheerte, Menschenleben und Eigentum vernichtete und blühende Provinzen verwüstete, hatte auch die mächtige, verkehrsreiche Wasserstraße vereinsamt. Die einzigen Schiffe, die jetzt dann und wann seine Fluten kreuzten, waren stark bemannte Kriegsfahrzeuge, die Soldaten und Waffen transportierten. Die Ruhe eines Friedhofes lag über den Paranaprovinzen.

Die Sonne neigte sich schon; ihre letzten Strahlen trafen zwei Männer, die auf der Lichtung einer kleinen bewaldeten Insel saßen, durch hochragende Bambusstauden und dichtes Weidengebüsch gegen jede Sicht vom Fluß aus geschützt. Zwischen den schwankenden Schilfhalmen dicht am Ufer lag ein kleines Kanu.

Die Zweige uralter Erlen und Algaroben bewegten sich flüsternd im leichten Abendwind. Der eine der beiden Männer, ein Jüngling noch, hochgewachsen und schlank, saß, mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt, den der Sturm entwurzelt haben mochte, im weichen Gras. Aussehen und Kleidung des Mannes ließen auf den ersten Blick den Gaucho erkennen, einen dieser Zentauren der Pampas, die Könige waren auf dem Rücken ihrer Pferde. Er hatte den Poncho nachlässig um die Hüften geschlungen, seine Füße waren mit jenem eigenartigen Schuhwerk bekleidet, das sich der Pampasbewohner aus der frisch abgezogenen Haut eines Pferdebeines selber anfertigt. Der breitrandige Hut beschattete ein tief gebräuntes, sauber geschnittenes Gesicht, in dessen dunklen Augen ironische Feuer blitzten.

Sein Gegenüber war ein sehr viel anderer Mann. Nichts an seinem Äußeren deutete auf den Südländer. Er war stämmig und untersetzt, breiter und schwerer gebaut als der schmale und rassige Gaucho; Brust- und Schulterumfang im Verein mit den mächtigen Armen deuteten auf erhebliche Körperkraft. Seine Haut war heller, sie wirkte unter der Luftbräunung nahezu weiß, den aus einem starken Nacken zwischen gewaltigen Schultern aufwachsenden Kopf zierte lockiges Haar von einer eigenartigen goldblonden Tönung. Man hätte dieses Haar auch rot nennen können, doch war dies ein Rot, dem die Sonne goldene Lichter aufsetzte. Man sagt, daß reiche Römerinnen dereinst solche Haarfarbe liebten. Das Gesicht des Mannes war nicht schön; es wirkte mit seiner nicht sehr hohen Stirn, der stumpfen Nase, dem breiten Mund und der stark entwickelten Kiefernpartie grobschlächtig und derb, doch sah man den klaren blauen Augen unter den buschigen Brauen sogleich an, daß Gutmütigkeit und Herzenseinfalt das Wesen des Mannes bestimmten. Der Rotkopf, nennen wir ihn immerhin so, trug die Tracht der Bootsleute, die den La Plata befahren: baumwollenes Hemd, lange Beinkleider und Baskenmütze.

Die Männer sprachen miteinander, und es war eine Art Streitgespräch, wenn auch wohl kein sehr ernsthaftes, das sie führten. Der Gaucho ließ seine dunklen Augen blitzen; sie ruhten mit etwas überlegen spöttischem Wohlgefallen auf seinem stumpferen Gefährten; er sagte:

»Du entwickelst Gedanken. Das ist ein Fortschritt, ich erkenne ihn an. Aber was soll das? Ich sage dir, Mann, laß es bleiben, es ist nicht deines Amtes, es steht dir nicht an. Überlaß mir das Geschäft, ich bin geübter darin. Unterbrich mich also nicht. Die Verhältnisse des Landes sind meine Sache, sie gehen mich an, denn ich bin erstens ein Bürger unserer glorreichen Föderation und zweitens ein viejo christiano. Beides bist du nicht, Compañero.«

Der andere bewegte mißbilligend den dicken Kopf. »Ich bin auch ein viejo christiano«, sagte er, »ein Bürger der Staaten bin ich auch, und also darf ich auch denken.«

»Dein Versuch zu denken hat dich zur Anmaßung geführt«, sagte seufzend der Gaucho, »aber ich verzeihe dir, denn du weißt nicht, was du sprichst.«

»Ist es wahr, daß deine Großmutter und deine Urgroßmutter richtige rothäutige Indianerinnen waren, Don Juan?« fragte der Rotkopf und blinzelte mit den blauen Augen. Ein flammender Blick traf ihn; ein Stolz, der nicht frei von Hochmut war, leuchtete aus dem Antlitz des Gauchos, dessen Schnitt die indianische Herkunft nicht verleugnen konnte. »Du weißt nichts von uns, rothaariger Flachkopf«, entgegnete der Jüngling. »Ja, meine Vorfahren, die glorreichen Konquistadoren, Hidalgos von ältestem kastilianischen Blut, heirateten hier eingesessene indianische Fürstentöchter; du denkst doch nicht, daß ich mich dieser Abstammung schäme?«

»Wie sollte ein Mensch sich seiner Abstammung schämen?« versetzte der Stämmige. »Leider weiß ich von der meinen so gut wie nichts. Aber wer sagt dir, daß ich nicht von Granden abstamme? Man sagt, die vornehmen Leute in Spanien hätten meine Haarfarbe. Es ist wahr: das Meer hat mich eines Tages an den Strand gespült, aber schließt das aus, daß ich ein Hidalgo aus ältestem Blut bin? Señora Pereira, meine alte schwarze Pflegemutter, hat oft das Zauberfeuer über meine Herkunft befragt, und ich sage dir, sie hat eine Krone in den Flammen gesehen.«

»Großartig!« sagte Don Juan. »Nun, wenn die phantastische Krone, die deine schwarze Pflegemutter gesehen hat, einmal auf deinem dicken Schädel sitzen sollte, dann machst du mich hoffentlich zum Gobernador in deinem Königreich, König Pati. Er lachte schallend, und der Rotblonde stimmte grinsend in seinen Heiterkeitsausbruch ein.

Pati war tatsächlich eines Tages als hilfloses Kind auf einem aus Schiffstrümmern hergestellten Floß in der Nähe von Kap San Antonio an Land gespült worden. Das Schiff, dem die Trümmer entstammten, war nie ermittelt worden. Das alte Negerpaar Pereira hatte sich des Findlings angenommen. Pati war im Hafenviertel von Buenos Aires zwischen Schwarzen und Weißen herangewachsen, hatte im Boot, beim Fischen und beim Beladen der Schiffe gearbeitet und bald eine staunenswerte Körperkraft zu entwickeln begonnen. Er führte seitdem den Namen des alten Negers, der Vaterstelle an ihm vertreten hatte und hieß offiziell Sancho Pereira; da jedoch die englischen Seeleute, die den La Plata befuhren, steif und fest behaupteten, Sancho sei unverkennbar ein Sohn der grünen Insel Eire, wurde er bald allgemein mit dem Spitznamen der Iren, Paddy, gerufen, den die spanische Zunge in Pati abwandelte.

Bei Ausbruch des Krieges mit England war Pati von der Regierung des diktatorisch herrschenden Präsidenten Don Manuel de Rosas zum Dienst auf einem Schlachtschiff gepreßt worden. Der harte Dienst behagte dem in Freiheit auf gewachsenen jungen Mann wenig; eines Nachts, während sein Schiff auf der Reede lag, glitt er an einem Tau ins Wasser und schwamm an Land. Natürlich durfte er sich nach dieser Desertion in Buenos Aires nicht mehr sehen lassen; er flüchtete, mußte aber bald darauf froh sein, in der Landarmee untertauchen zu können. Er wurde der Artillerie zugeteilt und hatte im Kriegslager den Gaucho Juan Perez kennengelernt.

Beide saßen sie nun auf einer kleinen Insel mitten im Parana und sprachen miteinander von ihren Erlebnissen. »Höre zu, Don Juan«, sagte Pati, »es wäre wunderbar, wenn du mir eines sagen könntest. Wir haben gerade einen Bürgerkrieg hinter uns, in dem eine Partei, die sich Föderalisten nennt, gegen eine andere, die sich als Unitarier bezeichnet, blutig gekämpft hat. Nun wüßte ich für mein Leben gern, was der Unterschied zwischen Föderalisten und Unitariern ist.«

»Es ist entsetzlich, was du für Fragen stellst«, entgegnete Don Juan, »aber andererseits ist es gar nicht so einfach, diese Fragen zu beantworten. Sieh mal, da sind Leute, die wollen alle Staaten unserer gesegneten Republik vom Salinas bis zum Rio Negro unter einen Hut bringen. Das sind die Unitarier. Verstehst du das?«

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