Felizia Wolf
Der Sohn des Deutschländers
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Inhaltsverzeichnis
Titel Felizia Wolf Der Sohn des Deutschländers Dieses ebook wurde erstellt bei
Anstatt Vorwort
Kapitel I
Kapitel II.
Kapitel III.
Kapitel IV.
Kapitel V.
Kapitel VI.
Kapitel VII.
Kapitel VIII.
Kapitel IX.
Kapitel X.
Kapitel I.
Kapitel II.
Kapitel III.
Kapitel I.
Kapitel II.
Kapitel III.
Kapitel IV.
Kapitel V.
Kapitel VI.
Kapitel VII.
Kapitel VIII.
Kapitel IX.
Kapitel X.
Kapitel XI.
Kapitel XII.
Kapitel XIII.
Kapitel XIV.
Impressum neobooks
Ich habe „Ja“ gesagt. Mein Freund hat mir heute das Versprechen abgerungen, ihm zu helfen. Er will seine Geschichte aufschreiben. Seine Lebensgeschichte. Jeder Mensch müsse „sich selbst finden“, sagt er, und Schreiben sei das wirksamste Mittel dazu.
„Oh je! Selbstfindung!“ Ein langgezogenes, womöglich genervtes Stöhnen war meine erste Reaktion auf seine Bitte um Hilfe. „Wenn ich sowas schon höre! Was heißt Selbstfindung eigentlich? Das klingt so schwammig, pathetisch, fast mysteriös! Und im Grunde so nichtssagend. Selbstfindung! Hattest du dich denn mal verloren? Wohin verloren? Du kannst dich ja kaum irgendwo liegen lassen haben wie einen Handschuh.“
Mein Freund denkt lange nach, bevor er mir erklärt: „Sich selbst zu finden bedeutet, ein Leben in Furchtlosigkeit zu erlangen. Furchtlos in dem Sinne, dass man eine lebensbejahende Sicherheit erreicht, und zu einer ganz und gar in sich ruhenden Persönlichkeit wird. Nur dann kann man auch allen Mitmenschen offen und liebevoll in die Augen sehen.“
„Gewaltig, was du dir da vorgenommen hast!“, spotte ich. Und ich habe meine Zweifel, dass so etwas überhaupt möglich ist. Schlieβlich ist man, wie man ist. Begriffe wie „Furchtlosigkeit“, oder „in sich ruhende Persönlichkeit“, genau wie „lebensbejahende Sicherheit“ erzeugen bei mir eigentlich nichts weiter als Ablehnung. Ich traue solchen tiefsinnigen Aussagen einfach nicht.
Ich versuche, meinen Freund zu provozieren, um seine gegenwärtig vorgetäuschte Selbstsicherheit ins Wanken zu bringen und herauszufinden, warum er es nötig hat, sich selbst zu finden.
„Wo willst du denn anfangen zu suchen? In der Kindheit? Schulzeit? Halt… da dämmert mir etwas: Du hast also in der Kirche der Mennoniten gar keine geistige Erleuchtung gesucht, sondern dich selbst! Jahrelang! Na klar! Was sollten sonst all die versuchten Glaubensexperimente, die dich am Ende kein bisschen furchtlos gemacht haben! Ha! Nichts hat dich je so unfroh und ängstlich gemacht, wie die vermeintlich „frohe Botschaft“.
Es hat funktioniert, er ist wütend: „Hör damit auf, Glauben und Evangelium lächerlich zu machen!“, sagt er unwirsch, seine Unterlippe zittert. „Du weißt genau: Meine Unfähigkeit, einfach zu glauben, was mir in der Kirche versprochen, aber auch angedroht wurde, hat mich an den Rand der Verzweiflung gebracht! Ich hatte Angst! Verzweifelte Angst vor alledem, was ich nicht verstanden habe, verzweifelte Angst vor dem Tod, der ewige Strafe bedeuten konnte. Und auch verzweifelte Angst vor dem Leben. Diese Verzweiflung verwandelte sich irgendwann in Wut und Anklagen. Erst gegen die Kirche, dann gegen ‘die Leute’ und schließlich gegen mich selbst. Reicht das?“
Ich beachte seinen Einwand gar nicht. „Da fällt mir ein“, sage ich und schaue sinnierend ins Nichts. „Was ist eigentlich mit den Frauen? Haben dich etwa die Beziehungen immer weiter von deinen eigenen Prinzipien weggebracht, sodass jetzt die Suche nach dir selbst nötig wird? Welche von beiden Frauen war eigentlich schuld? Welche hat dich von dir selbst weggebracht?“
Ich sehe, dass mein Freund blass wird vor Wut. Vielleicht bin ich zu weit gegangen. Schnell rede ich weiter, um ihn gar nicht erst zu Wort kommen zu lassen: „Oder war es am Ende der frühe Tod deiner Mutter? Dann die Auswanderung nach Südamerika, die dein Vater damals als Flucht nach vorn verstanden haben mag? Selbstfindung! Ich mag das Wort nicht. Kannst du denn nicht schlicht und einfach sagen, dass du ein zufriedener Mensch werden willst?“
Mich trifft sein verblüffter Blick. „Es so einfach auszudrücken ist mir bisher noch nicht in den Sinn gekommen.“
„Genau“, sage ich ziemlich überheblich. „Du machst dir zu viele weitschweifige Gedanken über alles. Du ‘zerdenkst’ jedes Erlebnis, jede Frage, jeden Zweifel, jede Anschauung, bis nichts mehr übrig ist, als ein wirres Durcheinander in deinem Kopf.“
„Siehst du“, sagt er grinsend, „du bist genau der Richtige, mir dabei zu helfen, meine Erlebnisse und Gedanken zu entwirren, in Texte zu verwandeln und sie dann aufzuschreiben, damit ich mich begreife und zurück zu einer ganz simplen und zufriedenen Lebensweise finden kann.“
Was bleibt mir nach dieser Feststellung anderes übrig. Ich lasse einen tiefen Seufzer los. „Es sei also. Ich schreibe auf, was du, mein Freund, erlebt und gedacht, angezweifelt und geglaubt, getan oder nicht getan hast. Warum? Weil du mich darum bittest und ich dein Freund bin.
ABER, ich nehme mir die Freiheit heraus, dich vorab zu warnen: Wir werden um die Wahrheit debattieren, auch streiten, vielleicht feilschen. Und einer wird gewinnen.“
Nun gut. Fangen wir an, mein lieber Freund Arthur. Zunächst sehe ich mich gezwungen zu wiederholen, was ich aus Erzählungen über dich weiß. Diese Fakten halte ich allerdings nur der Vollständigkeit halber fest, denn, wie du weißt, hat unsere allererste Begegnung im heißen, nordwindgepeitschten Chaco Paraguays stattgefunden. Und ich behaupte, dass mein Dasein erst dann wirklich angefangen hat, nachdem du und ich Freunde geworden waren. Allerdings ist mir bekannt, dass deine Existenz viel früher, weit weg von Paraguay begonnen hat:
Teil 1
Kapitel 1
Arthur wurde im Frühjahr 1958 in einem kleinen Nest bei Bielefeld, BRD, auf die Welt gebracht. An seine Taufe in einer kleinen evangelischen Kirche bei Sennestadt kann er sich nicht erinnern. Um den kirchlichen Segen zu seinem Dasein hatte er niemanden gebeten, man hat ihm diesen einfach aufgepfropft – das macht man nun mal so. Obwohl er vermutlich schrie, wie die meisten Säuglinge, denen ein lauwarmes Rinnsal gesegneten Wassers über die dünnen Härchen getröpfelt wird, sprach man später von einem freudevollen Fest. Und an diesem freudevollen Fest sollen folgende Familienmitglieder teil genommen haben: Seine Eltern, zwei Tanten (Schwestern seines Vaters), ein Onkel (Bruder der Mutter), ein Opa sowie eine Oma, die jedoch nicht zusammen gehörten, sondern ihrerseits Vater des Vaters und Mutter der Mutter des kleinen Arthurs waren.
Arthurs Eltern sollen angeblich glücklich miteinander gewesen sein. Ich bezweifle diese Behauptung allerdings, weil man mir außerdem erzählt hat, die Frau Mutter sei eine kränkliche Person gewesen. Und meiner Meinung nach vermittelt ein glücklicher Mensch selten das Bild einer kränklichen Gestalt. Kurz: sie starb drei Jahre nach Arthurs Taufe, auf der auch das einzige Foto, das Arthur von seiner Geburtsfamilie besitzt, entstanden ist.
Hier muss ich nachträglich einfügen: Alles Weitere, was ich über Arthurs Mutter gewusst und aufgeschrieben hatte, wurde von Arthur bei der Kontroll-Lektüre (die vermutlich täglich stattfinden wird) kurzerhand gestrichen. „Überflüssig“, war sein ganzer Kommentar!
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