“Wir wollen nach Deutschland, nicht nach Yugoslawien. Wenn wir dann heute morgen wieder zurückgekommen wären, hätten wir erneut Steuern auf Benzin zahlen müssen und Steuern auf die Steuern.”
“Natürlich.” Sagte der erste neue Beamte, ”Schmuggler müssen eine Strafsteuer zahlen. Mangelt es ihnen an Rechtsempfinden?”
“Los jetzt,” sagte Karl Hannes wutentbrannt, ”du wirst dich um unseren Kopf schwätzen.”
Die erste Herausforderung bestand in der Abfahrt vom Wurzelpass, die einer der steilsten in ganz Europa und ziemlich lang ist.
“Müßte eigentlich auch bremsen, wenn wir den Motor abstellen, geht aber nicht bei Automatic.”
Möglichst sachte fuhren sie steil bergab, im ersten Gang und mit halbdurchgetretenem Handbremsenpedal.
“Wir müssen endlich etwas zu fressen kriegen,” sagte Karl Hannes, ”mir ist schon ganz schwindelig.” “Der Mensch muß nicht jede Woche fressen,” sagte Bernd nachdenklich und konzentrierte sich auf die Abfahrt und die engen Kurven, ”wir werden anhalten und nach- schauen, ob die Hinterräder heiß werden. Nicht daß sie Feuer fangen. Oder die Bremsbeläge so stark abgenutzt werden, daß wir auf der Autobahn nichts mehr haben. Zum Bremsen.”
“So einen Scheiß hab ich auch noch nicht erlebt,” sagte Karl Hannes. ”Laß uns was zu fressen besorgen.”
Bernd hielt auf einem Stückchen Randstreifen der Strasse und sie stiegen aus, sich die Hände an den Felgen der Hinterreifen zu verbrennen.
“Mein lieber Schwan, ”zuckte Karl Hannes zurück, ”noch einen Kilometer und das fackelt alles ab. Bist du versichert?”
“Scheiß auf Versicherung. Der Esel muß nach Hause.”
“Wie weit geht das noch so steil runter? Die Kühlwassertemperatur ist auch auf rot.”
“Ich denke wir haben mehr als die Hälfte. Wir müssen das abkühlen lassen. Sowas dauert.”
Sie rupften Gras für Esek, der das Kraut gierig hinunterkaute und rauchten. Einige Autos keuchten hoch, andere kamen herunter. “Laß fühlen,” Bernd stieg aus. Die Felgen waren immer noch heiß, aber nicht so heiß, daß man sich noch die Finger verbrennen konnte.
“Fahren wir langsam weiter,” schlug Karl Hannes vor.
“Wir fahren die ganze Zeit langsam,” berichtigte Bernd ihn, ”wir sollten etwas schneller fahren, dann sind wir eher unten.”
“Denk daran, daß wir einen irre langen Bremsweg haben.”
Ein weiterer Halt wurde erforderlich. Eine weitere Stunde Wartens verging. Als sie die Talsohle erreichten, wurde es bereits düster.
“Wir müssen was zu fressen finden,” sagte Karl Hannes. ”Ich krepiere.” “Der Mensch muß nicht jede Woche fressen,” erinnerte ihn Bernd, ”laß uns aus diesem Land verschwinden. Fressen wir in ein paar Stunden wenn wir in Bayern sind.”
Weit nach Mitternacht erreichten sie die DDR Grenze bei Hof. Der Übergang Österreich Bayern war zügig und ohne Komplikationen verlaufen.
“Wird es Schwierigkeiten an der DDR Grenze geben?” Fragte Karl Hannes, aus tiefem Schlaf erwachend.
“Nach meinen Informationen nicht,” sagte Bernd, ”das Bundesagrarministerium sagte am Telephon, daß die Abnahme Verfügung Berlins ausreicht. Die hab ich.”
“Was für ein Aufwand. Der Esel muß ja mittlerweile ein paar tausender gekostet haben.”
Als die Autoschlange kurz geworden war und sie an der Reihe waren, stellten sich die Kommunisten von ihrer besten Seite vor. Ein Esel, toll, nach Westberlin, toll. Sie brachten Wasser und ein paar Scheiben Brot. Sie machten die Bahn frei und dirigierten den Wagen zu einem Gebäude abseits der Passkontrolle, in dem das Veterinäramt stationiert war. Alles ging zügig und fix über die Bühne. Bahn frei, der Esel musste aus dem Auto raus. In Westberlin.
“Hätte ich nie gedacht, daß die so freundlich sein können.” Stellte Karl Hannes fest, als sie wieder auf der Autobahn waren.
”Richtige Tierfreunde,” sagte Bernd.
In der Frühe erreichten sie Westberlin und Bernd fuhr Karl Hannes vor dessen Haustür. Zuhause angelangt wuschen er und Jacqueline, die anschließend mit dem Bus loszog, die Bude zu öffnen, den Esel, oder versuchten es jedenfalls.
“Das wird Wochen dauern,” sagte sie mit der urweiblichen Kenntnis über Hygienie, ”das ist total verfilzt und muß hundertemal gestriegelt werden.”
Bernd wusch Esek fertig, der sich der Prozedur zu entziehen trachtete und ging zu Bett. Hundemüde, völlig übermüdet, konnte er jedoch nicht einschlafen und horchte auf den Rabatz, den Esek unten im Wohnzimmer veranstaltete. Da das Fell bereits einigermaßen getrocknet war, machte er die Haustür auf und entließ den kleinen Racker in den Garten.
Mittags, als Bernd aufwachte, war Esek nirgendwo zu sehen und zu finden. Da Sonntag war, konnte die Sache nicht geklärt werden. Am Montag Vormittag rief Bernd das Tierheim Lankwitz an und erfuhr, daß der Eselhengst, umherstreunend, von der Polizei aufgegriffen und im Tierheim abgegeben worden war. Im Tierheim am Dienstag wurde Bernd von einer weiblichen Person mit strenger Blickgewohnheit empfangen.
“Wir werden den Esel nicht herausrücken und ihn hier behalten. Wir
überlegen, eine Anzeige wegen Tierquälerei und Tiermißhandlung gegen sie zu erstatten,” sagte sie, nachdem sie sorgsam Bernds Personalien aufgenommen und mit seinem Paß verifiziert hatte.
“Was reden sie da Frau,” sagte Bernd ungehalten. “Wo ist er, ich will ihn sehen.”
“Der Hengst ist auf unserer Intensivstation. Sie haben ihn verhungern und unglaublich verdrecken lassen. Sie müssen ihn monatelang an einer kurzen Kette gehalten haben.”
“Ich? Verhungert? Ich hab ihn grad geholt.” Sagte Bernd hilflos.
“Der ganze Hals ist wund und die Hufe zweigen Rehhuf Symptome. Ich sollte mich garnicht mit ihnen unterhalten.”
“Jetzt halten sie mal die Luft an.” Sagte Bernd und fühlte die aufsteigende Wut, zumal noch Pflegepersonal hinzugetreten war und ihn feindselig betrachtete. ”Ich habe den Esel vorgestern aus Yugoslawien abgeholt. Da war er noch rund und gut genährt. Daß mit dem Fell stimmt natürlich. Aber das ist nicht mein Verschulden. Er stand vier Monate in Quarantäne bei einem Bauern auf dem Lande.”
Die weibliche Person mit dem strengen Blick sah ihn mißtrauisch an, ”Entschuldigungen werden immer vorgebracht. Sie glauben garnicht wie erfinderisch die Leute sein können. Wir kennen das.”
“Es macht keine Mühe, sie von dem Gegenteil zu überzeugen. Ich werde ihnen die Einfuhrpapiere bringen. Da steht das Datum drauf. Jetzt bestehe ich darauf, meinen Esel zu sehen.”
Er wurde auf den Hof hinter dem Gebäude geführt, wo Esek, offensichtlich fidel und guter Laune in einem klinisch sauberen Stallgebäude in einem rundum gefliesten Zimmer auf Lagen von Stroh stand und damit beschäftigt war, andere Lagen von Heu zu verzehren.
“Hallo Esek,” sagte er, ”was machst du für Sachen.”
“Ist das der Besitzer?” fragte mit abschätzigem Ton eine hinzutretende Pflegerin im Overall.
Milder gestimmt und mit weniger stechendem Blick sagte die Empfangsdame, die seine Personalien aufgenommen hatte :”Sollte es sich um ein Mißverständnis gehandelt haben, sind wir dennoch nicht befugt, ihnen das Tier auszuhändigen.”
“Inwiefern?” Erkundigte Bernd sich.
“Das, was ich ihnen zuvor sagte, war keine Übertreibung. Der Hengst ist stark unterernährt und leidet an Kreislaufschwäche. Er muß unter ärztlicher Aufsicht zu seinem normalen Gewicht aufgefüttert werden. Die Hufe haben wir schon geschnitten. Eine Kreislaufstabilisierende Injektion hat er auch schon bekommen, deshalb geht es ihm gerade relativ gut.
Der Hals muß behandelt werden. Und natürlich das Fell. Der Bauch ist ein Wasserbauch. Praktisch ein Hungerödem.”
Bernd fühlte seine eigenen Felle davonschwimmen. Der Esel lebte eindeutig über Bernds Verhältnisse.
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