»Markus? Ich hasse ihn!«
»Das darfst du nicht. Er ist ein guter Mensch. Und er wird alle Hilfe brauchen, die er bekommen kann. Er und Anna.«
Aus dem Nichts erschien eine Hand, streichelte das Gesicht der weinenden Frau.
»Katrina, ich vermisse dich so.«
»Ich weiß, aber ich bin immer in deiner Nähe. Und nun, Mama, geh zurück, geh in dein Bett, schlaf. Und wenn du erwachst, vergiss nicht, dass ich bei dir bin. Tu das, was du am besten kannst. Hilf Tariq, hilf denen, die zu dir kommen.«
Das Gesicht vor ihr löste sich auf.
»KATRINA! GEH NICHT!«, rief Elisabeth, doch ein Windhauch verwehte die letzten Gesichtszüge.
Wimmernd ließ sie sich zu Boden sinken, warf sich mit dem Kopf voraus in den Schnee.
»AU! VERDAMMT!«, fluchte sie und schlug die Augen auf.
Verwirrt sah sie sich um, stellte fest, dass sie in ihrem Wagen auf dem Boden lag und sich den Kopf gestoßen hatte. Langsam richtete sie sich auf und glaubte, ein leises Lachen zu hören.
»Ja, du hast Recht, mein Kind.«
Sie stand auf, zog sich an und verließ den Wagen, sah sich um. Die Sterne verblassten langsam, die Sonne ging auf. Nach und nach verließen die anderen Frauen ihre Wagen, sahen Elisabeth und staunten. Zum ersten Mal seit langer Zeit lächelte sie wieder.
Münster, Januar 1534
Markus saß immer noch im Verlies. Die Warterei war das Schlimmste für ihn. In den letzten Wochen hatte man ihn mehrmals verhört und über die Stärke der Truppen, deren Standorte und Bewaffnung ausgefragt, aber allen dunklen Vorahnungen zum Trotz war er nicht gefoltert worden.
Der junge Soldat hatte nur das preisgegeben, was er sich gemeinsam mit Hauptmann von Waldow ausgedacht hatte. Dabei war er so nah an der Wahrheit geblieben, wie es möglich war, ohne zu viel zu verraten. Scheinbar gaben sie sich mit den Auskünften zufrieden.
Alleine die Art der Verhöre zeigte Markus, dass man nicht wirklich gut organisiert war in der Stadt. Er selber hätte keinen Moment Ruhe gegeben, bis ein Soldat der Gegenseite wirklich alles von sich gegeben hätte, angefangen von der Mannschaftsstärke bis hin zur Anzahl der Messer des Kochs und die Menge der vorhandenen Hufnägel.
Zwischendurch hatte man ihn zur Arbeit verdonnert. Zuerst hatte er Schweineställe ausgemistet, dann musste er Abfälle verbrennen. Dementsprechend roch er. Aber er war froh gewesen, für einige Stunden aus dem Dunkel des Verlieses entfliehen und sich verausgaben zu können. Seitdem lag er in den Nächten nicht mehr wach.
Die größte Überraschung war allerdings, dass Bernd Rothmann ihn persönlich befragt hatte. Dabei war es weniger um militärische Belange gegangen, sondern um Glaubensfragen. Markus hatte schnell begriffen, dass der Prediger herausfinden wollte, ob er sich wirklich taufen lassen wollte oder ob er es nur vorgab.
Dank der langen Gespräche, die er vorher noch mit Roland Braunshorn geführt hatte, war er gut vorbereitet und hatte die Hoffnung, die richtigen Antworten gegeben zu haben, doch sicher war er sich nicht. Es war möglich, dass man ihn durchschaut hatte und ihn am Ende doch an der Zinne aufknüpfen würde.
Als der Magistrat der Stadt im Dezember in einem verzweifelten Versuch, doch noch die Herrschaft in Münster zu behalten, die Täufer ausgewiesen hatte, wurde Markus im Verlies mehr oder weniger vergessen. Nur am Rande bekam er mit, wie sich die Bürger gegen diesen Entschluss zur Wehr setzten und sich die Täufer bereits nach kurzer Zeit mit einigem Blutvergießen den Weg zurück in die Stadt erkämpften.
Er schreckte auf, als sich die Tür öffnete. Einer der Wachsoldaten bedeutete ihm, dass er folgen sollte. Er wurde in einen Raum geführt, in dem ein Zuber mit dampfendem Wasser stand, auf einem Hocker lag saubere Kleidung.
»Du solltest dich baden, du stinkst zum Gott erbarmen«, grinste der Wachmann. »Aber komm nicht auf dumme Gedanken, ich beobachte dich. Wenn du fertig bist, kommt der Barbier und wird wieder einen Menschen aus dir machen.«
Markus nickte nur. Er zog sich aus und ließ sich unter lautem Stöhnen in den Zuber gleiten. Er tat so, als ob ihm alle Knochen wehtaten, damit man annahm, er wäre körperlich erschöpft. Langsam schrubbte er sich von Kopf bis Fuß, genoss das warme Wasser. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihm, dass der Himmel trüb und wolkenverhangen war. Im Anschluss daran wurden ihm die Haare geschnitten und der Bart gestutzt. Langsam fühlte er sich wieder etwas wohler in seiner Haut. Als er sich anzog, wunderte er sich über die Kleidung.
Eine weite, schwarze Hose, ein weißes Hemd, dazu ein paar Sandalen. Darüber wurde ein langes, weißes Gewand gestreift, das ihm fast bis zu den Knöcheln reichte. Es wurde ihm ein wenig unwohl.
»Ist das … ist das für meine Hinrichtung?«
Die Wache schüttelte lachend den Kopf.
»Dein Taufkleid, Bursche. Und jetzt komm, du wirst erwartet.«
Außerhalb von Münster, Januar 1534
Auf der anderen Seite der Stadt starrte Ferdinand von Ravensburg in den Schneeregen. Seine Kiefer mahlten und es brannte ihn ihm, endlich in die Stadt zu kommen und die Ketzer auf den Scheiterhaufen zu stellen. Noch nie hatte er es mit so schrecklicher Häresie zu tun gehabt, und er war zum Abwarten verdammt.
Steffan Rabensteiner zu Döhlau, wie sein Meister in eine schwarze Kutte gehüllt, stand neben ihm.
»Eminenz, darf ich etwas fragen?«
»Nur zu, mein junger Freund.«
In den letzten Wochen hatten sie nicht mehr über die Ereignisse im Dezember gesprochen. Steffan hatte die Wunden des Inquisitors versorgt, aber das, was geschehen war, blieb unter der Decke des Schweigens.
»Vergeuden wir hier nicht unsere Zeit? Seit Wochen sitzen wir hier, dort in der Stadt lebt der Teufel und wir können nichts tun. Sollten wir nicht an anderer Stelle das Werk des Herrn tätigen?«
Der Inquisitor seufzte.
»Du hast noch viel zu lernen. Wenn wir den Teufel besiegen wollen, müssen wir Geduld haben. Er sitzt dort«, er zeigte auf die ferne Stadt, »und lacht. Aber wir werden am Ende lachen, wenn er heulend und zähneknirschend im Staub liegt.«
»Aber wie wollt Ihr in die Stadt kommen? Alle Tore sind für uns geschlossen.«
»Steffan, ich habe mit Bischof von Waldeck geredet. Während wir uns auf unseren Kampf vorbereiten, zieht er weitere Truppen zusammen. Bald schon werden wir die Mauern erstürmen. Und«, er sah seinem Gehilfen in die Augen, »wir haben Spione in der Stadt. Sie werden uns zeigen, wo die Lücke ist. Dann werden wir durch die Reihen der Ketzer fahren wie der Schnitter durch die Ernte. Vertrau mir, bald werden die Scheiterhaufen brennen.«
Zu Döhlau nickte nur. In ihm brannte die Gier nach Folter, nach dem Geruch von verbranntem Fleisch, nach den Schreien der Geschundenen. Voller Ungeduld wartete er darauf, dass sich die Vorhersage, die er aus dem Mund des Inquisitors gehört hatte, erfüllen würde. Und er hoffte, dass er auch Markus bald auf der Streckbank sehen würde. Für ihn hatte er sich etwas ganz Besonderes ausgedacht. Für ihn und die rothaarige Hexe.
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