»Es betriff vor allem Anna, was wir zu bereden haben«, brummte er dumpf.
Der Gauklerfürst verdrehte die Augen.
»Kommt mir jetzt nicht damit, dass Ihr Anna freikaufen wollt! Das Gespräch können wir uns sparen.«
Markus zuckte zusammen, verbiss sich allerdings jeden Kommentar. Stattdessen packte von Waldow Silvanus am Kragen.
»Silvanus, mir reicht es jetzt mit Euren Spielchen.« Er ließ ihn los, atmete deutlich hörbar aus. »Nein, so gerne ich das tun würde, darum geht es nicht. Und, so ungern ich es zugebe, ich brauche Eure Hilfe. Und die von Anna und einigen Eurer Leute.«
Silvanus blinzelte verwirrt.
»Sollen wir etwa wieder mal Gräben ziehen und Mauern bauen, so wie in Wien?«
»Nein. Wie wäre es, wenn Ihr mir zuhört, bevor Ihr sinnlos daherplappert?« Conrad erläuterte Silvanus, was Anna und Markus sich ausgedacht hatten. Langsam dämmerte es dem Gauklerfürsten, dass von Waldow sich wirklich in einer prekären Lage befinden musste, wenn er sich ausgerechnet von ihm Hilfe erbat. »Und es soll auch Euer Schaden nicht sein«, schloss der Soldat seine Ausführungen ab.
»Und das hat Anna sich ausgedacht?«
Silvanus war erstaunt. Er hatte der Rothaarigen nicht zugetraut, dass sie zu solchen Ideen fähig wäre. Doch es zeigte ihm auch, dass sie schlauer war, als er es für gut empfand.
»Ja, es ist ihre Idee«, erwiderte Markus, konnte ein wenig Stolz aus seiner Stimme nicht verbannen.
»So so«, brummelte Silvanus. Er überschlug seine Möglichkeiten. Lehnte er ab, würde er sofort und auf der Stelle den Schutz durch die Soldaten verlieren. Von Waldow hatte es zwar nicht gesagt, aber das brauchte er auch nicht. In dem Fall würde er sofort weiterziehen müssen, denn alleine durch die Tatsache, dass auch von Ravensburg in der Nähe war, wurde die Gefahr zu groß. Aber umsonst würde er es nicht machen.
»Also, was sagt Ihr«, weckte ihn der Hauptmann aus seinen Überlegungen. Der Gauklerfürst lehnte sich mit einem jovialen Grinsen zurück.
»Ihr sagtet etwas, das wie ›Entschädigung‹ klang.«
Anna hielt sich die Hand vor den Mund, um das Kichern, das ihr in der Kehle aufstieg, zu unterdrücken. Sie hatte genau gewusst, wie das Zauberwort lautete. Von Waldow blickte finster.
»Ist das alles, was für Euch wichtig ist? Nicht, dass sich Anna und einige Eurer Leute in Lebensgefahr begeben könnten?«
»Ach was, die können alle sehr gut auf sich aufpassen. Aber Ihr habt Recht, das muss ich bei der Entschädigung berücksichtigen. Was, wenn ich eine meiner besten Hu… ich einen meiner besten Akrobaten verliere? Wer ersetzt mir den Schaden?«
Markus ballte die Hände zu Fäusten. Am liebsten wäre er Silvanus an die Gurgel gegangen dafür, dass er von Anna sprach wie von einem Stück Vieh. Doch von Waldow sah ihn nur an, und er entspannte sich wieder. Conrad trat ganz dicht an Silvanus heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Das ist nicht Euer ernst«, fauchte der empört.
»Doch, Silvanus. Das ist es!«
Der Gauklerfürst biss sich auf die Unterlippe, dann flüsterte er etwas ins Ohr des Hauptmanns. Der schüttelte den Kopf.
»Indiskutabel!«
So ging es eine Weile hin und her, bis sie sich die Hände reichten. Dann sah von Waldow Markus an. »So, Markus. Jetzt müssen wir noch überlegen, wie wir es genau machen und euch alle auch wieder an einem Stück aus Münster rausholen.«
Münster, September 1533
Anna klopfte das Herz bis zum Hals. Heute musste sie sich ganz allein auf den Weg in die Stadt machen, und diesmal wollte sie alles, nur nicht auffallen.
Sie trug ein helles, leichtes Leinenkleid, hochgeschlossen bis hinauf zum Hals, die langen roten Haare versteckte sie züchtig unter einem Tuch. Die paar Strähnen, die sich darunter hervorgestohlen hatten, waren stumpf und staubig. Tatsächlich hatte Anna sich, nachdem sie ihre Verkleidung angelegt hatte, in einer staubigen Ecke gewälzt, damit es so aussah, als sei sie schon seit längerem unterwegs.
Ihr Plan ging auf. In der Masse der Reisenden, die auf Münster zustrebten, achtete niemand auf sie, der Strom der Menschen spülte sie einfach an den Stadtwachen vorbei durchs Tor. Während einige Männer angehalten und nach ihrem Begehr in der Stadt gefragt wurden, streiften die Soldaten Annas junges, schmutziges Gesicht nur mit einem kurzen Blick und ließen sie passieren.
In der Stadt zerstreuten sich die Massen ein wenig, strebten in verschiedene Gassen davon, aber es achtete immer noch niemand auf Anna, als sie weiterging.
Ihre Befürchtung, man könne sie wegen des Auftritts vor zwei Tagen wiedererkennen, erwies sich als vollkommen unbegründet. In ihrem farblosen Kleid sah sie aus wie alle anderen auch.
Einen erleichterten Seufzer unterdrückend schritt Anna beherzt aus, dem Prinzipalmarkt entgegen. Wenn sie in der Stadt Fuß fassen wollte, erfahren wollte, was vor sich ging, brauchte sie als erstes Arbeit, und zwar nicht irgendwo!
Sie hatte die ganze Nacht mit Markus geredet und Pläne geschmiedet, ihn von der Stadt, in der er schon seit Wochen immer wieder Patrouille ging, erzählen lassen, hatte alle Informationen, die er ihr hatte geben können aufgesaugt wie ein Schwamm.
Sie fühlte sich gut vorbereitet und wusste, was sie tun musste. Aber zu ihrem Plan gehörte leider nicht nur Vorbereitung, sondern auch eine gehörige Portion Glück!
Den Prinzipalmarkt zu finden war ein Kinderspiel. Auch dort summte es von Menschen, Händler verkauften ihre geschmuggelten Waren im Schatten des St.-Paulus-Doms, Kinder lachten, Frauen zankten. Der Platz war das pulsierende Herz der Stadt.
Anna ließ die Blicke schweifen, entdeckte das mehrstöckige, reich verzierte Rathaus mit seinem Bogengang, der sich an den übrigen Gebäuden, die den Markt einschlossen, fortsetzte. Drei Gebäude weiter entdeckte die Rothaarige, wonach sie gesucht hatte. Ein schmiedeeisernes Schild mit einem Krug zierte die Taverne ›Zum Krug‹. Markus hatte berichtet, dass es das teuerste Gasthaus in der Stadt war. Zu teuer für Handwerker, Händler und Reisende. Hier verkehrten die Ratsherren und Patrizier, die reichen Kaufleute und der Adel.
Hier wurde nach Ratssitzungen und Abstimmungen hitzig weiterdiskutiert, hier wurden die tatsächlichen Entscheidungen in Münster getroffen.
Genau der richtige Ort für Annas Vorhaben!
Flink überquerte sie den Marktplatz, wollte gerade nach dem Türgriff der Taverne greifen, als der Eingang mit einem lauten Poltern aufflog und eine blonde Frau mittleren Alters hindurchtaumelte, das Gleichgewicht verlor und stürzte.
»VERSCHWINDE HIER, DU HURE, UND LASS DICH NICHT MEHR BLICKEN! DAS IST EIN ORDENTLICHES HAUS«, brüllte ihr eine wütende Männerstimme hinterher.
Die so gedemütigte Frau erhob sich ächzend und fluchend, klopfte den Staub von ihrer Kleidung und richtete ihr Mieder, das ihren üppigen Busen ein wenig zu weit nach oben schob.
»Blöder Hund, blöder«, hörte Anna sie schimpfen. »Soll nur mal sehen, ob er eine andere findet, die ihm für so wenig Geld die ganze Arbeit allein schafft … braucht er sich doch nicht wundern, wenn ich mir ein Zubrot verdiene …«
Wütend stapfte die Frau davon. Anna wusste, dass es keine bessere Gelegenheit als diese mehr geben würde und betrat die Gaststube des ›Kruges‹. Es war eindeutig, dass dieser keine Spelunke war. Buntglasfenster ließen warmes Licht in den blitzsauberen Raum, statt dem üblichen strohbedeckten Sandboden gab es hölzernes Parkett, das wie die Tische blank poliert worden war.
Ein vornehm gekleideter Mann erhob sich von seinem Tisch und setzte seinen Hut auf.
»Das Frühstück war wie immer hervorragend! Und endlich seid ihr dieses schreckliche Weib losgeworden! Die drängte sich ja auf, man konnte kaum in Frieden essen!«
Der Wirt, ein hochgewachsener, drahtiger Mann, der den Mangel an Haaren auf seinem Kopf mit einem prächtigen, bereits ergrauten Bart wettmachte, der ihm fast bis zum Bauch hinunterreichte, stand am Tresen und wischte Gläser trocken. Er brummte unwirsch.
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