Von Ravensburg stand auf, hielt sich an der Wand fest, alles um ihn herum schien zu schwanken. Er öffnete die Tür des Wagens, sah hinaus in die Nacht.
»STEFFAN!«, rief er in die Dunkelheit.
Es dauerte nicht lange, bis sein treuergebener Gehilfe sich näherte.
»Ihr habt nach mir gerufen, Eminenz?«
»Ja, komm herein, ich brauche deine Hilfe.«
Steffan Rabensteiner zu Döhlau betrat den Wagen und wandte sich beschämt ab, als er sah, dass der Inquisitor nackt vor ihm stand.
»Was … was kann ich für Euch tun, Eminenz?«
In seiner Magengrube machte sich ein unangenehmes Gefühl breit. Verstohlen sah er auf die aufgerichtete Männlichkeit des Inquisitors und er schluckte. Wollte von Ravensburg etwa …? Nein, sagte er sich. Das konnte er sich nicht vorstellen. Aber was wollte er? Da sah er das Blut auf dem Boden und die blutverschmierte Lederpeitsche.
»Ich will, dass du mir hilfst, mit unserem Schöpfer zu reden. Zu viel lastet auf meiner Seele, die Teufel wollen sich ihrer bemächtigen. Du musst sie vertreiben.« Er nahm die Peitsche, drückte sie dem verwirrten jungen Mann in die Hand, kniete sich vor seinen kleinen Altar. »Schlag zu.«
Steffan wog die Peitsche in der Hand.
»Eminenz, ich kann Euch nicht schlagen.«
»TU ES!«, befahl von Ravensburg barsch. »Tu es um unser beider Seelen Willen.«
Zu Döhlau trat einen Schritt zurück, hob die Peitsche und schlug zu. Das Leder schnitt in die Haut des Inquisitors, der nicht einmal zuckte.
»Was soll das? Du schlägst wie ein Mädchen. Ich habe nichts gespürt. Fester!«
Erneut holte Steffan aus, schlug mit aller Kraft zu. Das Blut spritzte förmlich aus der Wunde.
»JA! HERR! ERHÖRE MICH! ERLEUCHTE MICH!«
Steffan geriet in eine Art Blutrausch. Wieder und wieder schlug er zu. Das Leder klatschte auf den Rücken des knienden Inquisitors, der laut betete, bis er schließlich zusammensackte und zuckend auf dem Boden liegen blieb. Erst da hörte zu Döhlau auf, sah neugierig auf seinen Anführer hinunter. Dieser hatte seine Gliedmaßen nicht mehr unter Kontrolle, sie zuckten, schlugen aus. Dabei brabbelte er auf Latein vor sich hin. Mit großen Augen sah Steffan, wie der Inquisitor sich ergoss, wie er sich mit den Fingernägeln die Haut von der Brust riss. Angewidert wandte er sich ab, wollte aus dem Wagen.
»Mein Sohn, wo willst du hin?«
Steffan fuhr erschrocken zu Ferdinand von Ravensburg herum, der ihn mit weit offenen Augen ansah. Ganz ruhig lag er jetzt da. Doch es war nicht die gewohnte Stimme, mit der er sprach.
»Ich … ich dachte, Ihr wollt jetzt alleine sein.«
»Nein, mein Sohn. Höre meine Worte, präge sie dir ein: Du musst meinem Diener Ferdinand zu Ravensburg treu zur Seite stehen. Es werden Dinge geschehen, die er alleine nicht bewältigen kann. Doch du bist seine Hand, sein Arm. Du wirst die richten, die er dir zuführt. Sei du auch mein Arm. Ich werde dich führen, dich leiten. Und du wirst schauen die Herrlichkeit, du wirst stehen an der Spitze derer, die da kommen, um zu trennen die Gerechten von den Ungerechten, die dir zeigen, wer die falschen Propheten sind.«
»Ja Herr«, murmelte zu Döhlau und sank demütig auf die Knie. »Doch wer seid Ihr?«
»Ich bin der, der gekommen ist, um zu sterben. Der, der die Sünden der Welt auf sich genommen hat. Und der, der wiederkehren wird, um den Gerechten den Weg ins Himmelreich zu zeigen.«
Zu Döhlau bekreuzigte sich.
»Herr, verzeiht mir meine Zweifel.«
»Du bist jung, du hast noch viel zu lernen. Stehe meinem Diener zur Seite und du wirst aufgenommen in das Heer derer, die ich senden werde.«
»Ja Herr.«
Ein Zittern ging durch den Körper des Inquisitors, er blinzelte.
»Steffan? Was machst du hier?« Heiser kam die Frage über die trockenen Lippen. »Gib mir bitte zu trinken.«
Zu Döhlau sprang auf, nahm den Krug mit Wasser und goss dem Inquisitor einen Becher ein, den dieser in einem Zug leerte.
»Ihr habt mich gerufen, Herr.«
»Ich erinnere mich nicht.«
»Eminenz, dann wisst Ihr auch nicht, was Ihr zu mir gesagt habt, als Ihr auf dem Boden lagt?«
Von Ravensburg blinzelte verwirrt.
»Ich weiß nur, dass unser Herr in mich gefahren ist. Er sagte mir, ich solle nur dir vertrauen.« Er legte den Kopf schief, schlang die Arme um sich. »Es ist kalt.«
Zu Döhlau wickelte den Inquisitor in eine Decke.
»Ihr habt mit mir geredet, aber ich glaube, es war der Herr, der aus Euch gesprochen hat. Ich soll Euch zur Seite stehen, bis wir die Gerechten von den Ungerechten getrennt haben.«
»So in etwa hat er zu mir auch gesprochen.« Er rappelte sich auf, legte Steffan die Arme auf die Schultern. »Das, was hier geschehen ist, bleibt unbedingt unter uns. Das ist ein Band, das geschmiedet wurde von unserem Herrn.«
»Ja, Eminenz.«
»Gut, mein treuer Freund. Nun lass mich alleine. Ich werde beten.«
Im Gauklerlager, Neujahr 1534
Elisabeth lag wach auf ihrem schmalen Bett, wälzte sich von einer Seite auf die andere. Jedes Mal, wenn der Schlaf begann, sie zu übermannen, sah sie das Gesicht von Katrina vor sich.
Sie sah die wächsern-bleiche Haut, die Augen blutunterlaufen, das Wasser lief ihr aus den nassen Haaren über das Gesicht.
»Mama, warum? Ich habe nichts Unrechtes getan. Warum musste ich so jung sterben?«
Wieder und wieder sah Elisabeth, wie der Inquisitor an ihrer Tochter die Hexenprobe vornehmen ließ, die ihre Unschuld bewies. Allerdings war das Ergebnis das Gleiche, als wenn man sie verurteilt und verbrannt hätte. Sie war tot. Ertrunken. Gemeuchelt.
Die Tränen liefen heiß über Elisabeths Gesicht.
»Katrina. Es tut mir leid.«
Sie gab sich selber die Schuld an dem, was geschehen war. Wäre sie nicht so vehement gegen die Beziehung zum Schönen Albrecht gewesen, hätte sie ihrer Tochter erlaubt, sich mit ihm im Wagen zu treffen, dann wäre sie nicht verhaftet worden. Und der grausame Tod hätte sie möglicherweise nicht ereilt.
Elisabeth stand auf, zog sich nur einen Mantel über ihr Nachthemd und eilte aus dem Wagen. Der kalte Wind, der an ihren Haaren zog, machte ihr nichts aus. Sie spürte nicht, wie ihre Füße im kalten Schnee versanken.
Wie in Trance durchquerte sie das Lager, strebte dem nahen Wald entgegen, aus dem ihr Katrina entgegensah.
»Ich komme, mein Kind«, flüsterte sie, beschleunigte ihre Schritte. »Bald sind wir wieder vereint.«
»Nein, Mama. Nicht. Es ist nicht Recht. Du musst leben.«
Elisabeth stockte.
»Warum? Ohne dich ist alles sinnlos.«
»Nein, Mama. Es ist nicht sinnlos. Sag das nicht.«
»Doch. Ich bin schuld an deinem Tod.«
»Das stimmt nicht. Nur ich bin schuld. Ich hätte auf dich hören sollen. Albrecht hat mir den Kopf verdreht, mir eingeredet, dass er mich liebt. Und, was hat er getan, als uns die Soldaten erwischten? Er ist feige davongelaufen und hat mich im Stich gelassen. Du hattest Recht, Mama. Er war es nicht wert, meine Jungfräulichkeit an ihn zu verschwenden.«
Elisabeth blieb stehen, nur wenige Schritte trennten sie noch von dem Wald. Nur wenige Minuten noch von ihrer letzten Reise, die sie anzutreten gewillt war.
»Aber was soll ich hier noch?«
»Mama, glaub mir, du wirst wieder glücklich werden. Nicht hier, nicht jetzt. Aber es wartet etwas auf dich.«
»Was? Sag es mir, Katrina.«
»Das darf ich nicht, Mama. Aber ich darf dir sagen, dass du nicht zu streng mit dir sein darfst. Und du sollst Markus nicht dafür verdammen. Er ist ein Opfer, so wie ich eines war, wie du eines bist. Und doch, er ist am Ende der Schlüssel. Vertrau mir. Hilf ihm.«
Elisabeth zuckte zusammen. Ausgerechnet Markus, der Mann, der als Gehilfe des Inquisitors dafür gesorgt hatte, Leid und Elend über die Truppe zu bringen.
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