Er trat einen Schritt nach vorne. Dunzweiler legte eine Hand auf die Astheimers.
»Nun gut, für den Moment werden wir uns zurückziehen.«
Langsam gingen sie rückwärts, bis sie weit genug entfernt waren, und sahen dem immer kleiner werdenden Markus nach, der von den Wachen in die Stadt gezerrt wurde.
»Gott sei mit dir, Markus«, murmelte Bachmüller, bevor sie sich abwandten.
W
Hauptmann von Waldow saß in seinem Zelt. Zum wiederholten Mal fragte er sich, ob sie nicht ein zu großes Risiko eingingen, doch ohne die Informationen, die sie dringend benötigten, würde es beinahe unmöglich sein, die Stadt zu Fall zu bringen. Dazu nur die kargen Nachrichten, die er über die Grimaldinis erhielt. Es schien schwierig zu sein, sich in Münster frei zu bewegen, und die Menschen waren misstrauisch und sprachen in der Öffentlichkeit nicht viel.
Er erinnerte sich an Wien, wo sie trotz erheblicher Unterzahl die Stadt gegen die Sarazenen erfolgreich verteidigt hatten. Es war immer schwieriger, eine gut verteidigte Stadt zu erobern als sie zu halten, rief er sich ins Gedächtnis.
Bischof von Waldeck hatte zähneknirschend dem Plan zugestimmt und versprochen, die erforderliche Summe, die von Waldow dem Gauklerfürsten zugesichert hatte, aufzubringen. Gleichzeitig zog er immer mehr Truppen rund um Münster zusammen.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis es zu offenen Kampfhandlungen kommen würde. Er schrak auf, als Astheimer in das Zelt trat.
»Auftrag ausgeführt, Hauptmann. Er ist in Münster.«
»Gut«, nickte von Waldow. »Ich hoffe, wir müssen ihn nicht an der Mauer hängen sehen.«
»Oh, Markus ist pfiffig, er weiß, was er tut«, bekam er als Antwort.
»Das stimmt«, musste der Hauptmann zugeben. Er hatte kein gutes Gefühl bei der ganzen Sache. Aber nach wie vor sah er keine andere Möglichkeit. Er brauchte Markus’ militärischen Verstand in der Stadt, um wirklich zu wissen, ob sich die Stadtbefestigung überwinden ließ, wo es vielleicht eine Lücke gab, die man ausnutzen konnte.
Astheimer nickte noch einmal, dann ließ er von Waldow alleine mit seinen Gedanken.
Münster, Oktober 1533
Markus wurde unter strenger Bewachung durch die Stadt geführt. Man hatte ihn gründlich durchsucht und ihm das Messer, das er bei sich trug, abgenommen. Mehr an Waffen hatte er nicht bei sich, auch wenn er viel lieber sein Schwert mitgenommen hätte. Unauffällig hatte er sich umgesehen. Einmal, da war er sich ziemlich sicher, hatte er einen roten Haarschopf gesehen und einen Blick auf sich gespürt und wusste, dass es Anna gewesen war. Das gab ihm Hoffnung.
Ziemlich unsanft wurde er in ein Verlies gestoßen. Der Anführer der Wachmannschaft, die ihn eskortiert hatte, sah ihn mit blitzenden Augen an.
»Egal, ob du für oder gegen uns bist. Du hast deine Männer im Stich gelassen. Dafür gehörst du aufgehängt! Und genau das würde ich am liebsten mit dir machen. Aber wir haben Order, jeden Soldaten, den wir zu fassen kriegen, am Leben zu lassen, damit er befragt werden kann.« Er beugte sich ein wenig vor. »Und zu gerne würde ich dich befragen und alles aus dir rauskitzeln, bevor ich dich an der Zinne baumeln lasse.«
Damit ließ man Markus alleine. Mit dem Anführer der Wachmannschaft hatte er sich einen ersten Feind geschaffen, den er nicht unterschätzen durfte. Doch er war zuversichtlich. Um Anna machte er sich immer noch Sorgen. Sie musste alleine zurechtkommen, bis es ihm gelang, sich frei durch Münster zu bewegen.
W
Wie jeden Tag öffnete sich die Tür zum ›Krug‹ pünktlich zum Mittagsläuten, und Christian Gehring, der älteste Sohn des Wirtes Thomas, trat ein. Anna hatte sein Mittagessen bereits vorbereitet und trug es zusammen mit einem Krug dunklen Bieres an den Lieblingstisch Christians.
Schmunzelnd setzte der Mann sich hin, nickte anerkennend.
»Dich einzustellen war die beste Entscheidung, die mein Vater in den letzten zehn Jahren getroffen hat, Anna! Du leistest hervorragende Arbeit!«
Anna knickste leicht und senkte bescheiden den Kopf.
»Danke, Herr!«
Dann kehrte sie zum Spülbecken hinterm Tresen zurück, fuhr fort, die Weingläser der vornehmen Herrschaft zu polieren, und spitzte die Ohren. Es war Freitag, und da tagte der Stadtrat, in dem Christian einen Sitz hatte. Thomas lehnte sich interessiert über die Theke.
»Lass hören, was macht der Stutenbernd?«
Seit Bernd Rothmann das Abendmahl nur noch mit Weißbrot feierte, wurde er im Volk hinter vorgehaltener Hand und nicht ohne Belustigung ›Stutenbernd‹ genannt, aber seit einigen Wochen wurden jene, die lachten, immer leiser. Christian fuhr sich missmutig durch den Bart. Genau wie sein Vater machte er den Mangel an Haaren auf dem Kopf am Kinn wett, nur war sein Bart noch nicht ergraut, sondern kräftig braun.
»Er redet immer mehr von der Erwachsenentaufe, verkündet, die Kindstaufe wäre falsch. Und das nicht nur in seinen Predigten in der Kirche, er hat dasselbe heute auch vorm Rat erklärt. Die Leute werden immer unruhiger. Ich sage dir, Vater, bald passiert hier in der Stadt etwas.«
Anna merkte sich jedes Wort genau. Es wurmte sie, dass sie nicht alles verstand. Dass die Gehrings Lutheraner waren, und das mit Leidenschaft, hatte sie begriffen. Es gab kaum noch Katholiken in Münster, nur noch der Dom und die Klöster der Stadt waren katholisch, die sechs Pfarrkirchen lutheranisch. Darauf hatte man sich zu Beginn des Jahres geeinigt.
Was genau das bedeutete, wusste Anna nicht. Sie hatte bei den sonntäglichen Messebesuchen nur festgestellt, dass es in den Pfarrkirchen keine Heiligenbilder mehr gab. Sie war nie sonderlich religiös gewesen, daher war ihr weder der Unterschied zwischen den Katholiken und den Lutheranern klar, noch inwiefern sich das, was Rothmann mittlerweile predigte, von der Lehre der Lutheraner unterschied. Sie wusste nur, dass es deswegen in der Stadt brodelte.
Umso genauer musste sie zuhören und alles genau so, wie es gesagt worden war, weitergeben. Sollte sich Hauptmann von Waldow darüber den Kopf zerbrechen, was davon wichtig war!
Eigentlich lag ihr etwas ganz anderes im Magen, aber sie wagte nicht, danach zu fragen. Als Christian von alleine davon anfing, hielt sie den Atem an.
»Dieser Soldat, den sie als Deserteur verhaftet haben, sitzt immer noch im Gefängnis. Er redet genau dasselbe wie Rothmann, will unbedingt getauft werden! Ich befürchte, er wird der erste werden, den Rothmann hochoffiziell zu Gott bringt!«
Anna schlug das Herz bis hinauf in die Kehle. Sie hatte die Stadtsoldaten Markus durch die Straßen zerren sehen, dass er sich kaum auf den Beinen hatte halten können. Seither befürchtete sie jeden Tag, ihn auf dem Schafott entdecken zu müssen. Als sie nun Christian Gehring reden hörte, platzte es aus ihr heraus.
»Ihr meint, er wird hingerichtet?«
Erstaunt sahen Christian und Thomas sie an, und dann lachte der jüngere Mann.
»Nein, Kleine! Rothmann wird ihn taufen! Nicht heute und nicht morgen, aber irgendwann wird er ihn für seine Zwecke benutzen!«
Außerhalb von Münster, Weihnachten 1533
Ferdinand von Ravensburg kniete nackt in seinem Wagen vor dem gekreuzigten Jesus. Der Wind pfiff, ließ das Gefährt erzittern. Es war bitterkalt, aber er spürte die Kälte nicht. Im Gegenteil, der Schweiß rann ihm in Strömen über den Körper. Wieder und wieder schlug er mit der Lederpeitsche über seine Schultern, geißelte sich, fügte sich den Schmerz zu, der ihm dabei half, dem Herrn nahe zu sein. So redete er sich es jedenfalls ein.
Das Blut rann ihm über die Hüften, tropfte zu Boden, gemischt mit dem salzigen Schweiß, der zusätzlich in den Wunden brannte. Dabei murmelte er unablässig Gebete, bis er für einen Moment innehielt.
»Es reicht nicht«, sagte er leise. »Meine Sünden lasten zu schwer auf mir. Herr, vergib mir, ich habe gegen deine Gebote verstoßen.«
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