Als die Tür sich schloss, sah Rothmann aus dem Fenster, dachte nach. In der Tat strömten sehr viele Menschen nach Münster. Sehr viele stammten, wie auch Beukelszoon, aus den Niederlanden, wo sich die Wiedertäufer bereits sehr viel weiter ausgebreitet hatten. Ihr Führer dort war Jan Matthys, von dem es hieß, dass er beileibe kein Pazifist war. Im Gegenteil, man sagte, er wäre bereit, zu den Waffen zu rufen. Der Prediger schüttelte den Kopf.
»Ach, was mache ich mir Gedanken. Gott wird es richten und mir den rechten Weg weisen.«
Mit diesen Worten machte er sich daran, seine Predigt weiter auszuarbeiten, und hatte den jungen Mann aus den Niederlanden bald vergessen.
Wittenberg, August 1533
Martin Luther saß mit einigen Studenten in der Küche seines Hauses. Seine Frau hatte ihnen einen Eintopf bereitet, den sie schweigend zu sich nahmen. Als sie ihre Schüsseln geleert hatten, sah einer der Studenten, ein junger Mann mit einer Narbe quer über die Wange, Luther an.
»Verzeiht mir, aber darf ich Euch eine Frage stellen?«
Luther hob die Augenbrauen. Es war mittlerweile schon eine Institution, dass er einmal die Woche mit einigen Studenten ein Mahl zu sich nahm und danach mit ihnen theologische Fragen erörterte.
»Sicher, das ist doch einer der Gründe, weshalb wir uns hier treffen und das Brot miteinander brechen.«
»Ich danke Euch. Sagt, ich habe so viel von den Anabaptisten gehört und auch Eure Schriften dazu gelesen.«
»Dann dürfte Euch meine Haltung dazu bekannt sein.«
»Gewiss, dennoch: Wie sollte man mit ihnen verfahren? Sind sie nicht, wie wir auch, an einer Erneuerung der Kirche interessiert? Stellen sie nicht auch die Lehren infrage?«
Luther fühlte, wie sein Gesicht sich erhitzte, wie er rot wurde.
»Erneuerer? Diese Anabaptisten sind nichts anderes als ekelhafte, widerliche Ketzer!«
Die anderen Studenten saßen stumm am Tisch. Diese Diskussion schien interessant zu werden. Der junge Mann mit der Narbe sah dem Reformator offen in die Augen. Er war nicht zufrieden mit der Antwort.
»Sind wir das in den Augen der katholischen Kirche nicht auch?«
»Es ist ein Unterschied, dem Volk den Glauben und das Wort Gottes nahebringen zu wollen oder aber es mit Predigten, die völlig absurd sind, erneut in eine Abhängigkeit zu treiben.«
»Warum Abhängigkeit? Verzeiht mir meine Hartnäckigkeit, aber ich möchte es verstehen. Ich glaube, es sind viele, die den Unterschied nicht begreifen. Warum ist die eine Reformation gut, während die andere in Euren Augen Ketzerei ist?«
Luther war verblüfft. Einer seiner eigenen Studenten wagte es, an ihm zu zweifeln, an dem, was er sagte, Kritik zu üben. Ein seltener Vorgang, aber eine äußerst willkommene Gelegenheit, den Studenten eine Lehre zu erteilen.
»Seht, die Lehren dieser Anabaptisten unterscheiden sich in grundlegender Form von dem, was wir als die Wahrheit Gottes verstehen. Und vor allem erkennen sie das von Gott gegebene Verhältnis zwischen Obrigkeit und Volk nicht an. Sie stellen sich über ihre Herren, rufen das Volk zum Widerstand gegen die Obrigkeit auf. Das alleine ist schon Ketzerei.«
»So ist das Vergehen der Anabaptisten im Grunde genommen, dass sie die Ordnung, die wir kennen, umstoßen wollen, das Volk über die Herrschaft stellen?«
»So kann man es ausdrücken, mein junger Freund.«
Der junge Mann nickte.
»Und wie soll man, Eurer Meinung nach, mit ihnen verfahren?«
»Das ist einfach: Sie sind zu behandeln wie gemeine Verbrecher, wie ein Mörder, ein Kinderschänder, ein Dieb.«
»Ihr seid also der Meinung, sie gehören, wenn nötig, auf das Rad geflochten?«
»Es ist alles zu tun, um dieser Plage Herr zu werden. Und da ist jedes Mittel Recht. So, wie man mit den Juden und Hexen verfahren sollte, so ist auch mit den Anabaptisten zu verfahren. Beantwortet das deine Frage?«
Der junge Mann senkte den Kopf in Demut.
»Ja, ich danke Euch.«
Vor den Toren Münsters, August 1533
Markus’ ehrliche Sorge rührte Anna. Als er sich besorgt an ihr Bett setzte, griff sie nach seiner Hand.
»Ich kann dir leider nicht sagen, welcher Münsteraner mich mit seinem Stein getroffen hat! Ein faules Ei wäre mir deutlich lieber gewesen.«
Elisabeth betrat den Wagen mit einer Schüssel Wasser und sauberen Tüchern. Ihre Miene verfinsterte sich, als sie Markus sah. Sie hatte seine Beteiligung an den Vorgängen, die zum Tod ihrer Tochter geführt hatten, nicht vergessen.
»Da schau her, der Hexenjäger ist wieder da!«
Er schluckte trocken, erwiderte aber nichts. Er sah nur Anna an.
Die Erinnerung an die Zeit in Ravensburg würde er zu gerne auslöschen, aber er wusste, sie würde ihm für den Rest seines Lebens begleiten. Nicht jeder konnte ihm seine Fehler verzeihen. Das musste er akzeptieren.
Anna biss sich auf die Unterlippe. Sie hätte sich gerne vor Markus gestellt, wusste aber, dass Elisabeth kein Argument gelten lassen würde. Zu schwer lastete der Tod ihrer Tochter auf der Seele der Hebamme. Anna entschied sich für ein halbes Lächeln.
»Lässt du uns bitte für einen Moment allein, Elisabeth? Danke für deine Hilfe, aber es geht mir schon besser!«
Markus sah Elisabeth nach, die ihn mit einem letzten Blick, aus dem Blitze schossen, bedachte und dann den Wagen verließ. Er seufzte.
»Hört das nie auf? Erzähl mir, was geschehen ist.«
Anna setzte sich vorsichtig auf, schloss einen Moment die Augen, bis sich der Raum nicht mehr um sie herum drehte, und zuckte die Schultern.
»Wir waren nicht sonderlich willkommen in Münster! Zugegeben, es gibt immer Moralapostel, die uns ›Unehrliche‹ nicht in ihrer Nähe haben wollen, aber dass die ganze Stadt ›Sünder‹ schreit und uns mit Steinen bewirft, habe ich noch nie zuvor erlebt! Und dabei dachte ich, die Protestanten wären offener als die anderen!«
Er hielt ihre Hand, biss sich auf die Unterlippe.
»Anna, so sehr ich mich freue, dich zu sehen, ihr hättet nicht herkommen dürfen. Von allen Städten im Reich ist Münster wohl im Moment diejenige, um die ihr den größten Bogen schlagen solltet.«
Er erklärte in kurzen Sätzen die Lage und endete damit, dass er auch die Anwesenheit von Ferdinand von Ravensburg erwähnte.
»Ich rechne damit, dass hier bald ähnliche Zustände wie in Wien herrschen werden, nur dass wir dieses Mal die Angreifer sind.«
Annas Augen wurden immer größter, als sie die Zusammenhänge begriff. Plötzlich schien alles glasklar.
»Silvanus ist absichtlich hergekommen!« Vermutlich hatte er nicht gewusst, dass sein Halbbruder hier sein würde, aber alles andere konnte er sich, falls er es nicht von Reisenden ohnehin gehört hatte, zusammenreimen. »Soldaten wollen Huren. Vielleicht hofft er sogar, aus einem Angriff auf die Stadt Profit schlagen zu können.«
Sie hatte nicht vergessen, dass aus Wien mit der Gauklertruppe der Domschatz verschwunden war. Markus fluchte leise.
»So ein Lump. Jetzt hat er allerdings das Problem, dass ihr in der Stadt nicht gern gesehen seid. Also kann er nicht damit rechnen, dort Vorstellungen zu geben. Und hier bei uns gibt es nicht genug zu verdienen.« Er kratzte sich am Kinn. »Trotzdem haben wir noch ein anderes Problem. Wir haben keine Ahnung, was in der Stadt wirklich vor sich geht. Wir wissen nicht, wie viele wehrfähige Männer sie haben, wie sie bewaffnet sind. Ob sie nur über Heugabeln verfügen oder sogar über Arkebusen.«
Annas grünblaue Augen musterten ihn ungläubig, und, wie Markus zu erkennen glaubte, fast ein wenig spöttisch.
»Ihr habt keine Verbündeten in der Stadt? Nicht einen einzigen Spion? Irgendetwas macht ihr falsch, Soldat!«
»Ja, das kann sein. Aber wir sind auf so etwas nicht vorbereitet gewesen. Unsere Ausbildung war nur darauf gerichtet, Schlachten zu schlagen, nicht eine Stadt zu belagern. Wir haben darin keine Erfahrung, im Gegensatz zu den kaiserlichen Truppen. Und dann haben wir den Fehler gemacht, uns zu oft in der Stadt selber zu bewegen, jetzt wissen sie, wie wir aussehen. Einfach jemanden in Bauernkleider zu stecken und reinschicken, das wird nicht klappen.«
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