Markus grinste. Langsam gewöhnte er sich an die liebevoll gemeinten Frotzeleien.
»Viel gefehlt hat nicht, Hauptmann.«
»Nun denn, du hast ja heute dienstfrei bis Mittag, oder?«
»Ja, aber ich muss mit Euch reden.«
»Dann komm rein. Um was geht es denn?«
Markus holte tief Luft.
»Wir wissen immer noch nicht genau, was in der Stadt vor sich geht.«
Langsam, er wählte seine Worte mit Bedacht, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, dass er möglicherweise über militärische Belange mit Zivilisten geredet hatte, erläuterte er, was Anna ihm letzte Nacht vorgeschlagen hatte. Von Waldow hörte stumm zu, dann grinste er.
»Wie wahr es also ist: Im Bett einer schönen Frau gibt es keine Geheimnisse.« Er zwinkerte Markus zu. »Du vergisst, dass ich nicht gerade im Suppenkessel über den Main geschwommen bin. Aber keine Sorge, das sind keine militärischen Geheimnisse. Das kann jeder erkennen, der weiß, dass man aus drei Pfund Fleisch ne recht gute Suppe kochen kann.« Er wurde ernst. »Ich weiß aber nicht, ob mir die Idee gefällt. Und auf keinen Fall lasse ich zu, dass Anna alleine in die Stadt geht.«
»Das habe ich auch gesagt.« Er zögerte einen Moment. »Wir werden mehrere der Gaukler brauchen.«
Von Waldow legte den Kopf schief.
»Nicht nur, oder? Komm schon, raus mit der Sprache. Du willst doch auch rein, oder?«
Markus nickte.
»Ja, und ich weiß auch wie. Das bedarf allerdings einiger Planung. Und vorher müssten wir mit Silvanus reden, ob er bei der Sache mitmacht. Wenn nicht, ist alles andere sinnlos.« Er holte Luft. »Und ich bin der Meinung …«
»Anna, komm schon rein. Ich weiß, dass du draußen bist«, unterbrach von Waldow ihn in diesem Moment mit einem Grinsen. »Wann wolltest du mir sagen, dass wir einen Lauscher haben?«
Anna huschte ins Zelt und lächelte von Waldow an. Der betrachtete ihr Gesicht, die verkrustete Wunde an ihrer Schläfe und schüttelte den Kopf.
»Ich habe schon gehört, was passiert ist. Und du willst trotzdem deinen Kopf riskieren? Ist dir klar, was passiert, wenn die da drin«, er wies mit dem Zeigefinger der rechten Hand in Richtung Stadt, »merken, dass du spionierst? Wir haben dich in Wien beschützt, dich in Ravensburg gerettet. Ich kann dir nicht garantieren, dass wir es ein drittes Mal schaffen.«
Anna schluckte trocken. Von Waldow hatte ihr gerade mit wenigen Worten verdeutlicht, dass sie dieses Abenteuer durchaus mit dem Leben bezahlen könnte. Aber einen Rückzieher würde sie nicht machen. Sie riskierte jeden Tag ihr Leben, wenn sie als Gauklerin durchs Land zog.
»Hauptmann, bei allem Respekt: Ich möchte auf diese Weise einfach meine Schulden bei Euch zahlen! Ihr habt mir das Leben gerettet und dafür bin ich dankbar. Und nicht nur mir. Sondern mehr oder weniger der gesamten Truppe. Es wird Zeit, dass wir Euch das vergelten. Lasst uns zu Silvanus gehen und mich mit ihm reden. Er wird zustimmen. Er hat keine andere Möglichkeit.«
Sie zögerte einen Moment, denn Markus hatte eine Kleinigkeit noch nicht erwähnt.
»Und wo wir gerade von Schulden reden: Wenn Ihr bereit seid, nun ja, Silvanus zu entschädigen, wird er zustimmen. Er wird Euch mit Sicherheit vorrechnen, was ihm verloren geht, wenn die Frauen nicht …«
Sie musste nicht erklären, was sie meinte, es war offensichtlich. Von Waldow sah erst Markus an, dann wieder Anna.
»Nun gut. Ich sehe schon, hier haben sich zwei Dickköpfe gefunden, wie es sie selten gibt. Gott möge mich vor euren Kindern bewahren, wenn es mal welche geben sollte.« Er grinste, dann gürtete er sein Schwert. »Dann wollen wir mal dem größten Halunken, den ich kenne, einen Besuch abstatten und über die Höhe der ›Entschädigung‹ reden.«
W
»Wir müssen weiterziehen!«
Silvanus sah mit wachsender Ungeduld Caspar Meisner nach, der an der Feuerstelle der Gaukler hin und her lief wie ein gefangenes Tier. Er hatte in der Mittagshitze sein Hemd abgelegt, und sein muskulöser Oberkörper wies an mehreren Stellen große, blutunterlaufene Stellen auf, an denen er von den Wurfgeschossen der Münsteraner getroffen worden war. Silvanus trat an den Kessel, in dem eine dünne Suppe über dem Feuer blubberte, und starrte hinein.
»Wir können nicht weiterziehen!«
»DAS MÜSSEN WIR!«
In einem plötzlichen Wutausbruch stieß Caspar das ganze Gestell, an dem der Topf hing, um. Die Suppe ergoss sich ins Feuer und erstickte die Flammen. Mit blitzenden Augen und geballten Fäusten trat er an Silvanus heran, der nicht einmal zurückwich. Mit leicht erhobenen Augenbrauen hielt er dem Blick des jungen Akrobaten stand. Hinter ihm standen schon der starke Adam und Wilhelm Haas, bereit, einzugreifen falls Caspar die Beherrschung vollends verlor. Auch dessen Brüder hatten sich erhoben. Beide hielten den Atem an. Sie wussten, dass Caspar kurz vor der Explosion stand, besonders, da Anna bei dem Aufruhr in der Stadt verletzt worden war. Der junge Blonde zitterte am ganzen Körper, aber er schrie nicht mehr.
»Du warst nicht dabei, Silvanus! Sie haben uns aus der Stadt gejagt wie streunende Köter! Ich dachte, sie reißen uns in Stücke! Wir können in Münster nicht auftreten!«
Es zuckte nur kurz im Gesicht des Gauklerfürsten.
»Ich habe auch nicht gesagt, das wir das tun werden! Zugegeben, ich habe nicht erwartet, hier auf so große Ablehnung zu stoßen, aber wir werden trotzdem nicht weiterreisen. Wir haben kein Geld und keine Vorräte mehr. Wie willst du die Truppe versorgen, mit Jagen und Fischen? Bis zur nächsten Stadt sind wir verhungert! Nein, wir bleiben hier!«
»Und tun was?«, zischte Caspar erbost.
Wieder wollte er einen Schritt auf Silvanus zu machen, aber diesmal hielten Moritz und Valentin ihn an den Armen zurück, damit Silvanus’ Leibwächter nicht vollendeten, was die Münsteraner begonnen hatten.
»Willst du nur für die Soldaten auftreten? Die haben nach spätestens einer Woche die Nase voll, und nur von den Einnahmen der Dirnen können wir auch nicht leben, das weißt du genau!«
Tatsächlich war die Gruppe darauf angewiesen, in mindestens ein vornehmes Haus am Ort eingeladen zu werden, sei es wegen der Hübschlerinnen oder ihrer Vorstellung. Bisher war das auch immer passiert. Hier war eine solche Einladung äußerst unwahrscheinlich! Silvanus ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Er lachte spöttisch.
»Mein lieber Caspar, mir scheint, du bist erst seit gestern dabei! Tu nicht so, als ob du nicht wüsstest, was wir für Möglichkeiten haben! Wir tarnen uns. Wir verkleiden uns als Bettler. Wir schleichen in die Stadt, und während einer vorn etwas erbettelt, schneidet der andere hinten die Geldkatze ab! Wenn wir es richtig anstellen, haben wir innerhalb einer Woche genug erbeutet, um verschwinden zu können!«
»Ich will mal so tun, als hätte ich das nicht gehört!«
Conrad von Waldows strenge Stimme ließ den Gauklerfürsten herumfahren. Markus’ Hauptmann stand mit verschränkten Armen und missbilligendem Gesichtsausdruck hinter ihm, im Schlepptau Markus und Anna.
Mit dröhnendem Gelächter trat Silvanus auf von Waldow zu und hieb ihm auf die Schulter. Jeder andere Mann wäre unter dieser Begrüßung wohl zusammengebrochen, aber der großgewachsene Hauptmann geriet nicht einmal ins Wanken.
»Hauptmann von Waldow«, trompetete Silvanus und schob den Soldaten gönnerhaft näher an das erloschene Feuer und den umgestürzten Suppenkessel. »Welch Glanz in unserer bescheidenen Runde! Tretet doch näher! Ich würde Euch etwas zu Essen anbieten, aber wir haben nicht mehr viel!«
»Macht Euch keine Umstände. Können wir uns ungestört unterhalten?«
Silvanus verzog keine Miene, bat den Hauptmann und Markus in seinen Wagen. Als er Anna nicht eintreten lassen wollte, zog von Waldow sie einfach wortlos mit hinein.
Читать дальше