1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Die Familie schwieg eine Weile, als hätte der Vorschlag sie sprachlos gemacht.
„Wie stellst du dir das vor?”, fragte Müriel schließlich. „Was sollen wir gegen ihn ausrichten können?”
„Er ist viel größer als wir”, sagte der Mäusevater.
„Und böse!”, sagte Miller.
„Und er kann Feuer spucken”, sagte Mintz.
„Aber vielleicht”, warf Zwick ein, der wie immer die meiste Zeit geschwiegen hatte, „hat er Angst vor uns.”
Die anderen starrten ihn an.
„Wie kommst du darauf?”, fragte Halbschwanz. Er reckte sich und ließ die Muskeln spielen. „Das ist eine interessante Theorie.”
Zwicks Ohren zuckten nervös. „Na, überlegt doch mal! Die vielen Fallen. Das ist doch nicht normal. Keiner stellt sich so an wegen ein paar Mäusen im Keller. Wir haben uns doch gar nicht mehr im Haus sehen lassen seit Agaskar da ist. Trotzdem will er uns ausrotten. Es muss was dahinterstecken.”
Mäuse-Mina überlegte. „Vielleicht hat er irgendwas vor. Hier im Haus. Und Mäuse stören ihn dabei.”
Zwick lachte wegwerfend. „Wie könnten wir ihn stören? Er sieht uns ja nicht mal. Mäuse gibt es überall. Solange die Menschen uns nicht sehen, pfeifen sie drauf. Nee, nee, ich glaube, der fürchtet sich. Vielleicht ekelt er sich so vor Mäusen, dass er den Gedanken an sie nicht ertragen kann.”
„Das wäre eine Unverschämtheit!”, rief Mintz gekränkt. Alle wussten, dass sie sich für eine sehr attraktive Maus hielt.
„Ja”, sagte Zwick. „Aber vor allem könnten wir das gegen ihn verwenden, um ihn zu vertreiben.”
„Du hast Recht, Zwick!”, rief Mäuse-Mina aufgeregt. „Wenn wir ihm klar machen könnten, dass er uns nicht los wird, haut er vielleicht ab.” Sie lachte humorlos. „Wir haben die falsche Taktik angewandt. Statt uns zu verstecken, sollten wir uns so oft wie möglich zeigen.” Sie räusperte sich zerstreut. „Ich meine natürlich, ihr solltet euch zeigen.”
„Das ist aber gefährlich”, sagte der Mäusevater zögerlich. „Wir alle möchten, dass Agaskar verschwindet, aber wir sind nur wenige Mäuse, und er hat gezeigt, dass er skrupellos ist.”
„Genau”, sagte Miller. „Ich zeig mich nicht.”
„Also, ich mach mit!”, rief Halbschwanz.
„Ja ja”, brummte Mintz. „Du bist immer vornean, wenn´s gefährlich wird. Aber ist es dann soweit, erweist du dich als ziemlich vorsichtig.”
„Na und? Ich bin ja nicht blöd!”
Mintz wollte zu einer Antwort ansetzen, aber in diesem Augenblick klopfte es an die Kellertür.
Alle sahen erschrocken die Treppe hinauf. Die Türklinke wurde vorsichtig heruntergedrückt, ein heller Spalt tat sich auf, und dahinter lauerte ein schwarzer Schatten.
Mäuse-Mina sprang auf. Sie wedelte mit den Händen, um die anderen dazu zu bringen, sich in die Gänge zu verziehen, aber bevor die Mäuse losrennen konnten, sagte der Schatten oben an der Tür: „Mäuse-Mina? Bist du da?”
Sie blieb verblüfft stehen.
„Hannes?”, fragte sie.
Die Tür öffnete sich ein Stückchen weiter, und der Junge steckte seinen Kopf durch den Spalt.
„Hallo.”
„Was willst du denn hier?”, fragte Mäuse-Mina. Noch nie war eins der Schulkinder zum Haus gekommen. Sie fand es unerhört. Und sie genierte sich auch ein bisschen.
„Ich ... ich muss mit dir reden.”
„Wer ist denn das?”, fragte der Mäusevater.
„Ein katzenhaariger Blödmann”, sagte Mintz.
„Sind da Mäuse bei dir?”, fragte Hannes. „Es piepst so.”
„Ja”, sagte Mäuse-Mina. „Meine ganze Familie ist hier.”
„Oh.”
Hannes kam langsam die Treppe herunter.
„Sollen wir abhauen?”, fragte Müriel.
Mäuse-Mina winkte ab. „Mit dem werd ich schon fertig. Keine Ahnung, was er hier will.”
Hannes sah sie befremdet an. „Redest du wieder mit den Mäusen?”
„Wieso?”, fragte sie spitz. „Das geht doch gar nicht. Total plemplem. Haha.”
Hannes rieb sich verlegen an der Kellerwand. „Na ja. Ist ja auch komisch. Aber wenn du sagst, du kannst es, wird es wohl so sein.”
„Was willst du?”
„Agaskar”, sagte Hannes.
„Was ist mit ihm?”, fragte Mäuse-Mina vorsichtig.
„Das mit dem Feuerspucken und so.”
„Ist mir egal, ob du´s glaubst. Ich hab´s inzwischen selbst gesehen.”
„Ich glaube es.”
„Wieso auf einmal?”
„Pass mal auf”, sagte Hannes. Er machte den Mund auf, sog die Luft ein und rülpste dann lautstark.
Die Mäuse kicherten. Mäuse-Mina sah den Jungen pikiert an. Aber dann entdeckte sie eine kleine Rauchwolke, die aus seinem Mund kam. Es war eher wie ein Faden, der sich zwischen seinen Lippen herausschlängelte.
„Rauchst du?”, fragte sie. Sie hatte gelegentlich ältere Kinder in den Ecken des Schulhofs heimlich Zigaretten rauchen sehen. Aber warum führte Hannes ihr das vor? Wollte er angeben?
Sie schnaubte verächtlich. „Find ich blöd. Hier stinkt´s sowieso schon genug nach Rauch.”
„Das kommt nicht von Zigaretten”, sagte Hannes unglücklich. „Das kommt von selbst!”
„Was?” Mäuse-Mina sah ihn verwirrt an.
„Seit ein paar Tagen. Immer wenn ich aufstoßen muss, kommt Rauch aus mir raus. Nur ein bisschen, so wie eben. Aber das kann doch gar nicht sein. Da ist doch kein Feuer in mir drin!” Er schaute Mäuse-Mina verzweifelt an. „Oder?”
„Du meinst”, fragte sie vorsichtig, „das hat mit Agaskar zu tun?”
Hannes zuckte die Achseln. „Seit wir geredet haben, hab ich keine Lakritze mehr von ihm genommen. Sicherheitshalber. Kam mir doch irgendwie unheimlich vor. Aber die anderen haben jeden Tag davon gegessen. Und sie wurden auf einmal so ... komisch.”
„Was heißt das?”
„Sie redeten kaum noch. Bekamen im Unterricht den Mund nicht auf, die Lehrer waren schon ziemlich sauer. In den Pausen stellten sie sich nur an den Zaun und warteten auf Agaskar. Stopften seine Lakritze in sich rein. Dann standen sie nur rum und kuckten finster. Oder grinsten sich gegenseitig an, auf ´ne fiese Art. Einmal hab ich Jörg gefragt, was los ist. Du weißt schon, der Blödmann, der uns neulich entdeckt hat. Erst hat er nichts gesagt. Nur gekuckt. Hab richtig Angst gekriegt. Dann hat er auf einmal den Mund aufgemacht und ...”
„Und was?”
Hannes Stimme zitterte. „Er hat Feuer gespuckt. Er hat mir Feuer ins Gesicht gespuckt. Meine Nasenspitze ist immer noch ganz rot verbrannt.”
Mäuse-Mina sah sich seine Nase an. Sie war tatsächlich rot. Weiße Hautfetzen pellten sich ab.
„Dann ist dieser Jörg wie Agaskar”, sagte sie. „Ich hab ihn vorhin erst Feuer spucken sehen.”
Hannes nickte. „Er hat nichts gesagt. Nur gegrinst. Sie grinsen alle so. Ich glaub, sie sind jetzt alle wie Agaskar. Ich hab Angst vor ihnen.”
Mäuse-Mina schwieg höchst beunruhigt. Sie hatte geahnt, dass Agaskar etwas vorhatte, aber sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Warum spuckten die Kinder jetzt auch Feuer?
„Die Lakritze”, sagte Hannes.
„Was?”
„Ich glaub, es ist die Lakritze. Wer sie isst, fängt an, Feuer zu spucken.”
Mäuse-Mina nickte. „Könnte sein. War mir gleich nicht geheuer, das Zeug. Aber wozu soll es gut sein, dass die Kinder Feuer spucken können? Was hat Agaskar davon?”
„Keine Ahnung”, sagte Hannes. Er sah sie ängstlich an. „Glaubst du, ich werde auch anfangen Feuer zu spucken?”
Mäuse-Mina zuckte mit den Achseln. „Vielleicht hast du Glück gehabt, weil du nicht so viel davon gegessen hast wie die anderen.”
„Aber der Rauch!”, rief Hannes. „Da kommt Rauch aus mir raus. Ich hab Angst, dass da ein Feuer in mir ist und mich verbrennt.” Seine Stimme klang erstickt. Er wandte sich ab.
Mäuse-Mina schwieg verlegen.
„Den anderen scheint es nichts auszumachen”, sagte sie schließlich.
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