1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Nach Plan hatten sich die Mäuse rund ums Haus verteilt, um aufzupassen, wann Agaskar zurückkam. Alles war vorbereitet. Die Aktion Wohnungsdurchsuchung konnte beginnen.
Mäuse-Mina stieg die Außentreppe nach oben und erreichte die ebene Erde. Drüben am Zaun des Schulhofes entdeckte sie Hannes. Er stand dicht neben einem Baumstamm, der ihn vor Blicken aus dem Schulgebäude abschirmte. Mäuse-Mina musste heftig winken, bevor er sie bemerkte. Er schaute etwas verwirrt, sprang dann aber über den Zaun und kam zum Haus gelaufen, wobei er angestrengt vor sich hin starrte. Er sah völlig verfroren aus, die Schultern eng zusammengezogen, die Lippen blau.
„Mensch, wird auch Zeit”, sagte er bibbernd. „Mir ist saukalt. Außerdem hatte ich die ganze Zeit Angst, dass mich einer der Lehrer sieht. Bin nach der letzten Pause nicht mehr zurückgegangen.”
„Ging nicht eher. Agaskar ist gerade erst abgehauen.”
Hannes sah zweifelnd zu den Fenstern des Hauses hoch. „Bist du sicher, dass er weg ist?”
Mäuse-Mina nickte. „Die Mäuse passen auf, falls er zurückkommt.”
Durch den Keller gingen sie zur anderen Seite des Hauses und erreichten von dort das Treppenhaus. Mintz folgte ihnen.
„Sag dem Blödmann, er soll aufpassen, wo er hintritt”, murrte sie, nachdem sie ein paar Mal nur knapp einem verhängnisvollen Unfall unter den Schuhsohlen des Jungen entgangen war.
„Tschuldigung”, sagte Hannes, als Mäuse-Mina die Beschwerde ihrer Schwester weitergab.
Vorsichtig stiegen sie die Steintreppen hinauf. Überall lagen Dreckklumpen, vor langer Zeit festgetrocknet. Vertraute Wegzeichen. Mäuse-Mina kannte jedes einzelne von ihnen. Es war ihr Terrain, und sie war wütend auf Agaskar, weil er ihr das alles so fremd gemacht hatte.
„Er muss verschwinden“, dachte sie. „Er hat hier nichts zu suchen.“
„Ziemlich schmutzig hier”, sagte Hannes.
Es klang ein bisschen von oben herab, und Mäuse-Mina ärgerte sich.
„Na und?”, sagte sie. „Bist wohl gewohnt, dass deine Mutti immer alles schön sauber putzt, was?”
Hannes wurde rot. „Pff!”, machte er. „Ist eben nicht jedermanns Sache zwischen Dreck und Mäusen zu leben.”
Unter eisigem Schweigen erreichten sie die dritte Etage und standen vor der Tür zu Agaskars Wohnung.
„Und wie kriegen wir die nun auf?”, fragte Hannes quengelig.
„Weiß ich auch nicht”, sagte Mäuse-Mina schlecht gelaunt. „Vielleicht liegt hier irgendwo der Schlüssel.”
Eine Fußmatte gab es nicht. Mäuse-Mina ließ Hannes eine Räuberleiter machen und untersuchte die obere Kante des Türrahmens. Auch dort wurde sie nicht fündig.
„Schöner Mist!”, sagte Hannes und stieß mit dem Fuß gegen die Tür.
Sie klapperte im Rahmen und schwang dann mit einem leisen Klicken auf.
„Der hat gar nicht abgeschlossen!”, rief Hannes.
Mäuse-Mina kam sich ein bisschen dumm vor. „Darauf soll man nun kommen”, brummte sie. „Der scheint sich ja sehr sicher zu fühlen.”
Vorsichtig schoben sie die Tür weiter auf und betraten den Flur der Wohnung. Unzählige Mausefallen stapelten sich an den Wänden bis zur Decke hinauf.
„Igitt!”, rief Mintz. „Der hat ja einen Vorrat für hundert Jahre! Das kann ja heiter werden ...”
„Ungefährlich”, sagte Mäuse-Mina nach einem Blick auf die Fallen. „Keine ist scharf gemacht. Du kannst reinkommen.”
Mintz trippelte unbehaglich im Flur hin und her. „Passt auf, dass keine dieser Höllenmaschinen zufällig auf mich drauf fällt!”
Mäuse-Mina betrat den Raum links vom Flur. „Komm erst mal hier rein. Hier sind keine Fallen.”
Es handelte sich um die Küche, zu erkennen an einem alten kaputten Herd, bei dem die Kochplatten herausgerissen waren, und einer Spüle, über die sich Spinnweben spannten. Ansonsten war das Zimmer leer. Die Wände waren fleckig und in den Ecken an der Decke ein bisschen schimmlig.
„Sieht nicht so aus, als ob Agaskar die Küche benutzt”, sagte Hannes. Er betrachtete seine Fußspuren im Staub.
„Hier funktioniert sowieso nichts”, sagte Mäuse-Mina. Sie drehte den Wasserhahn der Spüle auf. Es kam nicht einmal ein Tropfen heraus, aber mehrere aufgescheuchte Spinnen krabbelten ärgerlich in den Abfluss.
„Wo kriegt er Wasser her?”, fragte Hannes.
Mäuse-Mina zuckte die Achseln.
„Wo kriegst du Wasser her?”, fragte Hannes.
„Aus der Schule. Ich hol es mir immer am frühen Morgen, bevor sie geöffnet wird.”
Sie gingen quer über den Flur in das größte Zimmer. In dessen Mitte befand sich die Feuerstelle, wie Mintz sie der Familie beschrieben hatte.
Hannes riss die Augen auf. „Mann! Der macht hier ja richtig Feuer! Ist der verrückt? Der brennt noch das Haus ab.”
Über den verkohlten Holzscheiten im Steinkreis hing an einem Gestell ein großer schwarzer Kessel. Tüten mit Zutaten lagen überall herum. Mehl. Zucker. Ein Krug mit wabbeligem Zeug. Und ein weiterer, dessen Inhalt scharf und würzig roch. Der Geruch nach Verbranntem und Lakritze vermischte sich mit dem von kalter Asche. Mäuse-Mina kam er vor wie ein dicker Brei, der sich auf Mund und Nase legte. Sie fand es eklig.
In den Ecken standen ganze Batterien von Plastikflaschen.
„Das beantwortet die Frage nach dem Wasser.”
„Der haust ja wie im Wald”, sagte Hannes. Er hob eine Papiertüte auf, langte hinein und zog ein Stück Lakritze heraus. Sein Gesicht verzog sich vor Abscheu.
„Siehst du den roten Strich? Ich wette, das ist Gift.”
„Oder Feuer”, sagte Mäuse-Mina. „Mintz hat gesehen, wie er Feuer auf die Lakritze gespuckt hat, bevor sie fertig zubereitet war. Hab ich dir doch erzählt.”
Hannes warf die Tüte angewidert auf den Boden. „Mir wird schlecht. Wenn ich daran denke, dass ich das gegessen habe!”
„Was hat er?”, fragte Mintz, die zwischen den Steinen der Feuerstelle herumgekrabbelt war.
Mäuse-Mina zuckte die Achseln. „Er fragt sich, warum er von dem Zeug gegessen hat.”
„Weil er ein Blödmann ist”, sagte Mintz ungerührt. „Sieht doch ein Blinder, dass Agaskar böse ist.”
Im ganzen Zimmer gab es keine Schränke, Kisten oder sonstige Behältnisse. Nur leere Wände, ehemals wahrscheinlich weiß, nun voller Rußflecken, die, ob zufällig oder nicht, an Geistergestalten erinnerten.
„Was sollen wir durchsuchen?”, fragte Hannes mürrisch. „Hier ist gar nichts.”
Mäuse-Mina sah sich ratlos um. „Ein Zimmer gibt es noch.”
Bei dem zweiten Raum handelte es sich offensichtlich um Agaskars Schlafzimmer. Auf den nackten Holzdielen befand sich ein Lager aus schmutzigen Decken. Die Fenster waren staubig und fest verschlossen, und es roch nach ungewaschenen Füßen.
„Hier ist auch nichts”, sagte Hannes. „Entweder der Kerl besitzt gar nichts oder er versteckt es woanders.”
Mäuse-Mina nickte entmutigt. Im Grunde ähnelte Agaskars Art zu leben ihrer eigenen. Auch sie besaß nichts außer dem, was sie am Leib trug, und einem Lager aus Decken. Aber woher war Agaskar gekommen? Mäuse-Mina war sicher, ehe sie das nicht herausfanden, konnten sie nichts gegen ihn unternehmen.
„He!”, hörte sie Mintz rufen. „Kuckt mal, was der hier hat!” Die Stimme der Mäusin klang dumpf.
„Wo bist du?”, fragte Mäuse-Mina.
„Unter den Decken. Es stinkt zwar widerlich, aber ich glaube, das hier wird euch interessieren.”
Mäuse-Mina zog die Decken des Lagers beiseite. „Mintz hat etwas gefunden”, sagte sie zu Hannes.
Unter den Decken gab es eine Schicht Stroh, dessen Halme sich bewegten, als Mintz sich von unten nach oben durchwühlte.
„Es ist unter diesem Zeug”, sagte sie.
Mäuse-Mina schob mit den Händen das Stroh zur Seite. Etwas Glänzendes kam zum Vorschein.
„Mann!”, rief Hannes und fegte aufgeregt noch mehr von dem Stroh beiseite. „Das ist ja Gold!”
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