Mäuse-Mina betrachtete verblüfft den Haufen von Münzen, der unter dem Stroh versteckt war. Es gab neben den goldenen auch silberne und einige, die rötlich schimmerten.
Hannes griff sich eine Handvoll und ließ sie fallen, dass es klimperte. „Das ist ein richtiger Schatz! Muss ´ne Menge Geld wert sein. Wenn Agaskar so reich ist, warum haust er dann so?”
Mäuse-Mina betrachtete die Münzen genauer. Auf den meisten waren Bilder eingeprägt. Köpfe von Männern, aber auch seltsame schlangenartige Wesen mit ausgebreiteten Flügeln.
„Hast du so was schon mal gesehen”, fragte sie.
Hannes schüttelte den Kopf. „Das muss uralt sein. Tausend Jahre. Oder zweitausend. Möchte wissen, wo Agaskar das her hat. Wenn man heute so einen Schatz findet, darf man ihn nicht einfach behalten.”
„Vielleicht versteckt er ihn deshalb, weil er ihn für sich allein haben will.”
„Weiß nicht.” Hannes wühlte zwischen den Münzen herum. „Einige haben gar keine Prägung. Sehen aus wie flache Goldklumpen. Vielleicht tauscht er die gegen Geld ein. Schließlich muss er ja die ganzen Mausefallen und Wasserflaschen irgendwo gekauft haben.”
Mäuse-Mina nickte. „Und du bist sicher, dass es kein normales Geld ist?”
„Absolut sicher. Solche Münzen gibt es bei uns nicht.” Er fühlte nach allen Seiten unter das Stroh. „Das ist ein riesiger Haufen. Warum schläft er wohl darauf? Muss ziemlich hart und unbequem sein.”
„Wahrscheinlich hat er Angst, dass es geklaut wird.”
„Und dann lässt er die Wohnungstür offen? An seiner Stelle hätte ich mir ein Vorhängeschloss gekauft. Oder wenigstens ´ne Kiste, die man abschließen kann.”
Mäuse-Mina nickte wieder. Es war merkwürdig, dass Agaskar auf seinem Schatz schlief. Als ob es ihm Vergnügen bereitete, auf seinem Reichtum zu liegen.
„Alarm!”, schrie plötzlich eine Stimme. Sie kam aus der Ecke neben der Tür. Zwick schaute aus einem offenen Rohr heraus, das von einem längst verschwundenen Heizungskörper übrig geblieben war. „Agaskar kommt zurück! Macht, dass ihr aus der Wohnung kommt. Er ist schon unten an der Tür!” Nach dieser Warnung verschwand er zurück ins Rohr.
Mäuse-Mina sprang erschrocken auf.
„Was ist?”, rief Hannes.
„Agaskar kommt zurück! Verflucht, warum kommt er so früh?”
Hannes wurde blass. „Nichts wie weg! Wenn der uns hier bei seinem Schatz findet ...”
Mäuse-Mina sammelte Mintz auf und steckte sie in eine Manteltasche. Dann folgte sie Hannes, der schon auf den Flur hinausgestürmt war. Sie fühlte sich ertappt, wie ein Dieb, und war wütend, weil sie Schuldgefühle hatte. Agaskars blödes Gold konnte ihr gestohlen bleiben. Sie wollte, dass er aus ihrem Haus verschwand. Es war ungerecht, dass sie sich wie ein Dieb vorkam. In ihrem eigenen Haus! Er war derjenige, der hier nichts zu suchen hatte!
Sie hasteten ins Treppenhaus und zogen die Wohnungstür leise zu, aber in dem Moment, in dem sie nach unten laufen wollten, hörten sie, wie die Haustür zuschlug.
„Der ist schon drinnen!”, flüsterte Hannes ängstlich.
Schritte. Jemand kam die Treppe herauf.
„Was machen wir jetzt?”
Mäuse-Mina zeigte nach oben. „Zum Dachboden!”
Leise schlichen sie die beiden Treppen hinauf und erreichten die graue Metalltür, die zum Speicher führte. Sie war offen, wie Mäuse-Mina aus Erfahrung wusste. Sie hatte den Speicher vor Jahren inspiziert, ihn für ihr Lager aber verworfen. Anders als im Keller mit seinen gewundenen Gängen war der Dachboden ein einziger übersichtlicher Raum. Man konnte sich im Notfall nirgendwo verstecken und es gab keinen Weg nach draußen, außer über das Dach. Sie hatte sich dort nie wohl gefühlt. Aber nun blieb ihnen nichts übrig. Agaskar erreichte schon den Treppenabsatz, der zur seiner Wohnung führte. Es klang fast, als rannte er.
Mäuse-Mina und Hannes ließen die Speichertür einen Spalt offen und horchten. Anscheinend war Agaskar in seiner Wohnung verschwunden, aber so eilig, dass er die Tür nicht geschlossen hatte. Sie hörten ein leises Klimpergeräusch und sahen sich entsetzt an.
„Meinst du, er hat gemerkt, dass wir an seinem Schatz gewesen sind?”, fragte Hannes verzagt.
Sie hatten hastig das Stroh wieder über den Münzen verteilt und die Decken drüber geworfen, hatten aber keine Zeit gehabt, den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen.
„Wie ist er überhaupt drauf gekommen, sofort nachzukucken?”, sagte Mäuse-Mina, mehr zu sich selbst. „Und warum ist er schon zurück? Sonst bleibt er immer Stunden weg.”
„Vielleicht überwacht er seinen Schatz. Hat ´ne Kamera versteckt oder so was.”
Mäuse-Mina schüttelte zweifelnd den Kopf. „Dann wüsste er ja, dass wir da gewesen sind.” Der Gedanke, der ihr kam, ließ sie schaudern. „Vielleicht hat er es gefühlt, als wir das Gold berührt haben.”
„Du spinnst!”, sagte Hannes. „Wie soll das gehen?”
Mäuse-Mina antwortete nicht. Sie fragte sich, ob sie es wagen konnten, nach unten zu laufen. Die Wohnungstür war immer noch offen.
Wahrscheinlich würde Agaskar bei dem kleinsten Geräusch herausgestürmt kommen, jetzt, wo er möglicherweise den Verdacht hegte, dass jemand seinen Schatz entdeckt hatte.
Aber der Dachboden war ihr unheimlich. Er war eine Falle.
Hannes sträubte sich, als sie vorschlug, über die Treppe nach unten zu gehen.
„Wie sollen wir da vorbeikommen?”, jammerte er. „Ich trau mich nicht. Wir müssen abwarten bis er abhaut oder wenigstens die Tür zumacht.”
Mäuse-Mina gab nach, obwohl sie heftige Bedenken hatte. Sie sah sich um. Der Speicher war genauso, wie sie ihn in Erinnerung hatte: aufgeteilt in mehrere Abteile aus rohen Holzgerüsten mit großmaschigen Drahtgittern, zwischen denen ein Gang zur Wand gegenüber führte. Alle Abteile waren leer und standen offen; einige Türen hingen schief in den Angeln. Die Ziegel in den Wänden waren bröckelig und sahen uralt aus. Durch die staubigen Dachluken tropfte das Licht auf zähe und graue Art herein; es beleuchtete nur die Mitte des großen Raumes ein wenig. An den Seiten, unter den Schrägwänden des Daches, klumpten sich Schatten zusammen. Mäuse-Mina mochte Schatten. Sie waren ein gutes Versteck, machten unsichtbar. Aber diese hier auf dem Speicher mochte sie nicht. Graues Licht und Staub ballten sich in ihnen zusammen. Es sah aus, als ob dort etwas herumflatterte. Gespenster, die nur hier und da kurz sichtbar wurden.
Hannes hustete unterdrückt. „Was für ´ne Luft hier!”, krächzte er. Während er den Mittelgang entlangging, wirbelten seine Schuhe zentimeterdicke Schichten von Staub auf. An der Stelle, wo es am hellsten war, blieb er stehen und sah zur Dachluke hinauf.
„Bist du schon mal auf dem Dach gewesen?”
Mäuse-Mina schüttelte den Kopf. „Wozu?“
„Vielleicht können wir da raus.”
„Wie sollen wir vom Dach runterkommen? Das wäre ziemlich gefährlich. Die Regenrinnen und Rohre sind alle verrostet. Die würden sofort durchbrechen, wenn wir sie zum Klettern benutzten.”
Entmutigt schaute sich Hannes weiter um. Vor dem hintersten Abteil auf der linken Seite blieb er stehen und deutete mit dem Zeigefinger in die Ecke zwischen Giebelwand und Dachschräge.
„Was ist´n das da?”
„Hier ist überhaupt nichts”, sagte Mäuse-Mina. „Nur Schatten und Staub.” Hannes´ Augen sahen im Zwielicht aus wie schwarze Löcher.
Meine müssen auch so aussehen.
Sie hasste den Gedanken.
„Doch! Da ist was. Sieht komisch aus.”
Mäuse-Mina runzelte die Stirn und ging zu der Stelle, an der Hannes stand.
In der Ecke des Abteils befand sich tatsächlich etwas. Obwohl in den Schatten halb verborgen, erkannte Mäuse-Mina eine Art Kasten oder ein Gerüst um eine große dunkle Öffnung herum.
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