Einem plötzlichen Gedanken folgend, ›Max fahre bitte zum Dorfkrug‹, seinen fragenden Blick beantwortete sie, indem sie zu der Uhr im Armaturenbereich zeigte. ›Inzwischen werden die Hauptakteure von heute Nacht bereits wieder bei ihrem sonntäglichen Frühschoppen im Dorfkrug sein. Wir werden nur auf die Reaktionen der Gäste achten, wenn wir von dem Tod berichten‹.
›Also darauf achten, ob jemand blass wird oder sich betont unauffällig gibt‹, sagte Max, der aus vielen Hundert Krimis die er gesehen oder gelesen hatte, wusste, wie Verdächtige sich im Regelfall verhielten.
›Genau‹, seufzte sie, wer hatte bloß diesen Intelligenzbolzen zur Kripo versetzt, oder war er die Strafe, die sich jemand für sie ausgedacht hatte. Sie brauchte nicht zu überlegen, um auf den Namen der Person zu kommen, der sie es zutraute.
Die Lautstärke überraschte sie, als sie die Türe des Dorfkrugs öffnete, auf den ersten Blick konnte man das halbe Dorf hier vermuten, einzige Voraussetzung der Gast war männlich. Die einzige weibliche Person hastete gerade mit einem Tablett voller Biergläser durch die Tische zu einem runden Tisch, auf dem ein dekoratives Schild stand, der die Aufschrift „Stammtisch“ trug.
›Sind Sie der Wirt‹, Maja Lieberknecht trat zu der Theke, hinter der ein glatzköpfiger, wohlbeleibter Mittfünfziger stand und ohne Pause den Zapfhahn bediente.
›Wer will das wissen‹, knurrte dieser, ohne den Zapfhahn loszulassen. Er blickte kurz auf, ›oh die Polizei beehrt mein Etablissement, sie kommen bestimmt wegen diesem Geldern‹.
›Woher wissen Sie vom Tod von Holger Geldern, wer hat es Ihnen erzählt‹.
›Niemand Bestimmtes, es tauchte auf wie jedes Gerücht, der flüstert dies, der andere flüstert jenes und irgendwann bestätigt sich das Gerücht, es wird sozusagen zur Wahrheit‹. Die Ironie in seiner Aussage war offensichtlich, er versuchte auch nicht, diese zu verbergen.
›Was halten Sie davon, wenn ich aus ermittlungstechnischen Gründen das Lokal schließe, sie zur Aussage ins Präsidium mitnehme, während Kollegen die Befragung der gestern anwesenden Personen hier vornehmen. Natürlich würde der Dorfkrug heute geschlossen bleiben‹.
›Das können Sie nicht, das würden Sie nicht wagen‹ zischte er verbissen durch die Zähne.
›Wollen Sie es darauf ankommen lassen‹, jetzt war sie es, die ihn spöttisch betrachtete, bei diesem Machtspielchen stand es jetzt eins zu null für sie.
Sie musste ihm zugutehalten, dass er erkannte, wenn er verloren hatte. Widerwillig meinte er, ›es war Bernd Weber, der sitzt da drüben am Stammtisch, der grauhaarige, der mit dem Rücken hierher sitzt‹.
›Woher weiß dieser Weber von dem Tod von Holger Geldern, das wissen Sie doch bestimmt auch, oder‹?
›Sein Schwiegersohn ist bei der Polizei, er war einer der Beamten, der heute Morgen auf dem Hof der Geldern war‹, jetzt klang seine Stimme unwirsch. Sein Widerstand war erloschen, nun war eine Basis vorhanden, auf der man aufbauen konnte.
›Man hat mir erzählt, dass gestern Abend wieder einmal ein Treffen stattgefunden hat. Wer war daran beteiligt, wie lange hat dieses Treffen gedauert, kam es dabei zum Streit und um was ging es eigentlich bei diesem Treffen‹.
Die Antwort kam mürrisch, ›Sie sollten diese Fragen besser am Stammtisch stellen, die waren alle dabei, die können Ihnen auch sagen, worum es geht. Ich habe mich nie darum gekümmert, mir war das immer gleichgültig, solange sie mein Bier getrunken haben‹.
›Sie haben mir immer noch nicht gesagt, ob es gestern zum Streit gekommen ist‹, insistierte sie, das Ausweichen bei seinen Antworten ließ jedoch Rückschlüsse zu.
›Sie waren bis kurz vor zwei Uhr hier, dann habe ich sie rausgeworfen, ich wollte endlich ins Bett und ja sie haben sich gestritten, es war wie immer, es war Holger, der Streit gesucht hat‹.
›Wie viele Personen waren noch da, als Sie den Dorfkrug geschlossen haben, vor allem, wer war noch da‹.
Er überlegt kurz, ›als ich geschlossen habe, da waren noch zehn Gäste da, alle, die da am Stammtisch sitzen‹.
›Da sitzen aber nur acht‹.
Er sah noch einmal zu dem Stammtisch, dann kam bereits die Antwort, ›der alte Holzer fehlt, das ist der Vater von dem mit den blonden Haaren, außerdem noch Holger Geldern‹. Nach anderen Gästen, die bereits vorher den Dorfkrug verlassen hatten, hatte sie ja nicht gefragt.
›Na dann wollen wir uns mal zu unseren Stammtischbrüdern begeben, mal sehen, wie auskunftsfreudig die so früh am Morgen sind. Bringen Sie mir bitte ein Wasser zum Stammtisch, Max‹, sie blickte ihren Kollegen fragend an. ›Ein Bier, äh, bringen Sie mir bitte auch ein Wasser‹.
›Mein Name ist Lieberknecht, das ist mein Kollege Schultze, wir sind von der Polizei‹, dabei blickte sie neugierig in die Runde, registrierte die Regungen, die sichtbar wurden. Langsam setzte sie sich auf den freien Stuhl. ›Wie sie bereits wissen, wurde heute Nacht Herr Geldern getötet. Da er mit ihnen bis kurz vor seinem Tod zusammen war, möchte ich gerne hören was sie darüber wissen‹.
Die Gespräche an den umliegenden Tischen waren verstummt, alle schienen auf die Antwort eines der am Stammtisch sitzenden Personen zu lauschen. Heute war der erste Tag an dem sich viele derjenigen, die sonst gerne am Stammtisch gesessen hätten, froh waren nicht da zu sitzen. Der sonst übliche Neid hatte sich innerhalb weniger Minuten in Schadenfreude gewandelt.
›So schweigsam, gibt es etwas, was besser verschwiegen werden sollte oder weshalb möchten sie nicht darüber reden‹. Sie wartete einen weiteren Augenblick, dann wandte sie sich an Max, ›ruf doch bitte im Präsidium an die sollen einen Bus schicken der acht Personen zur Zeugenvernehmung aufs Präsidium bringen soll‹.
Unruhe machte sich jetzt breit, Blicke flogen zwischen den unterschiedlichsten Personen. Es hatte den Anschein, als wäre ihnen erst jetzt die Ernsthaftigkeit bewusst geworden.
›Wir können nichts über den Tod sagen. Als wir heute Nacht nach Hause gegangen sind, da war er noch sehr lebendig‹.
›Und wer sind Sie, dass Sie so genau Bescheid wissen, ach ja, habe beinahe vergessen, dass Sie heute Nacht Streit mit Herrn Geldern hatten. Würden Sie mir bitte Ihren Namen nennen‹, während sie ihren Kollegen mit einem Blick aufforderte, sich Notizen zu machen.
Sie starrte in ein pockennarbiges Gesicht, in dem ein ungepflegter Oberlippenbart den Mund verdeckte. Sein schütteres Haar, bereits mehrheitlich grau, lies ihn älter erscheinen, als er tatsächlich war.
›Ich heiße Weber, Bernd Weber, wir haben nichts mit dem Tod von Holger Geldern zu tun, meine Freunde auch nicht, für die lege ich meine Hand ins Feuer‹.
›Wenn Sie sich da mal nicht verbrennen‹, es klang eher beiläufig, als sie mit scharfer Stimme fortfuhr, ›dann war es also Ihr Schwiegersohn, der vorab Ermittlungsergebnisse herausgegeben hat. Da dies verbotenerweise erfolgte, werden dienstrechtliche Konsequenzen die Folge sein‹.
Dem Beamten würde nichts geschehen, da alle wussten, dass bei einer derart engen dörflichen Gemeinschaft die Buschtrommeln schneller als die Polizeifahrzeuge waren. Trotzdem tat ihr dieser Weber nicht besonders leid, dessen jetzt blasses Gesicht noch erbarmungswürdiger aussah.
›Worum ging es eigentlich bei dem Streit, überall hat man immer nur erzählt, dass es zu Streitigkeiten bei diversen Treffen gekommen ist. Bisher hat man jedoch immer verschwiegen, worüber gestritten wurde. Kann man mich endlich aufklären, oder weshalb wird darüber so ein Geheimnis gemacht‹.
Sie blickte von einem Gesicht in das nächste, niemand hielt ihrem Blick stand. Obwohl die Reaktionen unterschiedlich waren, verfolgten sie ein gemeinsames Ziel, das Verhindern, das sie die Wahrheit erfuhr. Während der Eine an seiner Lippe knabberte, schniefte ein anderer und versuchte, sein Gesicht hinter einem Taschentuch zu verstecken. Es war schließlich der Jüngste, der sich zu einer Erklärung herabließ.
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