Ernst Helm
Saga
Bruder gegen Bruder
© 1936 Ernst Helm
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
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ISBN: 9788711517918
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Tief versteckt im Wald, nicht weit vom sumpfigen Uferrand der Sturia (1), lag die Hofstätte des freien Bauern Cristofer, der früher Führer, Fürst seines Gaues gewesen war. Der stattliche Besitz gab Kunde von der Macht seines Eigentümers. Am Eingang des Haupthauses grüsste, kunstvoll geschnitzt, der Sachs, das kurze Schwert, die Nationalwaffe des Volkes der Sachsen.
Zwischen den Balken des Hauses waren alle Fugen sorgsam durch Moos gedichtet. Das hohe Dach ruhte auf Sparrenwerk und war mit Rohr, Schilf und Stroh gedeckt. Geschnitzte Pferdeköpfe krönten den Giebel.
Im Hintergrund der Diele stand neben dem Herrensitz der grosse Herd, dessen flammende Holzscheite die Dachbalken schwärzten. Rings an den Wänden zogen sich gezimmerte Bänke hin, die zur Nacht als Schlafstätten dienten. Tische und Truhen, die den Reichtum der Frau an Leinen bergen und zugleich als Bänke dienen, waren im Raum verteilt. Festgestampfter Lehm bildete den Fussboden.
Starke Eichensäulen trugen die Halle, deren Schmuck Waffen und Beutestücke bildeten, kostbare Schalen und Becher, noch aus der Zeit, als die Römer die Lande bedrohten.
Wenige Schritte vom Herrenhause entfernt lag der Thung, ein Kellergewölbe, das durch eine Balkenlage in zwei Teile getrennt und zum Schutz gegen die Winterkälte mit Dünger bedeckt war. Der untere Raum diente als frostfreier Aufbewahrungsort für Feldfrüchte und sonstige Lebensmittel, der obere war Wohn- und Arbeitsstätte der Frauen. Dort stand auch der Webstuhl.
Schuppen, Ställe und zwei rohgezimmerte Blockhütten begrenzten den weiten Hofraum. In der einen Hütte hausten Dedo mit Heilwig, dem Weib, und Gertrud, der Tochter. Beim Spiel hatte er Hab und Gut, Frau und Kind und schliesslich sich selbst an Cristofer verloren. Jahre hindurch waren die drei unfrei gewesen, bis sie durch des Alten Güte zu Freigelassenen wurden. — Im zweiten Blockhause wohnte Lars Larsen. Auf Wikingerfahrt war er mit seinen norwegischen Brüdern bis tief in die Sturia eingedrungen. Sie hatten geraubt und geplündert. Von Unwetter und Sturmfluten überrascht, zerschellte ihr Schiff auf den Untiefen des reissenden Flusses. Alle ertranken, nur er erreichte das Ufer. Glücklicher hätte er sich geschätzt, wäre er bei seinen Freunden auf dem Grunde des Stromes geblieben, denn nun war er Sklave. Wohl hatte er keine Ursache, sich über seinen Herrn zu beklagen, ihm geschah kein Unrecht, er wurde gekleidet und gespeist wie die Söhne des Hauses. Aber was ist ein Mann, der keine Waffen tragen darf, dem man die Freiheit geraubt hat und der nie wieder die hohen Berge und tiefen Fjorde der geliebten Heimat sehen wird! — —
Ode, Cristofers Weib, stand mit ihren beiden Söhnen an der Pforte des hohen, starken Pfahlzaunes und überschaute den schmalen Pfad, der zum Hofe führte.
Busch und Strauch prangten im frischen Grün, und die alten Eichen und Buchen waren voller Knospen, die in den nächsten Tagen schon ihre Hüllen sprengen würden. Überall drängten sich die jungen Blätter zum Licht empor.
Stolz und glücklich warf die Mutter einen Blick auf ihre Kinder. Thoto, der Ältere, war ein Hüne von Gestalt. Er wird einst Erbe des väterlichen Besitzes werden. Dietmar, der Bruder, war zarter, aber sehnig waren die Arme, und Mut und Tatendrang leuchteten ihm aus den blauen Augen. Auf der letzten Volksversammlung war er mit den Waffen bekleidet und für wehrhaft erklärt worden. Wohl nicht lange mehr würde es ihn im Hause halten. Herrlich hatte er sich im Schwerttanz bewährt, den die Jünglinge zu Ehren von Saxnot, dem leuchtenden Himmelsgott und Schirmer der Schlachten, aufführten! —
Die Brüder sprachen von dem Thing, das Herzog Günzel anberaumt hatte. Grosses musste es bringen, denn alle Stämme der Nordalbingi waren geladen: die Waldsassen (2), die Stormarner, die Thiatmarsgoi (3), die Wiezen und die Wagrier.
Vom Kudensee her ergiesst sich die Burgerau, und zu Zeiten der Flut ist sie von den Wellen der breiten Elbe umspült. Dann ragen ringsum die hohen Wurten wie trutzige Festen aus den Wassern hervor. Dort, auf hoher Geest, am alten Ringwall, der „Bökelnburg“, fand die Volksversammlung statt.
Auf ihren Einbäumen und Kähnen waren die Nordleute zum Thing gefahren. Aus allen Gauen der Geest waren sie herbeigekommen; zu Hunderten und aber Hunderten lagerten die wehrhaften Männer im Kreis.
Wie eine von der Sturmflut umdrohte, winzige Hallig standen unter den Sachsen die Sendboten Kaiser Karls und eine Handvoll fränkischer Söldner.
Der Sänger Heriman sprach gerade zu ihnen: „Ihr masst euch an, Gericht zu halten über freie Männer eines freien Stammes! Das aber ist unsere Sache, nicht eure! — Unsere Brüder, die Westfalen, Engern und Ostfalen habt ihr wider Recht und Gesetz geknechtet und zu Tausenden gemordet. Ihr Blut schreit nach Rache! Noch stehen wir Leute in Nordalbingien frei und unbesiegt, zehn Jahre hat euer Kaiser vergeblich danach getrachtet, uns zu unterjochen und zu besiegen. Dreissig Jahre brauchte er, um unsere Brüder in die Knie zu zwingen. Hier ist die letzte Burg der Sachsenfreiheit! Hütet euch, wenn der lodernde Zorn eines freien Volkes losbricht, er könnte andere Völkerstämme mit sich reissen und euch und dem Frankenreich zum Verderben werden!“
Laute Zurufe und Waffengeklirr kündeten dem Sprecher Beifall.
Albrecht, des Kaisers Gesandter, antwortete: „Es ist mir wohl bekannt, dass du im Lande der Wigmoti (4) Unfrieden stiftest und die Bezwungenen aufhetzst! Ich warne dich. Du bringst unsagbares Unglück über sie und über die Häupter deiner Stammesgenossen. Lass dich nicht täuschen, berauscht durch den leicht errungenen Beifall des Augenblicks. Die Macht und das Recht liegen auf unserer Seite, und kraft des Gesetzes stehe ich hier, deine Auslieferung zu verlangen!“
Lautes, empörtes Geschrei der Menge scholl auf. Dietmar, ein junger Feuerkopf, hatte sein Schwert aus der Scheide gerissen und sich neben den Sänger gestellt.
Endlich gelang es dem alten Herzog Günzel, sich Gehör zu verschaffen: „Der Franken Worte sind vermessen, aber da die vor uns nur die Sprache ihres Herrn reden, so habe ich sie vernommen, ohne sie zu strafen.
Wohl ist es wahr, dass ihr Franken mit Hilfe der verräterischen Obotriten dank eurer Überzahl uns in einigen Schlachten besiegt und zu einem Frieden gezwungen habt, dessen Bedingungen wir, der Not des Augenblicks gehorchend, annehmen mussten. — Aber sage dies dem grossen Karl: wir Nordalbingier erkennen niemanden als unseren Herrn an, und wir haben die Greuel nicht vergessen, die er unseren Brüdern zugefügt hat! Zwischen ihm und uns liegen die Fluten des breiten Elbstroms, sie mögen die Scheide bleiben zwischen dem Reiche der Franken und dem der Sachsen. — Alle Beschwerden, die ihr vorgebracht habt, sind nichtig, denn ihr seid als landfremde Eindringlinge in unser Gebiet gekommen, und wenn Heriman seinen Stammesgenossen Mut und Vertrauen zuspricht, so kann und will ich es ihm nicht verwehren. Wir alle wünschen, dass auch für sie die Stunde schlagen möge, in der sie das fränkische Joch von sich werfen!“
Nicht endenwollender Beifall folgte der Rede.
Endlich trat Ruhe ein.
Stolz und aufrecht stand Albrecht da. Er fühlte sich sicher als Sendbote seines gewaltigen Kaisers. Mit fester Stimme entgegnete er: „Herzog Günzel, ich bin nicht gekommen, Feuer und Schwert in Euer Land zu tragen, sondern Recht zu sprechen! Ich verlange Genugtuung für begangene Gewalttaten gegen meine Landsleute und die Auslieferung Herimans, der die Saat des Hasses und Unfriedens zwischen zwei grosse Völker trägt!“
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