„Das glaube ich dir nicht“, sagte Lesley, „ich kenne dich zu gut. Wenn es um Sex geht, bist du geiler als ein Hund.“ Plötzlich gab sie ihm eine schallende Ohrfeige. „Die hast du verdient.“ Dann änderte sie plötzlich das Thema.
„So, jetzt gehen wir erst einmal schön essen. Du hast sicher einen genauso großen Hunger wie ich.“
Der Sommer war perfekt: Sonnendurchflutete Stunden am Strand von Brighton, Grillpartys, unvergessliche Stunden mit Tochter Eliza, eine wunderschöne Wanderwoche durch die atemberaubende Natur von Schottlands Highlands. Es war ein ungewöhnlich heißer Sommer mit vielen sonnigen Tagen.
Doch Marian kam über Diwata nicht hinweg. Immer größer wurde seine Angst, dass sie ein Kind von ihm zur Welt bringen könnte. Würde er es jemals leibhaftig sehen? Diese Befürchtung war wie ein Magnet, der all seine Gedanken anzog, so sehr er auch noch versuchte, sich zu zerstreuen. Äußerlich ließ er sich nichts anmerken, wollte sich selbst einreden, dass es ihm wunderbar ginge. Seine unterschwelligen Schuldgefühle ließen ihn jedoch innerlich niemals zur Ruhe kommen. Er schrieb Diwata mehrere Briefe, in denen er immer wieder betonte, wie sehr er sie noch liebe. Seine Liebe müsse jedoch geheim bleiben, da seine Frau nichts von ihr wissen dürfe. Einige Briefe schickte er tatsächlich nach Manila, erhielt jedoch niemals eine Antwort. Traurig fragte er sich, ob er sie so verletzt habe, dass sie ihn vergessen wolle. An geheimen Orten, weit entfernt von Lesley und seiner Tochter, weinte er, doch es waren verbotene Tränen, die niemand sehen durfte. Warum ist das Leben so kompliziert?“, fragte er sich. Weshalb war es ihm nicht vergönnt, zwei Frauen gleichzeitig zu lieben? Wieso waren seine Gefühle in seiner Gesellschaft ein Frevel? Sie waren doch aufrichtig und wahrhaftig.
Manchmal träumte er, mit Diwata, Lesley, Eliza sowie seiner „verbotenen“ Tochter zu fünft ein harmonisches Leben zu führen, fern jeglicher Normen und verlogener bürgerlicher Moralvorstellungen. Immer wenn er aufwachte, wusste er, dass diese Träume niemals in Erfüllung gehen würden. So musste er sich eben mit dem Leben abfinden, was er hatte und das Beste daraus machen. Lesley war eine wunderbare, intelligente und attraktive Frau. Sie führten aber nach wie nur eine sogenannte funktionierende Ehe . Der Tagesablauf wurde perfekt abgesprochen, jegliche Reibungsflächen hingegen vermieden. Tief im Innern schlummerte noch immer die Liebe, verschüttet von mannigfachen Verpflichtungen. Wo jedoch blieb die Leidenschaft der frühen Jahre? Nur selten bemächtigte sich ihrer noch die Wollust, dann aber mit einer solch verzweifelten Heftigkeit, als hätten sie Angst, sich endgültig zu verlieren.
Hatte ihre Beziehung ein solides Fundament? Wenigstens meisterten sie gemeinsam den Alltag. Dennoch konnte er jene andere, bezaubernde Frau jenseits der Gebirge und Ozeane nicht verleugnen. Auch sie hatte ihn geprägt. Seine Erinnerung an sie war unauslöschlich, würde gar seinen Tod überdauern. Er redete sich ein, dass Lesley Diwatas verborgene Seite war, und immer wieder kam ihm Goethes Bilobablatt in den Sinn: Fühlst du nicht in meinen Liedern, dass ich eins und doppelt bin?
Zum Bersten vollwar die Santa Isabel-Kirche von Manila-Ermita an jenem schwül warmen Sonntagmorgen des achten Septembers 1992. Familien mit Kindern, Paare und alte Leute saßen zusammengepfercht auf ihren Holzbänken. Nicht einmal eine Kirchenmaus schien in diese überfüllte Kirche noch zu passen. Wie jeden Sonntag waren die meisten dezent und festlich gekleidet, aber manch junge Frau erschien absichtlich im auffällig kurzen Sommerkleid mit tiefem Ausschnitt. Wollte sie jungen, unverheirateten Männern imponieren? Öfters lächelten sich Jungen und Mädchen an. Manchmal verabredeten sich beide Geschlechter sogar auf kleinen Papierzetteln, die knisternd herumgereicht wurden. Ältere Kirchgänger beobachteten dieses unangemessene und anstößige Verhalten junger Leute mit Argwohn. Was würde noch passieren? Würden sie sich eines Tages während des Gottesdienstes auf der Kirchenbank Zungenküsse geben? Sie blickten die jungen „Übeltäter“ an, als wollten sie sagen: O tempora, o mores!
„Oh Herr, sei mein Hirte, barmherziger Gott“,sangen Kirchenchor und Gemeinde mit kräftiger Stimme. Kaum hatten sie jedoch begonnen, das Lied zu singen, ertönte ein schriller Schrei durch die gesamte Kirche. Es war Diwata, die mit ihren Eltern und ihrer besten Freundin Imelda am Gottesdienst teilnahm und plötzlich starke Schmerzen im Unterleib verspürte. Sie stand auf, konnte aber kaum laufen. Plötzlich quoll eine beträchtliche Menge an Fruchtwasser aus ihrem Unterleib und bildete eine große Lache auf dem Kirchenboden. Wie vom Donner gerührt starrten Besucher des Gottesdienstes die leidende Frau an. Jugendliche hörten auf, zu kokettieren. Auch die älteren Kirchgänger schauten nur noch zu Diwata.
Warum starrte die Gemeinde sie an? Konnte niemand sehen, wie glücklich sie war? Endlich war es soweit. Die letzten Wochen ihrer Schwangerschaft hatte sie sich wie ein wandelnder Kartoffelsack gefühlt. Bei der geringsten Anstrengung war sie ins Schwitzen gekommen und völlig abhängig von Eltern und Freunden gewesen. In einem Stoßgebet bat sie Gott dennoch inbrünstig darum, nicht hier in der Kirche vor allen Leuten ihre Tochter auf die Welt zu bringen. Sie stand zwar gerne im Mittelpunkt, wollte aber nicht ihr Intimleben den Titelseiten lokaler Boulevardblätter preisgeben.
Ihre Eltern halfen ihr, die Kirche zu verlassen. Sie stützten sie beim Laufen. Wutentbrannt wandte sich Diwatas Vater zu den verdutzt dreinschauenden Kirchgängern und rief: „Ihr verdammten Heuchler. Was nützen eure Gebete, wenn ihr eurer Hilfe Bedürftigen nicht helft?“ Offenbar hatte er sich geirrt, denn vor der Kirche stand ein Krankenwagen. Ein vermeintlich „heuchlerischer“ Kirchgänger muss die Ambulanz angerufen haben.
Mit Blaulicht versuchte der Fahrer des Krankenwagens, sich seinen Weg durch den zähfließenden Verkehr zwischen Ermita und Makati zu bahnen. Auch jetzt am späten Sonntagvormittag herrsche Stoßzeit. Schwarze Wolken verkündeten einen gewaltigen Wolkenbruch. Am helllichten Tag war es dunkel wie in der Nacht. Noch fiel aber kein Tropfen vom Himmel und die Straßen waren trocken. Ein Sonntagsfahrer versperrte dem Krankenwagen an einer Kreuzung den Weg. Der Fahrer stieg aus und schrie ihn an:
„Idiot! Haben Sie keine Augen im Kopf? Sehen Sie nicht das Blaulicht?“
„Passen Sie bloß auf, was Sie zu mir sagen“, brüllte der Fahrer des PKWs, eines schwarzen Toyotas. Sehen Sie nicht, dass hier kein Platz ist und ich gar nicht ausweichen konnte?“
Fast wäre es zu einer Schlägerei gekommen, hätte der Fahrer des Krankenwagens nicht nachgegeben. Maria Dinguinbayan streichelte während der Weiterfahrt den Bauch ihrer Tochter und deren schöne Haare, die wieder halblang gewachsen waren. Sie war ein Ruhepol in all dem Chaos. Die Mutter lächelte ihre Tochter an und dachte: „Wie schön sie ist! Zu neuer Blüte erwacht ist mein Kind“.
Nacktlag Diwata auf dem Bett des Geburtssaales im Santa Clara Krankenhaus, doch sie war nicht allein. Ihre Eltern, Imelda und die Hebamme standen um sie herum. Ohne Scham streckte sie der Geburtshelferin ihre gespreizten Beine entgegen. Grollend und rauschend begleiteten Donner und Regen den Schmerz der Geburt. Diwata bewegte ihre Beine mit einer Heftigkeit, als wollte sie sich dem schon behaarten Köpfchen widersetzen, das aus dem Muttermund drang. Glaubte sie im Ernst, sie könnte ihre Tochter durch Schreie von der Erbsünde befreien? Schon war das winzig kleine Wesen dem nun weit geöffneten Tor des Lebens entronnen. Hebamme Maria hielt das blutbeschmierte Töchterlein mit abgeschnittener Nabelschnur in den Armen. Dieses Blut erregte keinerlei Ekel. Es war purpurner Lebenssaft eines kleinen Engelchens namens Dalisay Salvadora.
Читать дальше