„Nein“, antwortete Maangj und hielt das Handy in Position, um erneut zu filmen oder zu fotografieren. „Schauen sie, was jetzt geschieht, Jonathan.“
Ein Gabelstapler fuhr langsam auf den Hof. Vorne befand sich das verbrannte Wrack eines Porsches auf der Gabel. „Was soll denn das jetzt?“, fragte ich leise, doch so langsam glomm in mir eine Ahnung auf. Nach und nach folgten noch die Wracks zweier SUV, dann verschwand der Gabelstapler wieder und mit ihm die zwei Männer. Wolpensky blieb allein zurück. Eine Weile stand er ruhig da und besah sich alles, dann betrat er durch die Seitentür sein Autohaus. Wenige Minuten später kam er mit zwei Metallkanistern auf den Hof zurück.
„Der zündet seine Wagen selber an“, gab ich entgeistert von mir. Doch so etwas in der Art war mir ja schon zuvor in den Kopf gekommen. Zwischen Wissen und Glauben klaffte allerdings ein himmelweiter Unterschied. Maangj filmte weiter, während ich jetzt leise aus dem Wagen glitt. Eine Wolke von Benzingeruch wehte mir entgegen und ich bemerkte, wie Wolpensky die schon verbrannten Wracks mit Benzin überschüttete. Er benutzte dazu nur einen der Kanister, den anderen stellte er hinter einem SUV ab.
Dann zündete Wolpensky das Benzin an.
Jetzt war es an mir, ebenfalls ein paar Fotos zu machen. Rasch kramte ich mein Handy hervor, aktivierte die Fotofunktion und nahm den Autohändler ins Visier. Dann drückte ich auf dem Display den symbolischen Auslöser. Ein greller Blitz erhellte plötzlich die Szene. Wolpensky blickte auf und sah mir direkt ins Gesicht. Ich machte noch ein Bild von seinem erschreckten Gesichtsausdruck, dann sprintete er zur Tür des Autohauses, die kurz darauf mit einem lauten Krachen zuschlug. Mein nächstes Bild galt den brennenden Wagen, dann folgte ich dem Mann zu der Tür. Doch die war fest verschlossen und ließ sich nicht öffnen, so sehr ich auch daran rüttelte.
In der Ferne hörte ich schon die Feuerwehrsirenen, als Maangj mir zurief: „Die Benzinkanister, Jonathan. Wenn sie zu heiß werden, explodieren sie!“ Er sprintete schon zu einem der Kanister, nahm den Griff in die Hand und zog sie dann mit einem Schmerzensschrei zurück.
Ich blickte mich um und entdeckte in dem flackernden Schein des Feuers einige achtlos hingeworfene Putzlappen. Rasch bewaffnete ich mich mit zweien davon und lief auf Maangj zu. „Hier“, rief ich und warf ihm einen Lappen hin, den er geschickt auffing. Die Hitze des Feuers war jetzt so groß, dass ich mich dem Kanister kaum nähern konnte, doch endlich schaffte ich es, den Putzlappen um den Griff zu wickeln und den Behälter aus der Gefahrenzone zu ziehen. „Da rüber“, rief ich Maangj zu, der jetzt ebenfalls einen Kanister in der Hand hielt. Wir würden sie in sicherer Entfernung zum Feuer an die Hauswand stellen.
Doch dazu kamen wir nicht mehr. Vier Polizisten mit vorgehaltener Waffe standen uns plötzlich gegenüber. Aus der geöffneten Tür zum Autohaus eilten jetzt mehrere Feuerwehrmänner mit einem Löschschlauch auf die brennenden Fahrzeuge zu.
„Die Kanister abstellen und die Hände hinter den Kopf“, befahl einer der Polizisten und schlenkerte mit seiner Waffe gefährlich herum. Ich hoffte nur, dass die gesichert war.
Fast synchron stellten Maangj und ich die Kanister auf den Boden und hoben die Hände hinter den Kopf. „Das ist nicht so, wie es aussieht“, versuchte ich zu erklären, doch der Polizist herrschte mich nur an: „Ruhe. Und keine Bewegung!“
Er nickte einem Kollegen zu, der sich hinter uns stellte und die Hauben vom Kopf zog. Bei dem Afrikaner bekam er wegen dessen Größe einige Schwierigkeiten. Schließlich durchsuchte er uns und förderte grinsend meine Pistole zum Vorschein. „Eine Pistole, Chef“, meinte er dann und hielt die Waffe hoch.
„Das sehe ich. Bringen sie sie zu mir.“
„Ich kann alles erklären. Ich bin Jona...“
„Ruhe, verdammt. Lange genug haben wir auf diesen Moment gewartet.“ Der Polizist besah sich die Waffe, die ihm der Kollege hinhielt. „Dafür wandert ihr Brüder eine lange, lange Zeit hinter Gitter. Einbruch, unerlaubter Waffenbesitz und das Anzünden von fremdem Eigentum. Ihr werdet eine ganze Weile aus dem Verkehr gezogen ...“
„Ich habe einen Waffenschein“, beeilte ich mich trotz des Sprechverbotes zu sagen. „Bei meinen Papieren.“ Doch der Polizist hörte mir schon nicht mehr zu, sondern gab seinen Kollegen leise Anweisungen. Nur Sekunden später packte man Maangj und mich grob an den Armen, legte uns Handschellen an und führte uns durch das Autohaus zu den wartenden Streifenwagen.
„Wir sind keine Brüder“, protestierte ich noch. Es musste doch jeder sehen, dass wir keine Brüder waren. Ein Schwarzer und ein Weißer! Höchstens vielleicht Stiefbrüder von verschiedenen Vätern. Aber das behielt ich dann doch für mich.
Die Beamten sprachen während der Fahrt kein Wort mit uns und ich gab es bald auf, Erklärungen abzugeben. Maangj lächelte die ganze Zeit über und in der Dunkelheit schien es, als würde sein Gebiss in der Luft schweben.
Der Wagen hielt auf dem Parkplatz neben der Wache in Rheydt, was mir an sich sehr gut behagte. Hier befand sich das Revier von meinem ‚Freund‘ Albert Pöting, der mittlerweile auch schon Hauptkommissar sein musste. Vielleicht würde man ihn sogar noch heute Nacht informieren, so dass Wolpensky umgehend festgenommen werden konnte.
Bevor wir aus dem Polizeiwagen steigen durften, fesselten uns die Polizisten die Füße mit Fußfesseln, deren Ketten etwas länger waren, so dass wir im Gänsemarsch in das Gebäude gehen konnten. Maangj schaute dem Ganzen weiter lächelnd zu und beobachtete jeden Handgriff.
„Ich möchte Kommissar Albert Pöting sprechen“, verlangte ich. „Sofort!“ Doch niemand nahm von meinem Wunsch Notiz. Schließlich sperrten die Beamten uns in eine Zelle. „Morgen wird sich jemand um euch Galgenvögel kümmern, jetzt ist erst einmal Nachtruhe“, beschied uns einer der Männer, bevor die Tür ins Schloss fiel und knirschend ein Schlüssel umgedreht wurde.
„Schöne Scheiße“, fluchte ich und setzte mich auf eine der beiden Pritschen. Es gab keine Decken, aber zum Glück war es ja nicht kalt. In so einer Zelle hatte ich vor Jahren schon einmal eine Nacht verbracht. An dem Tag damals kam ich aus Frankfurt zurück nach Mönchengladbach und hatte versucht, bei meinen Eltern unterzukommen. Die waren allerdings nicht zu Hause gewesen und beim Versuch in das Haus zu gelangen, erwischte mich die Polizei.
Maangj lächelte immer noch. „Sie finden das wohl auch noch witzig, Kyle?“, fragte ich ihn missgelaunt. Es war uns gelungen, den Täter zu überführen und jetzt wurden wir hier selbst wie Schwerverbrecher behandelt. Nicht einmal die Fesseln hatte man uns abgenommen und als ich mich jetzt auf der Pritsche ausstreckte, war das mit den Händen auf dem Rücken eine sehr unbequeme Stellung.
„Die Polizei in Deutschland ist sehr human“, gab der Schwarze von sich. „Gute Polizeiarbeit! Da müssten sie einmal erleben, wie solche Festnahmen in Südafrika ablaufen. Wenn dann noch Waffen im Spiel sind, können sie froh sein, zu überleben.“
„Na, nun übertreiben sie mal nicht, Kyle“, entgegnete ich, da es kaum vorstellbar war, dass selbst Verbrecher nicht halbwegs menschenwürdig behandelt wurden. Sicherlich, hier in Deutschland herrschte eine gewisse Kuscheljustiz, bis hin zu falsch verstandener Solidarität mit den Verbrechern. Aber unsere Gerichte kamen ja auch kaum noch nach, bei der Fülle von Verfahren und die Gefängnisse waren voll. Kleinere Bagatellverbrechen, wie einfacher Diebstahl zum Beispiel, wurden schon gar nicht mehr verfolgt. Da hatte der Bestohlene eben Pech gehabt. Wer sich dann aber gegen so einen Dieb oder Räuber wehrte, wurde sehr schnell selbst angeklagt. Irgendwie war das gesamte Justizsystem in Deutschland in die Schieflage geraten.
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