Wie ich wusste, mussten jetzt die Pommes Frites folgen, denn irgendwie ordnete Erwin alle seine Gerichte nach dieser Reihenfolge. Wurst, Pommes und dann ordentlich Mayonnaise, das war immer ein erfolgreiches Konzept. Doch diesmal schien er etwas geändert zu haben. Ich stieß auf einen harten Gegenstand und hackte mit dem Gäbelchen feste nach. Mayonnaise spritzte über den Tisch und ich musste grinsen, als Maangj nur um Millimeter verfehlt wurde. Bestimmt würde er seinen Enkeln noch von diesem Abenteuer erzählen.
An meiner Gabel hing, fast wie ein Fisch an der Angel, ein dicker runder Klotz. Mit einem Finger der linken Hand strich ich die Mayonnaise fort und es kam eine schwarze Frikadelle zum Vorschein. Dieses Stück Fleisch musste auch der Grund für den anhaltenden Brandgeruch hier sein. Vorsichtig schnupperte ich daran, dann versuchte ich hineinzubeißen. Doch das Ding war steinhart und nur mit Mühe gelang es mir, ein Stückchen abzuknabbern. Der Geschmack war ungewöhnlich, ich würde sogar sagen: außergewöhnlich. Aber im Grunde nicht schlecht, wenn man dem Neuen gegenüber aufgeschlossen war.
Plötzlich stand Curry-Erwin wieder neben uns. „Na, Jonathan, was sagst du? Ist das nicht wirklich etwas Besonderes? Ich nenne die Kreation ‚Schwarzer Frikaner‘.“ Er lachte und schlug mir auf die Schulter, so dass ich für einen Moment die Gewalt über mein Gäbelchen verlor. Der Schwarze Frikaner rollte über den Tisch und fiel polternd zu Boden. Curry-Erwin bückte sich blitzschnell, hob das verkohlte Stück Fleisch wieder auf und putzte es an seiner Schürze ab. Dann legte er die verbrannte Frikadelle wieder in mein Schälchen und meinte tadelnd: „Jonathan, Jonathan. Du musst aber schon besser auf dein Essen aufpassen!“ Und lächelnd fügte er hinzu: „Dann lass es dir noch schmecken!“
Kyle sah auf seine Armbanduhr. „Ich glaube, es wird Zeit, dass wir ins Büro zurückkehren“, bemerkte er und ich hörte aus seiner Stimme ein gewisses Bedauern. „Es wäre mir peinlich, zu spät aus der Mittagspause zurückzukommen.“
Das konnte ich verstehen, doch sein Essen stand noch unberührt auf dem Tisch. „Sie haben ja noch gar nichts gegessen, Kyle“, wies ich ihn auf die volle Pappschale hin.
„Sie ja auch nicht, Jonathan“, erwiderte er und ich musste ihm Recht geben. Irgendwie war die Zeit wie im Flug vergangen.
„Eine Sekunde“, bat ich ihn zu warten und suchte jetzt aus Zeitmangel mit den bloßen Fingern nach den Pommes Frites. Eine Kleinigkeit wollte ich wenigstens noch zu mir nehmen. Die Pommes lagen, leider durch die verbrannte Frikadelle plattgedrückt, in einer Lache aus Currysoße, die von weißen Mayonnaiseschlieren durchzogen wurde. Triumphierend steckte ich mir eine Handvoll des Breis in den Mund. Bei Curry-Erwin ging niemand hungrig nach Hause!
„Und, Kyle?“, fragte ich, als wir auf dem Weg zurück zum Wagen waren. Curry-Erwin hatte mir zwei Papierservietten mitgegeben, damit ich mir die Finger abputzen konnte. „Jonathan“, bemerkte er, als er die Servietten über die Theke schob, „es tut mir leid, aber ich muss die beiden extra berechnen.“ Was er dann auch tat, aber so ist das Geschäftsleben halt.
„Und, Kyle? Wie hat es ihnen gefallen? Sie müssen doch zugeben, dass das wirklich etwas Besonderes war.“ Auch wenn er es abgelehnt hatte, schnell noch mit den Fingern zu essen, so war ich mir doch sicher, dass ihm Curry-Erwins neueste Kreation geschmeckt hätte. Auf mich machte der Südafrikaner jedenfalls einen zufriedenen Eindruck.
„Nun, es war etwas Besonderes, das ist wahr“, stimmte er mir zu und ich spürte ein warmes Gefühl der Freundschaft in mir. Der Mann war ja doch nicht so übel, wie ich anfänglich gedacht hatte. „Außergewöhnlich. Und sie gehen da wirklich öfter hin, Jonathan?“
Ich fühlte mich geschmeichelt. Kyle Maangj war ein Mensch, der das gute Essen liebte. Mit ihm und mir fanden sich zwei gleichgesinnte Seelen.
Ich nickte: „Curry-Erwin bietet ja nicht nur eine ausgezeichnete Küche, sondern auch ein sehr gutes Preis-Leistungsverhältnis.“ Ich hatte für beide Essen und die Getränke nicht einmal sechzig Euro bezahlt. Und natürlich für die zwei zusätzlichen Servietten. Als ich über den günstigen Preis bei Erwin nachdachte, fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, ihn um eine Quittung zu bitten. Doch jetzt war es leider zu spät, noch einmal umzukehren.
„Das müssen wir unbedingt einmal wiederholen“, schlug ich Maangj vor, „und dann probieren sie den Lärpers-Spezial Teller.“
Maangj nickte und ich sah aus den Augenwinkeln, wie er zufrieden und vor Wonne mit den Augen rollte.
Nach dem außergewöhnlich guten Mittagessen beschäftigten wir uns zunächst mit Büroarbeit. Maangj wurde dann allerdings schon bald von Jennifer angerufen und eingeladen, an einem Lehrgang von Dozer teilzunehmen. Wieder einmal blieb die ganze Arbeit an mir hängen, doch das war ich gewohnt. Ich nutzte die Gelegenheit, mich in meinem Sessel zurückzulehnen und über das Problem Autohaus intensiv nachzudenken. Schon nach kurzer Zeit offenbarte sich mir die Lösung.
Der Hubschrauber nahm Kyle und mich direkt vor der Detektei auf. Die Maschine machte einen Höllenlärm und ich hoffte, dass jetzt hier mitten in der Nacht niemand auf uns aufmerksam würde. Doch wir befanden uns in einem Industriegebiet und hier gab es kaum Menschen, die durch den lauten Motor aus dem Schlaf gerissen werden konnten. Trotzdem stand eine kleine Menschentraube am Straßenrand und jubelte uns zu.
„Bravo, Detektiv Lärpers“, hörte ich vereinzelte Rufe durch den Lärm. Doch auch eine mahnende Stimme erreichte mich: „Spezialagent Lärpers, wollen sie nicht auf die Presse warten?“
Ja, eigentlich hätten wir warten sollen, die ganze Aktion würde werbewirksam für die Detektei ablaufen und eine Erwähnung in Funk und Fernsehen, insbesondere mit dem Hervorheben meines Namens, wäre nicht zu verachten. Doch die Zeit drängte. Ich hatte einen anonymen Hinweis bekommen, dass wieder Autos auf dem Hof des KfZ Handels brannten und jetzt zählte jede Minute.
„Keine Zeit“, schrie ich und hoffte den Lärm zu übertönen. „Schickt uns die Leute vom Fernsehen hinterher! Die Autos brennen schon!“
Ich sprang auf die Kufen des Hubschraubers und gab dem Piloten das Signal zu starten. Mich an der Seitentür festhaltend, hoben wir ab. Im Innern saß Kyle Maangj und schnallte sich sorgfältig an.
„Jonathan“, vernahm ich die Stimme des Piloten, die ich wegen des Rotorenlärms kaum verstehen konnte. „Kommen sie auf den Copilotensitz. Ich brauche sie hier vorne!“
Ich nickte und kletterte in den Helikopter und über die Bänke auf den vorderen Sitz. Maangj schloss die hintere Schiebtür und es wurde sofort leiser im Innern. Der Pilot hielt mir einen Helm mit Sprechfunkverbindung hin.
„Wir sind gleich da“, hörte ich seine Stimme über Funk, doch der Hinweis war eigentlich unnötig gewesen. Ich sah mit eigenen Augen, was sich da unter uns abspielte. Ein Wagen auf dem Hof des Autohauses brannte lichterloh. Auf dem Weg vor dem Maschendrahtzaun standen vier hellrot lackierte SUV und mehrere Männer kletterten jetzt vom Hof über den Zaun, als die das charakteristische Geräusch der Helikopterrotoren hörten.
„Sie versuchen zu entkommen“, schrie der Pilot in Panik, doch meine Stimme blieb eiskalt.
„Bleiben sie ruhig Mann.“ Ich zählte knapp zwanzig Gestalten die an dem Zaun hochkletterten und schon zu den Wagen rannten. „Keine Panik, die kriegen wir.“
„Sie müssen die Bordkanone bedienen, Agent Lärpers“, schrie der Pilot erneut, doch seine Stimme klang schon etwas ruhiger. Wer sich mit Jonathan Lärpers im Einsatz befand, brauchte nichts zu befürchten.
„Welcher Schalter?“, fragte ich kurz und er deutete auf einen Steuerknüppel mit rotem Knopf.
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