Daran hatte Manuel auch schon gedacht. Aber was, wenn Richard tatsächlich sein Vater war? Würde er es einfach zugeben? Und wenn er es abstritt – wie sollte Manuel wissen, ob er die Wahrheit sagte? Wie er es auch drehte und wendete – es schien ihm wenig erfolgversprechend, Richard jetzt schon mit seinem Verdacht zu konfrontieren. Er brauchte weitere Informationen. Morgen würde er sich den Kellerraum vornehmen, da hatte er heute nur oberflächlich gesucht.
»Vorerst mache ich noch nichts«, sagte er. »Morgen such ich erst mal weiter. Und vielleicht bekomme ich ja über Gaby Kontakt zu anderen Kommilitonen meiner Mutter, die sich noch an die Party erinnern können...«
Manuel verstummte und sah gedankenverloren in die Ferne. Auch Leon fiel ausnahmsweise nichts ein.
»Aber wenn ich genauer drüber nachdenke: Richard passt perfekt ins Bild«, fuhr Manuel nach einer Weile fort. »Meine Mutter muss einen guten Grund gehabt haben, diese hanebüchene Geschichte zu erfinden. Einen verdammt guten Grund. Und die Freundschaft zu Gaby zu retten, wäre definitiv einer.« Manuel starrte in sein fast leeres Glas.
Leon nickte und strich sich mit der Hand die halblangen schwarzen Haare aus der Stirn. »Was ist das eigentlich für ein Typ, dieser Richard?«, fragte er.
Manuel dachte kurz nach. »Naja, der ist okay, glaub ich. Ein bisschen langweilig vielleicht. Ein Anwalt, der Golf spielt – Du weißt schon. Ich hab ihn aber nur ein paar Mal gesehen. Wenn Gaby uns früher besucht hat, ist sie meistens allein gekommen, mit Katharina.«
»Wer ist denn Katharina?«
»Ihre Tochter. Müsste jetzt Anfang 20 sein. Hab sie gestern zum ersten Mal seit Ewigkeiten gesehen.«
»Und?«
»Was und?«
»Na, ist sie genauso ein heißer Feger wie ihre Mutter?« Leon rollte ungeduldig mit den Augen.
»Könnte man so sagen, ja.« Manuel grinste schief. »Aber das kann mir ja jetzt egal sein. Ist doch wahrscheinlich meine Halbschwester...«
Leon nahm wieder einen großen Schluck Weizenbier und blickte Richtung Theke. Manuel sah, dass es in seinem Hirn gerade kräftig arbeitete. Diesen Gesichtsausdruck kannte er genau.
»Ja, Leon«, sagte er in kapitulierendem Tonfall, um der unausweichlichen Frage zuvor zu kommen. »Sonst wäre sie womöglich eine Kandidatin. Ich hab sie schon auf Facebook gesucht, um ihr eine Nachricht schreiben. Aber das lass ich jetzt erst mal.«
»Quatsch«, entfuhr es Leon. »Mach das auf jeden Fall. Wenn sie wirklich Deine Halbschwester ist, kannst Du immer noch einen Rückzieher machen. Musst es halt emotional langsam angehen lassen.« Leon kam jetzt in sein Element. Er und Marie hatten in den letzten Monaten ein paar Mal versucht, ihn zu verkuppeln – allerdings ohne Erfolg. Manuel war seit zehn Monaten Single und damit nicht unglücklich, obwohl er zugeben musste, dass er sich derzeit zum ersten Mal wieder nach emotionaler Nähe sehnte.
Er wusste, dass die Initiative zur Kuppelei von Marie ausging, die sich wie viele Frauen nicht vorstellen konnte, dass man allein auch ganz gut zurechtkam. Aber Leon machte fleißig mit und hatte sich diebisch gefreut, als Marie vor einigen Wochen plötzlich eine gute Freundin zu einem Treffen in einer Bar mitbrachte. Manuel erinnerte sich noch lebhaft, wie Leon ihn verstohlen angegrinst hatte, während er Zwangskonversation betreiben musste.
Maries Freundin, Vanessa, war nett gewesen, aber einfach nicht Manuels Typ. Was Leon natürlich genau gewusst hatte. »Ich hab versucht, Marie das vorsichtig beizubringen«, hatte er entschuldigend gesagt, als die beiden Damen kurz Richtung Toilette verschwunden waren. »Aber Du weiß ja, wie Frauen sind.« ‚Die ist aber total nett‘, hat sie gesagt...«
Beim Gedanken an die angespannte Atmosphäre im weiteren Verlauf des Abends schauderte es Manuel immer noch.
»Warmhalten, sage ich.« Leon beugte sich vor und redete lauter, um das anschwellende Stimmengewirr zu übertönen. »Sichern und weitersuchen. Das war doch sonst auch immer Deine Devise.«
»Aber hier liegt die Sache schon ein bisschen anders«, hielt Manuel ihm entgegen.
Leon stutzte und überlegte kurz. »Ja, ja, hast ja Recht. Aber trotzdem.« Mit einem weiteren großen Schluck leerte er sein Weizenbierglas. »So«, sagte er, inzwischen schon deutlich angeheitert. »Also entweder wir geben jetzt Vollgas und Du hörst auf, an Deinem Altbier rumzunuckeln wie meine Oma am Eierlikör. Oder wir gehen noch ein Schweinebrötchen essen und dann ab nachhause.« Er blickte Manuel fragend an. Schweinebrötchen waren eine Düsseldorfer Spezialität; für Leon gehörten sie zu einer nächtlichen Sauftour wie die Butter aufs Brot.
»Hey, wenn Du heim willst, kann ich das natürlich gut verstehen«, sagte er, als Manuel nicht sofort antwortete. »Überhaupt kein Thema. Wir sind morgen zum Brunch bei Maries Eltern eingeladen. Schadet gar nicht, wenn ich da einigermaßen nüchtern aufschlage.«
Manuel schnappte sich den Deckel. »Komm, lass uns noch ein Schweinebrötchen essen. Bier geht heute auf mich.«
Nachdem Manuel an der Theke gezahlt hatte und hinter Leon auf den Ausgang der prall gefüllten Kneipe zusteuerte, erblickte er kurz vor dem Ausgang an einem Ecktisch eine junge Frau mit brünettem Pferdeschwanz, die Katharina verblüffend ähnlich sah. Dank seiner fast 1,90 Meter konnte er zwar über die dicht gedrängte Menge schauen, aber leider saß sie mit dem Rücken zu ihm.
Manuel blieb stehen und überlegte, ob er sich zu ihrem Tisch zwängen und nachsehen sollte.
Nein, entschied er nach kurzem Zögern. Lieber nicht.
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