Peter Gabriel: Zwei Taler für den Pastor, siebzehn Schilling für den Lehrer. Heimatgeschichtlicher Rundgang durch Drensteinfurt und Walstedde
Copyright © 2006: Peter Gabriel, Drensteinfurt
Alle Rechte vorbehalten
2. Auflage 2016
Foto „Lageplan Haus Steinfurt“: Peter Gabriel, Drensteinfurt
Titel und Satz: Peter Gabriel, Berlin
Titelfoto: Kerstin Greusing, Berlin
Verlag: epubli, Berlin
ISBN: 978-3-7418-0550-9
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Vorwort Vorwort Das beschauliche Leben im westfälischen Provinzstädtchen Drensteinfurt in der beginnenden Neuzeit – eine schöne Vorstellung, aber so war es nicht nur. Wie überall sonst auch lebten die Menschen mal friedlich zusammen, mal stritten sie sich: Während sie eben noch gemeinsam Schützenfest gefeiert hatten, beschwerten sich schon im nächsten Augenblick die Alteingesessenen über die rauen Sitten der zugezogenen Bergleute. Und natürlich stand die Stadt mitten in den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Stürmen der Zeit: Die kurze Blüte des Strontianitbergbaus, die Vertreibung und Ermordung der jüdischen Gemeinde im Dritten Reich und die Aufnahme schlesischer Vertriebener nach dem Zweiten Weltkrieg veränderten Drensteinfurt jedesmal aufs Neue. Seit 40 Jahren wohne ich in Drensteinfurt und Walstedde und beschäftige mich seitdem mit der faszinierenden Lokalgeschichte meines Heimatorts. In diesem Buch habe ich eine Reihe meiner Veröffentlichungen über Drensteinfurt und seine heutigen Ortsteile Walstedde, Mersch und Ameke zusammengestellt. Ich lade Sie ein, mich auf den folgenden Seiten auf einem heimatgeschichtlichen Rundgang durch Drensteinfurt und Walstedde zu begleiten. Wandern Sie mit mir von der Loreto-Kapelle über die Alte Post bis hin zur ehemaligen jüdischen Synagoge und gewinnen Sie einen Eindruck vom früheren Leben in der westfälischen Provinz. Drensteinfurt, im Februar 2006
Eine Loreto-Kapelle in Westfalen
Französische Emigranten in Drensteinfurt
Gemächer ohne Licht und Luft
Das hochadelige Gut Steinfurt
Die Regina-Kirche in Drensteinfurt
Die gemeinen Marken
Elektrisches Licht für das Postamt Drensteinfurt
Schwarzfahren in der Postkutschenzeit
Städtchens Verkehr
Ein neues Haus für den Küster
Wo so manche deutsche Lokomotive pfeift
Fertigmachen, Karten lösen, Achtung geben
Die Spur der silbernen Steine
Amtmann mit sechsundzwanzig Jahren
Reichsfreiherr Ignatz von Landsberg-Velen
Schloss Landsberg
Karl Wagenfelds Kindheit in Drensteinfurt
Schulverhältnisse im Amt Drensteinfurt
Die Synagoge in Drensteinfurt
Aus der Liste der Privatschulen gestrichen
Führerbild und Kruzifix
Nur Handgepäck durfte mitgenommen werden
Kleiner Rundgang durch Drensteinfurt
Lehrer und Küster in Walstedde
Siebzehn Schilling für den Herrn Lehrer
Gehorsamster Diener, Lehrer Plettenberg
Ich ging durch das arme Dörfchen auf und ab
Schützenfest und Tanzvergnügen
Großbrände am Kirchplatz in Walstedde
Die neue Chaussee Herbern–Drensteinfurt–Walstedde
Walstedde vor dem Ersten Weltkrieg
Der Kirchplatz in Walstedde
Quellennachweis
Das beschauliche Leben im westfälischen Provinzstädtchen Drensteinfurt in der beginnenden Neuzeit – eine schöne Vorstellung, aber so war es nicht nur. Wie überall sonst auch lebten die Menschen mal friedlich zusammen, mal stritten sie sich: Während sie eben noch gemeinsam Schützenfest gefeiert hatten, beschwerten sich schon im nächsten Augenblick die Alteingesessenen über die rauen Sitten der zugezogenen Bergleute.
Und natürlich stand die Stadt mitten in den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Stürmen der Zeit: Die kurze Blüte des Strontianitbergbaus, die Vertreibung und Ermordung der jüdischen Gemeinde im Dritten Reich und die Aufnahme schlesischer Vertriebener nach dem Zweiten Weltkrieg veränderten Drensteinfurt jedesmal aufs Neue.
Seit 40 Jahren wohne ich in Drensteinfurt und Walstedde und beschäftige mich seitdem mit der faszinierenden Lokalgeschichte meines Heimatorts. In diesem Buch habe ich eine Reihe meiner Veröffentlichungen über Drensteinfurt und seine heutigen Ortsteile Walstedde, Mersch und Ameke zusammengestellt. Ich lade Sie ein, mich auf den folgenden Seiten auf einem heimatgeschichtlichen Rundgang durch Drensteinfurt und Walstedde zu begleiten. Wandern Sie mit mir von der Loreto-Kapelle über die Alte Post bis hin zur ehemaligen jüdischen Synagoge und gewinnen Sie einen Eindruck vom früheren Leben in der westfälischen Provinz.
Drensteinfurt, im Februar 2006
Eine Loreto-Kapelle in Westfalen
Engel sollen das Geburtshaus der Maria im Jahre 1291 vor der Zerstörung durch die Mohammedaner gerettet haben. Sie brachten es von Nazareth nach Rijeka, ins heutige Jugoslawien. Drei Jahre und sieben Monate danach, erzählt die Legende weiter, trugen die Engel das Haus wieder fort, diesmal über das Adriatische Meer zur Ostküste Italiens. Dort fand es zunächst bei Recanati und schließlich im benachbarten Loreto seinen Platz. Der Ort lag auf einem Hügelrücken und hieß nach den Lorbeerbäumen, die auf ihm wuchsen, Lauretum, der Lorbeerhain.
Später wurde das Haus kostbar mit Marmor verkleidet und von einer Basilika umbaut. Loreto entwickelte sich rasch zu einem der bedeutendsten Wallfahrtsorte Italiens. Berühmt war der Reichtum seiner Schatzkammer, wo die Weihgeschenke von Kaisern, Königen, Päpsten und Bischöfen aufbewahrt wurden. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts plünderten französische Soldaten Kapelle und Schatzkammer. Das aus Zedernholz geschnitzte Madonnenbild wurde nach Frankreich verschleppt, bald darauf aber wieder zurückgegeben.
Da die Pilgerfahrten ins Ausland weit und beschwerlich waren, entstanden Nachbildungen der Casa Santa außerhalb Italiens, zu ihnen gehört die Loreto-Kapelle in Drensteinfurt. Johann Matthias von der Reck ließ sie 1726 an der Grenze seines Gerichts, der „Herrlichkeit Steinfurt“, erbauen. Architekt war Lambert Friedrich von Corfey, von dem auch das Schloss in Drensteinfurt stammt. Nah bei der Kapelle wurde ein Fachwerkhaus errichtet, dessen Bewohner den Küsterdienst zu versehen hatten.
Die Wallfahrt zur Loreto-Kapelle fand solchen Anklang, dass zwei Franziskaner aus Münster die Geistlichkeit Drensteinfurts in den Jahren von 1730 bis 1779 unterstützen mussten. Da der Raum in der Kapelle beengt war, hielt man Beichten und Messen für die Pilger in der Pfarrkirche St. Regina ab. Als diese Kirche wegen Baufälligkeit abgerissen werden musste, unterbrach man die Wallfahrt. Sicher war vorgesehen, sie nach Fertigstellung der neuen Kirche wieder aufleben zu lassen. Die Bauarbeiten zogen sich aber bis 1790 hin. Es scheint finanzielle Schwierigkeiten gegeben zu haben. Ein Jahr zuvor war die Französische Revolution ausgebrochen, ein neuer Zeitgeist rüttelte an den überlieferten Ordnungen. Wahrscheinlich ist ihm die Wallfahrt nach Drensteinfurt zum Opfer gefallen. Seitdem hat die Kapelle nur noch örtliche Bedeutung.
Heute führt eine asphaltierte Straße, die sich vor dem Ortsausgang Drensteinfurt gabelt, an der Loreto-Kapelle vorbei. Früher verließ man die befestigte Stadt durch das Münstertor, überquerte die Wersebrücke und benutzte ein Stück der alten münsterischen Landstraße. Sie war zum Damm aufgeschüttet worden, da sie im Überschwemmungsgebiet der Werse lag. Der Weg führte an Lömkes Kotten und den Fischteichen des Schlossherrn vorbei; er mündete in den Heubrink, wie das dreieckige Stück Land zwischen Sendenhorster und Albersloher Straße genannt wurde. Hier stand die Loreto-Kapelle auf einer kleinen Erhebung des Geländes, ein Ziegelsteinbau von 5 × 15 m Grundfläche, mit einer Vorhalle und einem Glockentürmchen als Dachreiter.
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