Caesar hörte, wie die Eingangstür aufging. Er sah auf die Uhr. Amin war pünktlich, wie immer. Caesar hatte ihn vor zwei Stunden in den Club bestellt, um ihn über die Ereignisse in der Schweiz zu informieren – und ihm Anweisungen zu erteilen, die keinen Aufschub duldeten.
»Hallo, Carlo«, sagte Amin. »Ich hab den Anwalt angerufen, er ist morgen um zehn da.«
Caesar nickte und deutete wortlos auf einen der Barhocker. Er blieb auf der anderen Seite der Theke stehen und erzählte in knappen Sätzen vom geplanten Abkommen zwischen Deutschland und der Schweiz. »Da unten liegt auch ein großer Teil meines Geldes. Wenn die anonym 20 oder 30 Prozent abziehen, könnte ich damit leben. Aber wenn sie meinen Namen mitliefern, wird’s brenzlig. Denn dann werden sich die Penner vom Finanzamt fragen, woher ich so viel Geld habe. Und sie werden Fragen stellen.« Caesar merkte, wie die Wut in ihm aufstieg. Er musste sich beherrschen, um das Wasserglas in seiner Hand nicht gegen die Wand zu schmeißen.
»Was hast Du jetzt vor?«, fragte Amin.
Caesar wartete ein paar Sekunden, bis er sich wieder im Griff hatte. »Erst mal muss das Geld dringend weg«, sagte er dann. »Irgendwohin, wo es sicher ist. Und zwar so, dass es keiner zurückverfolgen kann. Danach müssen wir die Sicherheitsvorkehrungen verstärken. Wenn die Steuerfahndung meinen Namen bekommt, werden die hier alles auf den Kopf stellen.«
»Können die uns gefährlich werden?«
Caesar wiegte den Kopf hin und her. »Ich bin ziemlich sicher, dass die nicht rausfinden, woher das Geld in der Schweiz wirklich stammt. Dafür hat der Anwalt zu viele Tarnfirmen zwischengeschaltet. Aber es besteht die Gefahr, dass jemand anfängt zu quatschen. Die werden schließlich nicht nur mich befragen, sondern alle möglichen Angestellten.«
Amin nickte nachdenklich, sagte aber lieber nichts. Caesars Lippen hatten sich zu einem dünnen Strich zusammengezogen.
»Bitte besprich mit Berger, ob wir irgendwelche unsicheren Kantonisten in der Truppe haben«, ordnete er an. »Geht sämtliche Namen durch und überlegt, ob sich irgendeiner auch nur im Entferntesten verdächtig verhalten hat. Dealer, Bodyguards, Kuriere und auch die Strohmänner. Im Zweifel sortieren wir lieber einen zu viel aus.« Caesar blickte Amin vielsagend an. »Da gibt’s jetzt keine Kompromisse, kapiert?«
»Wird erledigt«, sagte Amin und sah zu Berger herüber, der seinen Kontrollgang beendet und schweigend an der Theke Platz genommen hatte. Die beiden wussten genau, was der Boss meinte.
Keine Kompromisse. Keine Gnade.
Caesar nickte mit unbewegter Miene. Auf Amin konnte er sich ebenso verlassen wie auf Berger. Er kannte ihn schon aus der Schulzeit, sie hatten in den Achtzigern die vornehme Internationale Schule in Düsseldorf besucht und 1984 gemeinsam Abitur gemacht. Der fleißige und ehrgeizige Amin, der anders als die anderen Mitschüler nicht aus gut situiertem Elternhaus stammte, war damals einer seiner beiden einzigen Freunde gewesen.
»Ein Problem bleibt natürlich der Anwalt«, fuhr Caesar fort. Seine Miene verfinsterte sich wieder. »Der weiß eindeutig zu viel. Normalerweise müssten wir ihn sofort kalt machen.«
Amin und Berger blickten ihn an. »An mir soll‘s nicht liegen«, brummte Berger. Caesar sah dem Hünen in die eiskalten Augen. Er wusste, dass der Ex-Soldat große Freude am Töten hatte. Er genoss es in nahezu sadistischer Manier, seine Überlegenheit zu demonstrieren und mordete deshalb fast immer aus nächster Nähe. Überwältigen, um Gnade betteln lassen, Genickschuss: das war Bergers Methode. Caesar hatte mehr als einmal aus nächster Nähe zugesehen, wie der Hüne auf diese Weise einen Dealer bestrafte.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das geht nicht«, sagte er mühsam beherrscht. »Der Anwalt weiß als Einziger genau, wie unsere Tarnfirmen funktionieren. Außerdem muss er das Geld jetzt erst mal wegschaffen, ich hab keinen anderen dafür. Ich werd‘ ihn morgen rund machen, bis er sich in die Hose pisst, aber das muss reichen.«
Unvermittelt feuerte Carlo das Wasserglas auf den Boden hinter, wo es in unzählige Glassplitter zerbarst. Es ärgerte ihn maßlos, dass er den Anwalt nicht bestrafen konnte. Aber er hatte keine andere Wahl.
Vorerst zumindest.
20.48 Uhr, Düsseldorf (Ratinger Straße)
»Meister, ich nehm noch so ‚nen Prügel!« Leon schwenkte sein leeres Weizenbierglas hin und her und signalisierte dem Kellner auf diese Weise, dass er Nachschub brauchte. Drei Halbliter-Gläser hatte er bereits intus, während Manuel noch mit seinem zweiten 0,2er-Altbier beschäftigt war. Er hatte keine Lust, sich zu betrinken, aber es tat gut, mit Leon zu reden.
Manuel hatte heute erneut viele Stunden damit verbracht, in den Unterlagen seiner Mutter nach Hinweisen auf seinen Vater zu suchen – erst im chaotischen Arbeitszimmer, danach im Keller. Abends war ihm dann irgendwann die Decke auf den Kopf gefallen, und er hatte das dringende Bedürfnis verspürt, die einsame Wohnung zu verlassen. Leon hatte sofort eingewilligt, als Manuel anrief, und inzwischen saßen die beiden seit gut einer Stunde in ihrer Lieblingskneipe, dem »Goldenen Einhorn« in der Düsseldorfer Altstadt – wie fast immer auf Barhockern an einem runden Stehtisch in der Nähe der Theke. Zunächst hatten sie über das Länderspiel der Nationalmannschaft gegen Dänemark geredet, und danach hatte Manuel von seiner aufwühlenden Entdeckung berichtet.
»Also, lass mich das noch mal rekapitulieren«, sagte Leon. Das letzte Wort kam ihm nicht mehr ganz rund über die Lippen. »Du hast ein Foto gefunden, das Deine Mutter mit diesem Richard zeigt – dem Mann der besten Freundin Deiner Mutter. Und die beiden wirken darauf irgendwie vertraut. Sie stehen nebeneinander, und Richard hat Deiner Mutter den Arm auf die Schulter gelegt.«
Manuel nickte. »Genau.«
»Und jetzt glaubst Du, dass Richard Dein Vater ist.«
»Naja, das Foto war ziemlich gut versteckt, unter lauter anderen Fotos in einem Schuhkarton, den sie ganz hinten in der untersten Schreibtisch-Schublade verstaut hatte.«
Leon kratzte sich am Kopf. »War sie abgeschlossen?« Trotz des Alkohols konnte er offenbar noch klar denken.
»Ja, den Schlüssel hab ich an Mamas Schlüsselbund gefunden.« »Aber kann es nicht trotzdem ein ganz normales Foto sein? Ich meine, von Dir und Marie gibt’s doch ähnliche Fotos, ohne dass ich deshalb glauben würde, dass Du was mit ihr hast.«
»Ja, klar. Vielleicht war es sogar Gaby selbst, die das Foto gemacht hat. Keine Ahnung.« Manuel zuckte mit den Schultern und fuhr sich durch die kurzgeschnittenen dunkelblonden Haare. Er war innerlich extrem aufgewühlt, seit er das Foto entdeckt hatte. »Aber irgendwie wirkt es ... Naja, es wirkt sehr vertraut, wie die beiden da zusammenstehen. Und es könnte genauso gut per Selbstauslöser geschossen sein.«
»Von wann ist das Foto nochmal?«
»Hinten drauf steht: Mai 1984. Also zwei Monate, bevor ich gezeugt wurde.«
Leon drehte sein leeres Weizenbierglas nachdenklich in den Händen. Das Einhorn begann langsam, sich zu füllen; der Kellner brauchte deutlich länger als bei den vorherigen Bestellungen. »Und wo das Bild aufgenommen worden ist, kann man nicht erkennen?«
»Nein, keine Chance. Man sieht nur Mama und Richard, niemanden sonst. Im Hintergrund sind ein paar Bäume und blauer Himmel, aber das könnte überall sein.«
»Scheiße«, sagte Leon. Seine Miene hellte sich kurz auf, als der Kellner kam und eilig ein neues Weizenbier abstellte.
»Das kannst Du laut sagen.« Manuel nippte an seinem Altbier-Glas. »Und ich kann ja schlecht zu Gaby gehen und ihr sagen: Du, ich glaube Dein Mann hatte was mit meiner Mutter, Deiner besten Freundin. Kann es sein, dass Richard mein Vater ist?«
Leon blickte Manuel an und nahm einen kräftigen Schluck von seinem Weizenbier. »Könntest Du Richard nicht direkt anrufen?«
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